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Verzweiflung: Türke will sein Baby verkaufen

Ein arbeitsloser Bergmann ist nach einem Arbeitsunfall in der Türkei verzweifelt: "Ich weiß nicht, was aus uns werden soll". Um Abhilfe zu schaffen, will er seine Tochter verkaufen.

Seit seinem Unfall kann Ismail Eliusta nicht mehr für seine Familie sorgen. Der Bergmann von der türkischen Schwarzmeerküste erlitt bei einer Explosion in einem illegalen Bergwerk im vergangenen Jahr schwere Verletzungen im Gesicht; sein Arbeitgeber organisierte die medizinische Erstversorgung, mehr aber auch nicht. Seitdem leben Eliusta, seine Frau und seine vier Kinder von Almosen der Nachbarn. Nun wandte sich der Familienvater mit einem dramatischen Appell an die Öffentlichkeit: Er will seine erst wenige Monate alte Tochter Yelda verkaufen - für umgerechnet rund 10.000 Euro.

"Wir wollen unsere Tochter weggeben und im Gegenzug medizinische Hilfe bekommen", sagte Eliusta unserer Zeitung per Telefon aus seiner Heimatstadt Gelik im türkischen Kohlegebiet am Schwarzen Meer. "Ich weiß nicht, was aus uns werden soll."

Eliustas Appell sorgte in der türkischen Öffentlichkeit für ein solches Aufsehen, dass ihm die Behörden erst einmal Sozialarbeiter ins Haus schickten, die ihn darauf aufmerksam machten, dass man sich strafbar macht, wenn man sein Kind verkauft. Seitdem legt Eliusta Wert darauf, dass er kein Geld will für Yelda, sondern medizinische Unterstützung. So spricht er davon, Yelda zu Leuten zu geben, die ihm helfen und gut für das Kind sorgen könnten. "Ein Lehrer oder so", sagte er.

Das Schicksal der Eliustas macht deutlich, wie hart insbesondere die ärmeren Bevölkerungsschichten in der Türkei von der derzeitigen Weltwirtschaftskrise getroffen werden. Die offizielle Arbeitslosenrate ist auf 16,1 Prozent hochgeschossen, wobei die türkischen Gewerkschaften die tatsächliche Größenordnung auf etwa 25 Prozent schätzen.

Ein sicheres soziales Netz, das Arbeitslose mit geringen Aussichten auf einen neuen Job wie Ismail Eliusta auffangen könnte, gibt es in der Türkei nicht. Normalerweise stehen in solchen Fällen die Familien bereit, aber nicht bei Eliusta: "Unsere Verwandten können nichts abgeben, die haben genauso wenig wie wir", sagte er im Telefoninterview. "Unsere Nachbarn helfen uns." Es sei nicht das erste Mal, dass eine Familie wie die Eliustas ins Elende gestürzt werde, sagte Enis Dizdaroglu, ein Gewerkschafter an der Schwarzmeerküste. Nach Angaben des türkischen Verbandes der Bergbauingenieure sind allein in jüngster Zeit rund 20.000 Arbeitsplätze in der Branche vernichtet worden. "Die Arbeitslosigkeit ist hoch, und es wird jeden Tag schlimmer", sagte Dizdaroglu. Aussuchen kann man sich die Jobs nicht. In der Gegend um Gelik gibt es viele illegale Bergwerke, in denen trotz bestehender Verbote weiter gearbeitet wird.

In einigen Gegenden ist die Lage so dramatisch, dass es einen regelrechten Ansturm auf die wenigen verfügbaren Jobs gibt. Als ein staatliches Bergbauunternehmen im vergangenen Jahr 3000 offene Stellen füllen wollte, meldeten sich 35.000 Kandidaten. Die Arbeitsplätze wurden schließlich in einer mehrtägigen Lotterie vergeben.

Aufgeschreckt durch das Medienecho, das Eliustas Verkaufsankündigung auslöste, versprachen die Behörden inzwischen, der Familie zu helfen. Gelkis Bürgermeister Hasan Fahri Yildirim erklärte, er habe dafür gesorgt, dass der am Unterkiefer verletzte Eliusta von Spezialisten in einer Universitätsklinik untersucht worden sei. Auch in Zukunft werde man der Familie unter die Arme greifen.

Mit seiner Ankündigung, sein Baby zu verkaufen, habe sich Eliusta "emotional" geäußert, sagte der Bürgermeister. Doch er wolle das Problem ernst nehmen: "Wir in der Türkei sagen immer ‚Der gefährlichste Mann ist der mit leerem Bauch'. Die sind zu allem fähig."

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