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Panorama: Verzeihen macht glücklich

Wer wie Renate Fischer den untreuen Ehemann zurücknimmt, tut vor allem sich selbst etwas Gutes. Sagen Forscher

„Ich habe meinen Ehering abgenommen“, hatte sie vor einer Woche der Presse anvertraut. Gestern ließ Renate Fischer die Öffentlichkeit via „Bild“wissen, dass sie ihrem Mann, dem „Bullen von Tölz“, doch verzeihen will. Schauspieler Ottfried Fischer soll nach seinem unfallbedingten Krankenhausaufenthalt sogar bald wieder zuhause einziehen dürfen. „Ich kann meinen Otti nicht leiden sehen“, lautete die Begründung der Betrogenen. Mit der Bereitschaft zur Vergebung wird Ehefrau Renate aber nicht nur das Leiden ihres Mannes lindern. Sie tut höchstwahrscheinlich auch sich selbst etwas Gutes. Dafür sprechen über 40 wissenschaftliche Studien, die in den letzten Jahren zum Thema erschienen sind. Vor zwei Jahren wurden einige von ihnen im amerikanischen Atlanta bei einer eigenen Konferenz zur „Forgiveness“-Forschung vorgestellt.

Die positiven Auswirkungen betreffen nicht allein die Psyche, sondern sind auf körperlicher Ebene messbar. So ergab eine medizinische Untersuchung von 400 Freiwilligen aus Michigan, dass Menschen, die nach eigener Aussage eher zum Verzeihen bereit sind, einen niedrigeren Blutdruck und niedrigere Werte des Stresshormons Kortisol aufwiesen als diejenigen, die dazu neigen, in ihren ablehnenden Gefühlen zu verharren oder sogar Rachegedanken zu hegen. Der Psychiater James Carson von der Duke University in North Carolina wiederum konnte zeigen, dass Verzeihen sogar vor der Chronifizierung von Schmerzen schützt. Und Forscher aus Italien berichten gar, dass übergewichtige „Frustesserinnen“ stark abnahmen, nachdem sie ihren Ehemännern verschiedene Kränkungen verziehen hatten.

In Deutschland ist das Vergeben im Rahmen der „positiven Psychologie“ zum Thema geworden. Der Psychologe Christian Schwennen von der Uni Duisburg sieht es als dreidimensionale Veränderung, die die Gedanken, die Emotionen und das Verhalten eines Opfers gegenüber einem Übeltäter betrifft.

Einer der Hauptakteure der neuen Forschungsrichtung ist der amerikanische Soziologe Robert Enright, bekannt geworden durch sein Buch „Vergeben als Chance“. Er ist davon überzeugt, dass auch das Verzeihen gelernt sein will, und er sieht es als Prozess in vier Schritten: Zuerst muss das „Opfer“ einer schwer zu verzeihenden Tat sich über diese Tat selbst und über den „Übeltäter“ Klarheit verschaffen. Im zweiten Schritt muss es sich dazu durchringen, wirklich verzeihen zu wollen. Nach diesem Entschluss beginnt jedoch erst die eigentliche Arbeit des Vergebens: Man muss Verständnis für den anderen gewinnen, genauso jedoch für den eigenen Schmerz. Im vierten Stadium schließlich könne man die Befreiung aus dem emotionalen Gefängnis genießen, so zeigt sich Enright überzeugt. Vor drei Jahren brachte ein Kongress die Koryphäen der „Forgiveness“-Forschung im amerikanischen Atlanta zusammen, und zwar auf Initiative einer „Kampagne für Vergebensforschung“, zu deren Vorsitzenden die Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter und Desmond Tutu gehörten. Das macht deutlich, dass Vergeben und Verzeihen auch im weltpolitischen Maßstab ein großes Thema darstellen. In den allermeisten Fällen jedoch ist es eine Aufgabe für Paare. Und die wiederum stellt sich am häufigsten, nachdem der oder die eine von einem Seitensprung des oder der anderen erfahren hat. Typischerweise komme das heute heraus, weil der Partner, der Verdacht geschöpft hat, sich die Nachrichten auf dem Handy oder die E-Mails anschaue, erzählen Paartherapeuten. „Ein Seitensprung ist ein ganz elementar erlebter Vertrauensbruch“, sagt die Berliner Psychologin Monika Häußermann, die lange bei pro familia Paare beraten hat und jetzt als Paartherapeutin in eigener Praxis arbeitet. Viele Menschen haben sich schließlich anfangs geschworen: Wenn mein Partner mich betrügt, dann gehe ich! Und die meisten glauben: Uns wird das nie passieren. „Das ist auch eine Art von Größenwahn“, kommentiert Häußermann nüchtern. Wenn es doch anders komme, dann brauche es Zeit, bis man die Stärke erreicht habe, dem anderen verzeihen zu können. „Man muss dabei auch mit sich selbst ins Reine kommen, man muss es sich selbst verzeihen, dass man zum Verzeihen bereit ist!“

Weil das „Opfer“ meist ganz genau wissen will, warum der andere „fremd“ ging und wie sich alles abspielte, werden die Wunden während der Paargespräche zunächst möglicherweise immer wieder aufgerissen. Andererseits kann aber nur die Opferseite sich aus dieser Situation des Opfers herausbringen. Dazu gehört das Bewusstsein der Entscheidungsfreiheit – die zum Beispiel bei materieller Abhängigkeit nicht gegeben ist. „Ich kann nur bleiben, wenn ich weiß, dass ich auch gehen könnte“, sagt die Paartherapeutin. Jeder und jede muss dann prüfen, wo die Grenzen des Verzeihens liegen. Eine Erfahrung, die Ehefrau Renate Fischer offensichtlich gemacht hat.

Aber kann man denn dann so schnell das Ruder herumreißen und von einem Tag auf den anderen den Entschluss zum Verzeihen fassen? Das schon, meint die Paartherapeutin. Aber Friede, Freude, Eierkuchen sind damit längst noch nicht eingekehrt. „Die beiden werden jetzt anfangen müssen zu arbeiten.“ Denn die Erfahrung der Untreue verändert die Beziehung, für beide. Die Erkenntnis, dass Verzeihen keineswegs ein selbstloser Akt ist, sondern der eigenen Gesundheit nützt und die eigenen Kräfte stärkt, kann aber helfen, den Anfang zu wagen. „Mit jedem Male, da du einem anderen verzeihst, schwächst du ihn und stärkst dich selber“, sagt ein südamerikanisches Sprichwort.

Adelheid Müller-Lissner

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