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Panorama: Verhindert die Polizei die Höchststrafe?

Ihr Verhalten im Verhör könnte Magnus G. retten – die Folterdrohung kam erst Monate später zu den Akten

Das Ermittlungsverfahren im Entführungsfall Jakob von Metzler wird immer bizarrer. Nach Informationen des Tagesspiegel ist der Verteidiger des mutmaßlichen Mörders erst Monate später darüber informiert worden, dass sein Mandant von der Polizei mit Folter bedroht wurde. Rechtsanwalt Ulrich Endres bestätigt auf Anfrage, der entsprechende, interne Vermerk von Frankfurts Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner sei erst „nach dem 22. Januar 2003 zu den Akten gekommen. Da ist einer draufgesessen.“ Mithin wusste Endres bis dahin nicht, unter welchen Begleitumständen Magnus G. am 1. Oktober 2002 bei der Kripo die Tat einräumte.

Das in der vorigen Woche von dieser Zeitung enthüllte, streng vertrauliche Dokument beinhaltet auf zwei Seiten die Anordnung Daschners, „zur Rettung des Lebens des entführten Kindes“ sei G. „nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen)“ zu befragen, der Tatverdächtige auf die „bevorstehende Verfahrensweise vorzubereiten“. Keine 25 Minuten später gab G. zu, Jakob sei tot und wies den Weg zur Leiche.

Suche nach dem Vermerk

Insider berichten, in der Akte trage der Vermerk, der Daschner ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Aussageerpressung einbrachte, die Seitenzahl 228. Beim Blatt davor handele es sich um eine Verfügung der Staatsanwaltschaft zum psychiatrischen Gutachten mit Datum vom 22. Januar. Die Blätter 224 bis 226 fassten die staatsanwaltliche Nachvernehmung G‘s vom 15. Januar zusammen. Erst danach folge Daschners inhaltsschweres, in der Rechtsgeschichte einmaliges Papier, das die erwogenen Zwangsmaßnahmen bis hin zu einem „Wahrheitsserum“ skizziert.

Im Lichte dieses Schreibens wird für Endres schlüssig, was er zuvor als übliche Quengelei eines Beschuldigten abgetan und offensichtlich unterschätzt hatte. Schon beim ersten Treffen hatte G. geklagt, von einem namentlich nicht bekannten Vernehmer angegangen worden zu sei. „Er hatte schreckliche Angst vor dem“. In den langen, bedrückenden Stunden nach der Festnahme des frech leugnenden G. ließ die Kripo wechselweise den Beamten Mohn als „good guy“ und, nachdem gutes Zureden nicht half, Kriminalhauptkommissar Ennigkeit als „bad guy“ agieren. G. flehte Endres geradezu an, ihn mit dem nicht mehr allein in einem Raum zu lassen. Für den Mordprozess gewinnt die Aussagesituation inzwischen zentrale Bedeutung. Der Polizeivize erklärt, er habe noch am selben Tag Oberstaatsanwalt Rainer Schilling über seine Anordnung informiert: „um 13.40 Uhr, in Anwesenheit eines Zeugen“. Verteidiger Endres: „Ich bezweifle das. Wenn dem so wäre, hätte Schilling mit Sicherheit sofort einen Vermerk angelegt.“ Ein solcher finde sich, sagt Endres, nicht bei den Akten. Ohnehin sei er auf Umwegen auf das brisante Schreiben gestoßen. Aus der Behörde war ihm ein Hinweis zugetragen worden.

Oberstaatsanwalt Schilling erklärt auf Befragen, schon bei Daschners mündlicher Information am 1. Oktober habe er die Sache für „höchste bedenklich“ befunden, seinen Behördenleiter in Kenntnis gesetzt. Und am 9. Oktober schriftlich festgehalten. Am 15. Januar sei ihm der Vermerk dann übergeben worden. Danach sei er „Aktenbestandteil“ geworden. Es dauerte bis 27. Januar, da kam das Ermittlungsverfahren gegen Daschner formell in Gang, obwohl Aussageerpressung ein Verbrechen ist. Schilling sagt: „Es war eine schwierige Rechtslage zu prüfen.“ Auch seien andere und er in Urlaub gegangen.

Erfahrene Juristen gehen davon aus, dass die Verurteilung des Entführers damit steht und fällt, wie das Gericht die Geständnis-Umstände wertet. Es geht um die Frage, ob durch die eigens anberaumte, richterliche Vernehmung vom 30. Januar die obskure Kripo-Vernehmung „geheilt“ werden kann. Dabei dürfte eine Rolle spielen, dass der Verteidiger monatelang nichts von dem tatsächlichen Druck wusste, unter dem sein Mandant zuerst Angaben machte. Hätte Endres das Papier gekannt, hätte er G. womöglich zum Schweigen geraten.

In Frankfurter Justizkreisen gilt das Verfahren schon jetzt als heillos. Beobachter rätseln, ob angesichts der Fakten überhaupt ein wasserdichtes Urteil herauskommen könne, zumal Endres als Spezialist für Beweismittelerhebung gilt. Die Staatsanwaltschaft betont, die Anklage sei in trockenen Tüchern, „ein absolutes Verfahrenshindernis ist nicht erkennbar“ und tritt damit Stimmen entgegen, die den Prozess wackeln sehen. Ein hoher Richter erklärt, „die Polizei hat der Justiz einen Bärendienst erwiesen“, Endres sei seinem Minimalziel, für G. ein Lebenslänglich zu erreichen, das ihm die Schwere der Schuld erspart (und ihm die Chance böte, nach 15 Jahren wieder ein freier Mann zu sein), wohl schon ziemlich nah. Andernfalls dürfte er wegen des unseligen Vorspiels sofort Verfassungsbeschwerde erheben.

Für Polizeivize Daschner, seit 42 Jahren im Dienst, gewinnt der Fall schon jetzt persönliche Tragik: Er wollte das Leben des armen Jakob retten, nun erspart seine Methode womöglich dem Mörder die Höchststrafe. Ein Dramenstoff, in jeder Beziehung.

Jürgen Schreiber

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