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Panorama: "Verlorene Kämpfe": Keine Räthselsprache mehr

Wer nicht kompliziert oder irgendwie verdreht schreibt, hat es schwer. Die Schatten der ästhetischen Moderne liegen noch heute über vielen Kunstdebatten.

Wer nicht kompliziert oder irgendwie verdreht schreibt, hat es schwer. Die Schatten der ästhetischen Moderne liegen noch heute über vielen Kunstdebatten. Kein Wunder, denn mit ihr sind die "Schlüsselhalter" des Kulturbetriebs ja groß geworden, ihr haben sie gehuldigt; die Moderne war totalitär. Ihr Programm bestand zu großen Teilen darin, die Welt zu negieren, in die man doch hinein geboren war. Zertrümmern, zerlegen, abstrahieren. Alles, was mit Alltag zu tun hatte, war verpönt. "Welch merkwürdiger Hass auf den Alltag", wundert sich Dirk von Petersdorff und beklagt im Vorwort zu seiner Essaysammlung "Verlorene Kämpfe", dass bis heute eigentlich kein Gegenmittel existiert, keine "ästhetische Theorie, die von der offenen Gesellschaft ausgeht". Und macht sich sogleich daran, eine zu entwerfen.

Der erste Satz steht irgendwo in der Mitte des Buches. "Das haben wir gehabt", lautet er, und mit diesem einfachen Satz sagt von Petersdorff, was er von der Moderne (die er etwa in der Mitte des 17. Jahrhunderts beginnen lässt), wirklich hält. Kein sanfteres, aber auch kein entschiedeneres "Genug jetzt" ließe sich denken. Das "Gespreize der Einmaligkeit" sieht er schlicht an ein Ende gekommen, was das von den Feuilletons häufig zitierte "Unbehagen an der Moderne" zu bestätigen scheint.

"Wann haben Sie das letzte Mal vor einem Kunstwerk der Gegenwart das Gefühl gehabt, es sei groß, interessant, wahr, so dass ein Schauder Sie ergriff, Sie es festhalten wollten in den Sinnen", so begann Dirk von Petersdorff vor zwei Jahren seine Dankesrede zur Verleihung des Kleist-Preises. Lange her, mag da mancher Zuhörer vor sich hin geflüstert haben.

Sind Schauder denn anachronistisch? Von Petersdorffs Antwort auf diese Frage durchzieht sämtliche im Buch versammelte Essays. Aber vielleicht will die Moderne gar nicht mehr verstanden werden. Was des Autors Einlassungen indes so sympathisch macht, ist, dass er die alten Fundamentalismen nicht gleich durch neue ersetzt. Es sei jetzt bloß mal wieder "die Fülle des Lebens" dran, schreibt von Petersdorff, und meint: "Alltagssprache, Wissenschaft und Songs und Farnblätter im Stein... und viele Stimmen; Selbstwidersprüche; Unsicherheit, woraus ein Ich besteht." Rolf Dieter Brinkmann hat diesbezüglich schon vorgelegt, in den 60er und 70er Jahren, ein Intermezzo ist es geblieben. Den späten Enzensberger nennt von Petersdorff außerdem, ihn und seine "parataktische, reihende Sprache, die das scheinbar Geschiedene wie Perlen zu einer Kette aufreiht".

Es ist denn auch eine "Sprache der Kontingenz", die von Petersdorff für die Zukunft vorschwebt, eine, die keine Angst hat vor Dingen, die es schon einmal gab und diese unbekümmert in ihren Fluss aufnimmt. Mimesis heißt das Stichwort: "Jetzt kann uns die Erinnerung an den Begriff Mimesis helfen, aus den Wüsten der Abstraktion zu entkommen, aus dem toten Land der Selbstreflexion." Denn alles beginnt mit Nachahmung, das macht gar nichts, will von Petersdorff seinen ermatteten Lesern und womöglich auch seinen Kollegen Mut zusprechen, wenn es uns nur mitreißt, uns richtig taumeln lässt. Das Wortmaterial besteht "aus alten Beständen und schriller Neuheit".

Jene einst von Novalis geforderte und nur Auserwählten zugängliche "Räthselsprache" wäre für die Vielstimmigkeit der heutigen Welt ohnehin das falsche Rezept, vermutet von Petersdorff. Die Moderne habe "durch ihre Festlegungen die Kunst eingeschränkt" und eine Sprache entwickelt, die in Rhythmik, Satzbau und Wortwahl eine Sterilität aufweise, "deren Sinn man immer schwerer verstehe". Sie war ein "angespannter Muskel", immer auf das neue aus. Aber jetzt sei "taumelnde Übergangszeit" und die Geschichtsphilosophie erst einmal an ein Ende gelangt. Von Petersdorff wünscht sich wieder offene, lange Gedichte, die "durch mehrere Formen wandern", eine "Vereinigung... von kurzen hin geschossenen Sätzen und Wortflocken".

In den Exponenten deutscher Gegenwartskultur mag er nur noch "Trauerklöße in Weinsauce" sehen, "orakelnd, defensiv und ziemlich schlecht gelaunt", Dieses Buch liest sich wie die Relativitätstheorie einer Ästhetik nach dem Ende der "Großen Erzählungen". Natürlich, gibt sein Verfasser zu, reiche das Singen nicht und blieben alle Vorschläge eitel, wenn ihnen nicht Werke folgten. Drei Gedichtbände hat von Petersdorff schon geschrieben; auf seinen vierten darf man nun ganz besonders gespannt sein.

Volker Sielaff

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