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Roman Polanski

© dpa

Verdacht der Vergewaltigung: Roman Polanski von Schweizer Behörden festgenommen

Eigentlich sollte Roman Polanski am Sonntagabend für sein Lebenswerk geehrt werden. Stattdessen hat die Schweizer Polizei den Filmregisseur nun festgenommen. Grund ist ein Haftbefehl aus dem Jahr 1978.

Er war schon auf dem Weg zum Flughafen Santa Monica, wo er mit einer Cessna in nur einer halben Stunde nach Mexiko hätte fliegen können. Sein Anwalt wusste Bescheid und würde anderntags vor Gericht bei der Urteilsverkündung kundtun, dass sein Mandant außer Landes sei. Aber Roman Polanski überlegte es sich anders. Er fuhr lieber zum L. A. International und kaufte mit seiner American-Express- Karte das letzte Ticket für die British-Airways-Maschine nach London. Es dämmerte, als das Flugzeug abhob. Los Angeles, schreibt der Filmemacher in seiner Autobiografie „Roman“, war ein „Meer aus Licht, das sich immer stärker trübte, je höher wir über den Smog stiegen.“ Seit Ende Januar 1978 hat Roman Polanski Amerika nicht wiedergesehen.

Das könnte sich nun ändern: Der 76-Jährige, der 1977 wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung einer Minderjährigen in Untersuchungshaft saß und seitdem in den USA mit Haftbefehl gesucht wird, der mit französischem Pass in Frankreich lebt und 2003 nicht einmal seinen Oscar für „Der Pianist“ persönlich entgegennahm, ist am Samstagabend überraschend in der Schweiz festgenommen worden. Er sollte beim Zürcher Filmfestival für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden und sitzt nun stattdessen in „provisorischer Auslieferungshaft“ – aufgrund des alten US-Haftbefehls und eines Auslieferungsabkommens der Schweiz mit Amerika. Polanskis genauer Aufenthaltsort war am Sonntag nicht bekannt; ob er tatsächlich ausgeliefert wird, steht erst fest, wenn das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.

Ein seltsamer Vorgang: Der Starregisseur, der seit über 30 Jahren unbehelligt durch Europa reist (die EU liefert Staatsbürger in der Regel nicht aus), ist nicht das erste Mal in der Schweiz. Er fuhr dort Ski, verkehrte unter Prominenten, war bei Festivals zu Gast und soll sogar ein Ferienhaus besitzen. Auf die Frage, warum er erst jetzt verhaftet wurde, sagte ein Polizeisprecher: „Wir wussten diesmal genau, wann er einreist.“

Die Zürcher Festivalleitung zeigte sich fassungslos; der Verband der Schweizer Regisseure spricht von einer „grotesken Justizposse“. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wünscht „eine schnelle Lösung“, sein Kulturminister Frédéric Mitterand bedauert die „neue Belastungsprobe“ für Polanski „aufs Heftigste“: Der Regisseur habe schon genügend Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski und Präsident Lech Kaczynski wollen die US-Behörden um Gnade für Polanski bitten, der auch polnischer Staatsbürger ist, und erwägen ein Ersuchen an US-Präsident Barack Obama, um den Fall „ein für allemal“ abzuschließen. Der polnische Botschafter in der Schweiz bot Polanski Konsularhilfe an.

Polanski, der Verfolgte, der Entkommene, der Gejagte: Nicht erst seit 1977, seit er in Jack Nicholsons Haus Sex mit der 13-jährigen Samantha Gailey hatte (was er nicht bestreitet) – sein ganzes Leben lang ist der Regisseur von AlbtraumKlassikern wie „Ekel“, „Tanz der Vampire“, „Rosemaries Baby“, „Der Mieter“ und „Tess“ auf der Flucht: 1933 gerade in Frankreich geboren, wandert seine Familie nach Polen aus, im Glauben, Juden wären dort sicherer. Aus dem Ghetto von Krakau werden die Eltern ins KZ abtransportiert, die Mutter stirbt in Auschwitz, der Junge erlebt Hunger, Kälte, Gewalt, Todesnähe. Davon erzählt er in „Der Pianist“, mit Adrien Brody als Alter Ego. Mit 15 wird Polanski beinahe in einem Keller erschlagen. Er lernt Regie in Lodz, geht nach England, nach Amerika – und stellt sich mit der Kamera der Angst, diesem Monster, das die Seele auffrisst. Er feiert Erfolge – und kurz nach der Premiere von „Rosemaries Baby“ wird seine hochschwangere zweite Frau, die Schauspielerin Sharon Tate, von Mitgliedern der Sekte Charles Mansons ermordet.

„So weit ich zurückdenken kann, ist in meinem Leben die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit hoffnungslos verwischt gewesen.“ Polanski, der seit 1989 mit der 20 Jahre jüngeren Schauspielerin Emmanuelle Seigner verheiratet ist, nennt diesen Eingangssatz seiner Autobiografie den Schlüssel zu seinem Dasein. Psychologische Deutungen weist er aber von sich.

Die Vergangenheit, die nicht vergeht: Immer wieder forderte die heute 45-jährige Gailey, die als verheiratete Mutter auf Hawaii lebt, die Einstellung des Verfahrens, um nicht mehr in der Öffentlichkeit zu stehen. Auch Polanski habe genug gebüßt. Doch die Staatsanwaltschaft, die seit 2005 weltweit nach Polanski fahndet, besteht für jede Anhörung auf dessen Anwesenheit. Die hatten seine Anwälte gerade letzte Woche wieder abgelehnt – denn Polanski droht in den USA Haft. So ist juristisch schwer zu klären, worüber sich beide Seiten einig sind. Das war zuletzt im Mai gescheitert, als Polanski in Babelsberg und auf Sylt den Politthriller „Ghost“ drehte.

Nun hat der Albtraum ihn eingeholt, den die 42-tägige Untersuchungshaft im Winter 1977/78 für ihn bedeutet hat.

Groteske Koinzidenz: Am Donnerstag ist die krebskranke Susan Atkins mit 61 Jahren im Gefängnis in Kalifornien gestorben – die Mörderin von Sharon Tate.

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