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Die "Wahlschwestern" Marlies Mumbauer (l) und Monika Karasch (r) gehen durch Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen).

© dpa

Verein fördert „Wahlverwandtschaften“: Suchen Oma für unseren Sohn

Man kann sich seine Verwandtschaft nicht aussuchen. Ein Verein will Alternativen bieten, führt „Wahlschwestern“ zusammen und hilft bei der „Wahl-Oma“. Aber eine Garantie fürs Leben gibt es nicht.

Salima Douven weiß auch, dass man sich die Verwandten nicht aussuchen kann. Auch wenn sich das manch einer wünscht. Aber sie weiß auch, wie schmerzlich es ist, ein ganz nahes Familienmitglied zu vermissen. Als ihre Mutter starb, war sie gerade mal neun Jahre alt. Ihre deutlich ältere Halbschwester hat die Ersatzrolle übernommen. Die heute 36-Jährige ist eine von zwei Gründerinnen des Vereins „Wahlverwandtschaften“ in Mönchengladbach. Dass es mittlerweile fünf Ableger in Nordrhein-Westfalen gibt und weitere Gruppen in Stuttgart, Hamburg und München geplant sind, scheint ein Beweis, dass vielen Menschen etwas fehlt.

„Wahlschwestern“

Marlies Mumbauer (71) und Monika Karasch (73) würden sich jetzt nicht unbedingt als „Wahlschwestern“ bezeichnen, auch wenn sie sich über „Wahlverwandtschaften“ gesucht und gefunden haben. „Wir sind ja noch in der Anfangsphase“, sagt Frau Karasch beim Treffen in einem Café. Nach dem Tod der Ehemänner - bei beiden vor vier Jahren - haben sie sich überall als fünftes Rad am Wagen gefühlt. Sie suchten jemanden, mit dem sie etwas unternehmen und sich austauschen können. Keinen Mann. Die Chemie zwischen den Frauen hat gestimmt.

Bei einem dieser Treffen habe eine Familie eine „Wahl-Oma“ für den zwölfjährigen Sohn gesucht: Die leibliche Oma wohnt so weit weg. Die beiden Damen winken ab: Sie haben ja eigene Kinder und Enkelkinder - prima Familien, sagen sie. „Wahl-Oma“, das klinge ja ganz toll, sagt der Philosoph Professor Markus Tiedemann. Aber man solle sich nichts vormachen. Die „Wahl-Oma“ kann das tun, was bei der richtigen Oma ein Tabu-Bruch ist: kündigen. Denn im Gegensatz zur richtigen Verwandtschaft ist Freundschaft freiwillig und damit kündbar. „Der Begriff Wahlverwandtschaft ist irreführend und trifft das Phänomen nicht“, sagt der Wissenschaftler von der Freien Universität Berlin.

Der "globale Mensch" lebt nicht mehr mit der Sippe

Das Bedürfnis der Menschen nach Sippe als Erbe der Steinzeit sei verständlich. „In kürzester Zeit sind wir zum globalen Menschen geworden, der um den Globus verstreut ist und eben keine Sippe mehr um sich hat.“ Die Folge sei ein Gefühl des Verlorenseins und der sozialen Kälte. Aus Tiedemanns Sicht besteht die Gefahr, dass „Wahlverwandte“ die Sehnsucht nach Wärme und Verlässlichkeit nicht kompensieren können: Wer freiwillig kommt, hat auch die Freiheit wieder zu gehen.

Aber der Bruch passiert auch in ganz normalen Familien. Salima Douven hört bei den Treffen immer wieder die Enttäuschung über die eigene Familie heraus. Und immer wieder diese Feststellung: „Ich bin so allein.“ Nach Tod oder Trennung, die Kinder leben weiter weg, die Geschwister sind deutlich älter - es gibt viele Gründe, warum Menschen Menschen suchen. Darunter sind deutlich mehr Männer als Frauen, in der Regel ab 40 Jahre und aufwärts.
„Oft gehen die zunächst in eine Freundschaft rein und dann wird mehr daraus“, sagt Douven - eine „verbindliche Familien-Ersatzbeziehung, wo man füreinander da ist und sich bedingungslos aufeinander verlassen kann“. Idealerweise langfristig, wenn nicht sogar lebenslang. Oder eben auch nicht. „Aber selbst wenn es nur ein paar Jahre gemeinsames Erleben sein sollte, ist dies besser als nichts“, heißt es auf der Internet-Seite von „Wahlverwandtschaften“. Es gibt Regeln. Beispielsweise diese: Wenn es bei beiden Seiten nicht mehr stimmt, dürfen beide Seiten kündigen. (dpa)

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