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Inzest

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Urteil: Verfassungshüter bestätigen Inzestverbot

Sex zwischen Geschwistern? In Deutschland verboten. Mit diesem Urteil bestätigte das Bundesverfassungsgericht die geltende Rechtslage. Der Kläger Patrick S., der bereits vier Kinder mit seiner Schwester hat, muss nach dieser Niederlage vor Gericht nun zum zweiten Mal ins Gefängnis.

Der Inzest ist universell in nahezu allen Kulturen ein gesellschaftliches Tabu. Doch strafrechtlich verfolgt wird der Beischlaf unter Blutsverwandten in vielen Ländern nicht. Insofern haben Patrick S. und seine Schwester Susan K. das Pech, im falschen Land zu leben. Weil die Geschwister aus ärmlichen Verhältnissen vier Kinder zeugten, wurde S. schon mehrfach verurteilt und muss nun ein weiteres Mal hinter Gitter. Am Donnerstag verwarf der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Klage von S. und bestätigte das Inzestverbot laut Paragraph 173 des Strafrechts. Ganz einig waren sich die Verfassungshüter in der heiklen Angelegenheit allerdings nicht.

Der Vorsitzende des Zweiten Senats, Winfrid Hassemer, konnte die Entscheidung zwar nicht verhindern. Aber in einem Sondervotum machte er schneidend klar, dass Haftstrafen von bis zu zwei Jahren für verbotene Geschwisterliebe seiner Meinung nach nicht gerechtfertigt sind. Denn solche Strafen dienten allein dem Schutz von "Moralvorstellungen" und nicht, wie die Senatsmehrheit meinte, dem grundgesetzlich verankerten "Schutz von Ehe und Familie".

Nur der Beischlaf bleibt verboten

Die Richtermehrheit hält es mit Blick auf dieses "Ordnungsgefüge" weiter für berechtigt, dass der Staat in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung eingreift und Geschwistern den Beischlaf verbietet. Allerdings nur den, mehr nicht: Denn Petting und alle anderen Sexualpraktiken bleiben erlaubt. Würden alle sexuellen Kontakte verboten, wäre das ein Verstoß gegen die Menschenwürde der Geschwister, erklärten die Karlsruher Richter. Mit der Beschränkung des Verbots auf Beischlaf sei aber ihre "intime Kommunikation nur punktuell verkürzt". Die Geschwister würden sich sich mit ihren sexuellen Bedürfnissen deshalb auch in keiner "auswegslosen Lage" befinden, argumentierten die Richter.

Hassemer aber findet diese Argumente absurd. Wäre die Strafvorschrift wirklich auf den Schutz der Familie angelegt, müsse sie sich auf alle "familienstörenden sexuellen Handlungen" erstrecken, hieß es in seinem Sondervotum. Doch der Gesetzgeber bestrafe weder solche Intimitäten, noch verbiete er Sex zwischen nichtleiblichen oder gar gleichgeschlechtlichen Geschwistern.

Verneinung des Lebensrechts behinderter Kinder?

Auch das Argument des Senats, durch den Paragraphen solle genetische Schäden bei Kindern aus Inzestbeziehungen vorgebeugt werden, ließ Hassemer nicht gelten. Zu Ende gedacht, müsse der Staat dann auch allen Menschen mit unheilbaren Erbkrankheiten den Beischlaf verbieten: Die Wahrscheinlichkeit, behinderte Kinder zu bekommen, sei bei ihnen noch höher und die erwartbaren Behinderungen massiver als beim Inzest. Die Sicht seiner Kollegen laufe letztlich "auf die Verneinung des Lebensrechts behinderter Kinder hinaus".

Hassemers Fazit: Seine Kollegen haben das Problem "nur mit spitzen Fingern angefasst". Sie verteidigten eine kulturhistorisch begründete Moralvorstellung und seien überdies "zynisch", wenn sie argumentierten, dass ohnehin nur Wenige von der Strafnorm betroffen seien. "Wer vom Inzestverbot betroffen ist, wird in einem zentralen Bereich seiner Lebensführung berührt sein, und diese Berührung kann ihn tief und langfristig treffen", schreibt Hassemer.

Nicht nur Patrick S. und Susan K. sind solchermaßen Betroffene, sondern auch ihre Kinder: Eric, der Erstgeborene, verlor nach einem Jahr seine Eltern. Er wurde vom Jugendamt zu Pflegeltern gegeben. Seine später geborenen Schwestern Sarah und Nancy kam gleich nach der Geburt in staatliche Obhut. Sofia, die Jüngste, durfte nach dem Medienrummel bei den Eltern bleiben. Nun aber verliert die Dreijährige ihren Vater: Er muss zur "Bewahrung der familiären Ordnung" ins Gefängnis.

Jürgen Oeder[AFP]

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