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Obama mit Berliner Krawatte am 13. Februar im Weißen Haus auf dem Weg zu seiner State-of-the-Union-Rede.

© picture alliance / dpa

Versteckte Zeichen: Barack Obama und das Geheimnis seiner Berliner Krawatte

Warum trägt der US-Präsident Streifen von links unten nach rechts oben? Obwohl das bei US-Krawatten umgekehrt ist? Was will er uns damit sagen? Dies und weitere Mythen um ein Kleidungsstück.

Ob Gerhard Schröder wusste, was er der Krawattenindustrie antut? „Als er noch Bundeskanzler war, erschien Schröder in einer Talkshow ohne Schlips. Damit ermutigte er viele Männer, auf Arbeit keine Krawatte mehr zu tragen“, erzählt der bayerische Krawattenhersteller Harry Haag. Das ist nun fast zehn Jahre her. Seitdem sei die Mode viel salopper geworden, der Schlips in vielen Branchen kein Muss mehr. Selbst im zugeknöpften Bankengewerbe beginne sich das Bild zu wandeln. „Die Umsatzzahlen brechen ein“, klagt Haag.

Dabei versucht die Industrie alles, um das Produkt gut zu vermarkten. Im November wurde mit Jan Delay ein beliebter Sänger zum „Krawattenmann des Jahres“ gewählt, der den angestaubten Schlips in einen modernen Kontext stellen sollte. „Bei Jan Delay tritt das Outfit demonstrativ nach vorn und intoniert mit Performance, Text und Musik zum Gesamtkunstwerk“, schwärmte Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts, das den Preis verleiht. Auch Willy Brandt, Christian Wulff und Guido Westerwelle wurden schon zum „Krawattenmann des Jahres“ gewählt.

Doch es nützt nichts. Die goldenen Jahre der Krawatte sind eindeutig vorbei. Vorüber sind die Tage, in denen Berliner Abgeordnete noch „Krawattengeld“ bekamen, um sich ansehnlich auszustaffieren. Wehmütig denkt Harry Haag an die 90er Jahre zurück. Damals lagen Comic-Krawatten im Trend, grauenhafte Modelle mit Dinosauriern, Mickey Mäusen und anderen Figuren. Das ist mittlerweile ebenso aus der Mode gekommen wie die Lederkrawatte. „Heute tragen viele Männer nur noch dann einen Schlips, wenn es unbedingt sein muss. Für diesen Zweck haben sie ein oder zwei Streifenkrawatten im Schrank“, sagt Haag.

Gerade diese Streifenkrawatten geben jedoch ein großes Rätsel auf: Der aufmerksame Beobachter bemerkt nämlich, dass bei Krawatten die diagonalen Streifen immer von links unten nach rechts oben verlaufen. Ausnahmslos? Nicht ganz. In den USA ist es genau umgekehrt. An einer Erklärung dafür hat sich schon so mancher versucht. Militärische Traditionen wurden ebenso herangezogen wie der psychologische Effekt, dass aufsteigende Streifen einen positiveren Eindruck machten. Doch demnach müssten die berufsoptimistischen Amerikaner diese Variante tragen. Doch das sei nicht der Grund, sagt Christoph Ploenes. Der 38-Jährige ist Mitglied der Geschäftsführung beim Krawattenhersteller J.Ploenes, der seinen Sitz in der Samt- und Seidenstadt Krefeld hat. „Die Krawatte wird aus einem rechteckigen Stoff ausgeschnitten. Dafür legt man die Schablone in einem 45-Grad-Winkel so auf, dass ein Rechtshänder sie gut ausschneiden kann“, erklärt Ploenes. Daraus ergäben sich dann die von links unten nach rechts oben verlaufenden Streifen.

Dass es in den USA spiegelverkehrt sei, liege daran, dass in den amerikanischen Produktionsstätten früher vor allem Arbeiter aus Südamerika und vor allem Puerto Rico beschäftigt waren. Diese seien es gewohnt gewesen, bei der Arbeit zu essen. „So haben sie natürlich immer Fettflecken auf dem edlen Stoff hinterlassen“, erzählt Ploenes. Irgendwann habe deshalb jemand die Anweisung gegeben, den Stoff beim Zuschneiden umzudrehen, so dass nur die Unterseite schmutzig wurde. „Dabei ist man geblieben, so dass die Streifen in den USA heute noch immer anders verlaufen als bei uns“, erzählt Ploenes.

Warum manche deutschen Politiker die US-Version tragen

Trotzdem sieht man in Deutschland immer wieder Politiker, die mit einer amerikanischen Krawatte unterwegs sind – so zum Beispiel die Liberalen Rainer Brüderle und Martin Lindner. Und US-Präsident Barack Obama wird häufiger mit europäischen Streifen auf dem Schlips gesichtet. Schon gibt es Spekulationen darüber, was das zu bedeuten hat. Ein Freundschaftsbeweis? Eine Botschaft an Eingeweihte? Eine Hommage an das jeweils andere Land? Wollen bestimmte Deutsche und bestimmte Amerikaner als Zeichen einer verschworenen Gemeinde von transatlantischen Freunden sich heimliche Zeichen geben?

„Wohl kaum“, meint Krawattenhersteller Haag. Vielmehr könne man bei den deutschen Politikern genau sehen, wenn sie zuvor in den USA ihren Krawatteneinkauf getätigt haben. Martin Lindner will von geheimen Botschaften ebenfalls nichts wissen. Er kaufe gelegentlich bei amerikanischen Modemarken und die Entscheidung für den jeweiligen Schlips sei reine Geschmackssache. „Das ist kein versteckter Hinweis.“ Es gehört zum Wesen von Geheimbotschaften, dass sie geheim bleiben müssen.

Im Fall von Barack Obama sei die europäische Krawatte vielleicht ein Gastgeschenk aus Deutschland gewesen, vermutet Haag. Und tatsächlich: Ein Blick in die Archive zeigt, dass der Berliner Krawattenhersteller Jan-Henrik Scheper- Stuke dem US-Präsidenten vor Jahren zehn Krawatten schenkte, um seine Marke „Edsor Kronen“ bekannter zu machen. Einen dieser Binder trug Obama sogar in der Nacht seiner Wiederwahl – allerdings ohne Streifen. Trotzdem kann jetzt nicht behauptet werden, alle Rätsel um die Krawatte seien gelöst. Denn auch um ihre Entstehungsgeschichte ranken sich zahlreiche Mythen. Schon im alten Rom trugen Soldaten zum Schutz vor Wind und Sand ein Stück Stoff um den Hals gebunden. „Focales“ wurde das Halstuch damals genannt. Und selbst die 6000 chinesischen Terrakotta-Soldaten, die 1974 zufällig von Bauern gefunden wurden, tragen solche Halsbinder. „Das, was wir als europäische Krawatte kennen, hat sich aus den Tüchern entwickelt, die der Sonnenkönig Ludwig XIV. erstmals bei kroatischen Soldaten sah“, erzählt Ploenes. Die Mitglieder der kroatischen Armee hätten farbenfrohe Halsbinden getragen, die dem extravaganten Monarchen sofort gefielen. Er machte die Accessoires salonfähig und gab ihnen den Namen „cravate“ – abgeleitet von „croate“.

Trotz ihrer illustren Geschichte hat es die Krawatte schwer, sich zu behaupten. In den USA tragen einer Umfrage zufolge nur noch sechs Prozent der berufstätigen Männer jeden Tag einen Schlips. Die Men’s Dress Furnishing Association, der amerikanische Krawattenverband, löste sich 2008 klammheimlich auf. Und auch in Deutschland gibt es das Deutsche Krawatteninstitut mittlerweile nicht mehr. Zudem sei die Zahl der in Krefeld ansässigen Krawattenunternehmen in den vergangenen Jahren von 100 auf zehn geschrumpft, sagt Ploenes.

Damit es nicht noch weiter bergab geht, müssen er und seine Kollegen sich etwas einfallen lassen. „Vor allem junge Leute entdecken derzeit die Krawatte als modisches Accessoire. Da setzen wir an und produzieren schmalere Krawatten, spielen mit Materialien oder entwickeln verrückte Dinge, wie beispielsweise den Wendeschlips, den man von beiden Seiten tragen kann“, sagt Ploenes. Auch Harry Haag geht mit seinen Kollektionen auf aktuelle Entwicklungen ein: „Die Männer werden heutzutage immer größer und immer dicker. Deswegen sind unsere Krawatten mittlerweile zehn Zentimeter länger als der Standardschlips“, erklärt er.

Ob solche Anpassungen die Branche retten können, ist fraglich. Trotzdem bleibt Ploenes optimistisch: „Der Kuchen ist immer noch groß genug. Wir glauben, dass es uns noch eine ganze Weile geben wird.“ Und so lange es Krawatten gibt, darf es auch Mythen geben.

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