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Update

"Vatileaks"-Prozess: Ex-Kammerdiener des Papstes zu Haft verurteilt

Im Prozess um die „Vatileaks“-Enthüllungen ist der Ex-Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil fiel milde aus - mit einer unerwarteten Begründung.

Liebe, man weiß es, geht oft seltsame Wege. Aber was das für eine Form von Zuneigung war, die den Butler des Papstes zum Dokumentenklau bewogen hat, das hat sich beim allzu raschen Prozess im Vatikan nicht erschlossen. „Ich bin überzeugt davon, einzig und allein aus tief in mir sitzender Liebe zu Kirche und Papst gehandelt zu haben“, sagte der 46-jährige Paolo Gabriele – aber worin bestand diese Liebe, wenn der Angeklagte auch deutschsprachige Dokumente entwendete und der Presse zuspielte, die er sprachlich gar nicht verstehen konnte?

„Instinktiv“ will Gabriele, „vom Heiligen Geist infiltriert“, mehr als tausend prozessrelevante Schriftstücke ausgewählt, gestohlen und je zweimal fotokopiert haben. Die drei Richter fragten lieber nicht genauer nach. Vielleicht glaubten sie ja, psychiatrische Gutachten und Haussuchungsberichte zwanglos zusammenpuzzeln zu können zu einer etwas wirren Persönlichkeit: einfach gestrickt, allzu zu sehr eingenommen von der Würde des eigenen Amtes, von einer alltäglichen Nähe zum Papst, die keinem kirchlichen Laien sonst offenstand.

Womöglich witterte Gabriele Bedrohungen und Verschwörungen überall; zehntausende von Blättern mit Internetrecherchen über Geheimdienste, Freimaurerei, ungelöste Kriminalfälle, über Yoga, Esoterik und Buddhismus haben die Vatikan-Gendarmen in Gabrieles Wohnung gefunden, alles in einem derartigen Durcheinander, dass sogar der dem Papst geklaute 100.000-Euro-Scheck darin untergegangen war. Selbst die private Bereicherung hatte Gabriele im Chaos einer überforderten Persönlichkeit von übersteigertem Selbstbewusstsein also offenbar vergessen.

So klingt alles recht plausibel. Mehr wollten die Richter auch gar nicht wissen. Die Rolle jener Kleriker, die in den Ermittlungsakten auftauchen, hat sie nicht interessiert, und selbst Gabrieles Verteidigerin spielte die Einzeltäterthese von Anfang bis Ende mit. Wobei anzumerken ist: Gabrieles zweiter Anwalt hatte unmittelbar vor dem Prozess sein Mandat wegen „unterschiedlicher Auffassungen über die Verteidigungsstrategie“ hingeworfen.

Das lässt viele Beobachter an einen Deal denken: Benedikts Butler „opfert“ sich als Einzeltäter, schweigt sich über seine womöglich hochgestellten oder dem Papst persönlich sehr nahestehenden Hinterleute aus, spiegelt zudem edle Motive vor – und kommt, wie geschehen, mit einer milden Strafe davon, die er bestimmt auch nicht absitzen muss: In Italien geht niemand ins Gefängnis, der nur zu zwei bis drei Jahren verurteilt worden ist, und in Mutter Kirches milder Monarchie winkt die Begnadigung durch den Papst als eine „sehr konkrete und sehr wahrscheinliche Möglichkeit“, wie Benedikts Pressesprecher bereits am Samstag versprach.

Aber wo sind die mehreren hundert Zweitkopien jener hoch geheimen und im päpstlichen Büro ausdrücklich zur Vernichtung bestimmten Akten? Der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi hat im Buch „Seine Heiligkeit“ nur wenige und geradezu harmlose Dokumente veröffentlicht. Überdies waren es Dokumente, die nun gerade nicht in der Wohnung des Kammerdieners gefunden worden waren. Inwieweit laufen, wie Sprecher Federico Lombardi am Samstag versicherte, tatsächlich noch weitere Untersuchungen innerhalb des Vatikans?

Was hat die vom Papst eingesetzte Untersuchungskommission von drei honorigen Kardinälen noch in der Hand – und gegen wen? Und ist der Prozess gegen jenen Computertechniker, der Gabriele irgendwie geholfen haben soll, tatsächlich nur wegen Geringfügigkeit abgetrennt worden? Oder wollte der Vatikan aus anderen Gründen warten, bis die Scheinwerfer der Welt wieder erloschen sein würden? Beispielsweise wegen der beginnenden Bischofssynode?

Und während der Verurteilte lächelnd den Gerichtssaal verließ, lässt der viertägige Strafprozess gegen Paolo Gabriele bei allen Vatikanbeobachtern nur Fragen und Unbehagen zurück. Aufgeklärt scheint eigentlich gar nichts. Oder hatte man sich zu viel erwartet? Vielleicht ist das Böse ja selbst im Vatikan viel banaler, als man immer denkt.

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