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Vierte Welle des Feminismus. Die Slutwalk-Bewegung, deren Kämpferinnen sich selbst als „Schlampen“ bezeichnen, verlangen, sich so freizügig kleiden zu dürfen, wie sie wollen ohne deshalb von Männern belästigt zu werden.

© REUTERS

"Vierte Welle" des Feminismus: Schlampe oder Prinzessin: Dürfen Frauen andere Frauen kritisieren?

Die Kritik der feministischen Autorin Hilary Mantel an Catherine, Herzogin von Cambridge, hat in der Frauenbewegung eine Debatte ausgelöst. Die "Vierte Welle" des Feminismus fordert, dass Frauen ihren Lebensentwurf frei wählen dürfen, auch wenn er von tradierten feministischen Entwürfen abweicht.

Der Tonfall war scharf. Scharf war auch die Reaktion. Die britische Erfolgsautorin und Feministin Hilary Mantel hatte im British Museum eine Rede gehalten, die es in sich hatte. Catherine Mountbatten-Windsor, Herzogin von Cambridge, war das Ziel ihrer ätzenden Kritik. Mantel bezeichnete Kate als „Schaufensterpuppe“ mit „Plastiklächeln“ und ohne „eigene Persönlichkeit“. „Es scheint, als ob Kate für die Rolle der Prinzessin ausgewählt wurde, weil sie untadelig ist: Sie ist so schrecklich dünn, wie man es sich nur wünschen kann, es gibt kein Mucken, keine Merkwürdigkeiten – es besteht nicht die Gefahr, dass ihr Charakter sichtbar wird“, sagte Mantel.

Ein Verlagssprecher der Autorin sagte, die Rede sei als feministische Kritik an der Monarchie gedacht gewesen.

Der Aufschrei ließ nicht auf sich warten. Interessant ist aber nicht die Reaktion der Boulevardpresse, die in altem Reflex um das Bestehen der Monarchie fürchtet. Interessant war die Debatte in liberalen und feministischen Kreisen. Dabei geht es um die Kernfrage, ob Frauen andere Frauen kritisieren dürfen, wenn sie einen anderen Lebensentwurf wählen als man selbst. Es stellt sich auch die Frage, ob man einer anderen Frau eine eigene Persönlichkeit absprechen kann und darf.

Von Hilary Mantel angefeindet: Catherine, Herzogin von Cambridge.
Von Hilary Mantel angefeindet: Catherine, Herzogin von Cambridge.

© Reuters

Hadly Freeman, Kolumnistin des „Guardian“, schrieb, Feministinnen der „vierten Welle“ seien eigentlich längst darüber hinaus, die Lebensentwürfe anderer Frauen zu bewerten und abzuwerten.

Vierte Welle? Ist es nicht erst ein paar Jahre her, dass die amerikanische Feministin und Buchautorin Rebecca Walker (Jahrgang 1969), Tochter der Romanautorin Alice Walker, die „dritte Welle“ des Feminismus ausrief und ihre Generation damit von der der Mütter absetzte? Und dass die amerikanische Intellektuelle Judith Butler mit ihren Überlegungen zu „Gender trouble“ einen neuen universitären und gesellschaftlichen Diskurs über Geschlechterfragen anstieß? Die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gelten als Geburtsstunde dieses Feminismus im Zeitalter von Geschlechterstudien und Gleichstellungspolitik, der nicht in Ehrfurcht vor verdienstvollen Vorkämpferinnen aus der Riege der Mütter und Großmütter erstarrte.

Eine dieser alten Heroinnen des Feminismus ist sicher Simone de Beauvoir, die mit ihrem im Jahr 1949 erschienenen Buch „Das andere Geschlecht“ als Vorreiterin der „zweiten Welle“ gelten kann. Ihre kämpferische Fortsetzung fand diese Welle in Aktionen wie dem legendären Tomatenwurf einiger SDS-Studentinnen auf ihre in Sachen Rollenverteilung unverändert sturen männlichen Kommilitonen im Jahr 1968. Im Jahr 1971 folgte dann die medienwirksame Selbstbezichtigung „Ich habe abgetrieben“, mit der 374 Frauen sich im „Stern“ für die Abschaffung des Paragraphen 218 einsetzten. Initiatorin: Alice Schwarzer, angeregt vom französischen Vorbild.

Weit in der Ferne, als Anregerin der ersten Welle, wiederum eine Französin: Die Revolutionärin Olympe de Gouges, die im Jahr 1791 eine Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin vorlegte. Das Recht, zu wählen, zu studieren, einen Beruf auszuüben, das waren die Anliegen der „Suffragetten“, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein auch in den Industrienationen erst erkämpft werden mussten. Eine dieser Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht war Emmeline Pankhurst, Suffragette der ersten Stunde in England.

Was die vier Wellen des Feminismus sind

Im Jahr 2018 wird Deutschland auf 100 Jahre Wahlrecht für Frauen zurückblicken können. „Suffragette“ muss heute keine Frau mehr sein. Kinder und Karriere bleiben dagegen ein Thema, auch für die ganz junge Generation von Feministinnen, wie die Politikwissenschaftlerin, Buchautorin und Bloggerin Antje Schrupp beobachtet. „Die Frauen der 80er und 90er Jahrgänge haben allerdings nur wenig Interesse für die ‚alten' Themen, sie haben zum Beispiel nicht mehr so stark den Wunsch, sich gegen Hausarbeit abzugrenzen, denn ihre Mütter waren ja schon berufstätig. Sie wollen auch keine spezielle Frauenförderung, sondern gute Chancen für alle.“ Den Kampf der Pionierinnen der Frauenbewegung hielten diese jungen Frauen für historisch, meint Schrupp, er könne ihnen allenfalls Dankbarkeit entlocken.

Erste Welle vor 100 Jahren. Emmeline Pankhurst, Kämpferin für das Frauenwahlrecht.
Erste Welle vor 100 Jahren. Emmeline Pankhurst, Kämpferin für das Frauenwahlrecht.

© AFP

Was für sie zählt, ist die Möglichkeit, Karriere und Familie, also Präsenz in der Öffentlichkeit und die Intimität eines reichen Privatlebens, zu vereinbaren. Die Doppelbelastung ihrer Mütter haben viele von ihnen als Überforderung erlebt. Die Sozialwissenschaftlerin erkennt in der Generation der heute 20- bis 30-Jährigen zudem „wenig Distanz gegenüber Geschlechterklischees, zugleich aber auch einen souveränen, oft auch ironischen Umgang mit ihnen“. Der Kampf gegen Geschlechterklischees war vormals ein vorrangiges Ziel gewesen. Die Abkehr von diesem Kampf ist in vollem Gang. Kleidung, die die Figur betont, hochhackige Schuhe, Nagellack, aber auch das Austauschen von Koch- und Backrezepten in sozialen Netzwerken – all das sind für diese jungen Frauen Elemente, die das Leben spielerisch bereichern können. „Es geht dabei aber nicht primär darum, den Männern zu gefallen.“ Eher darum, dass die jungen Frauen es ablehnen, sich Vorschriften zum eigenen Lebensstil machen zu lassen. „Wir erleben den Abschied von dem Ideal, dass alle, die Feministin sein wollen, dasselbe Lebensideal teilen müssen.“

Zweite Welle. Alice Schwarzer, Galionsfigur in den Kämpfen der 60er und 70er Jahre.
Zweite Welle. Alice Schwarzer, Galionsfigur in den Kämpfen der 60er und 70er Jahre.

© picture alliance / dpa

Ist also ausgerechnet die konservative Bundesministerin Kristina Schröder auf ihre ganz eigene Art eine Feministin der vierten Welle? „Wir brauchen keine Rollendiktate, weder von der einen noch von der anderen Seite, und auch nicht von der Politik“, schreibt sie in ihrem im letzten Jahr erschienenen Buch mit dem programmatischen Titel „Danke, emanzipiert sind wir selber! Abschied vom Diktat der Rollenbilder“. Darin vertritt sie die Ansicht, dass der Feminismus das große Verdienst habe, Frauen die ersehnten Handlungsspielräume eröffnet zu haben. Das Leitbild, das die kämpferischen Frauen vergangener Generationen dazu angetrieben habe, könne aber heute einengend wirken.

Dritte Welle im Kampf um die Quote. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen.
Dritte Welle im Kampf um die Quote. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen.

© picture alliance / dpa

Überlegungen, die nicht weit entfernt sind von denen der politisch ganz anders gefärbten „Guardian“-Kolumnistin Freeman – und die viele Frauen unterschiedlicher Generationen spontan teilen dürften. „Jeder Lebensstil“, schreibt Freeman, "muss akzeptiert werden, weil er ein Ausdruck dafür ist, dass Frauen frei entscheiden dürfen, was sie sein wollen, egal, ob sie Spitzenunterwäsche tragen wollen, wie die 'Slutwalk-Bewegung' (Schlampenbewegung) oder ob sie Prinzessin sein wollen“.

Freeman gibt Hilary Mantel wegen ihrer Kate-Kritik einen harten Ratschlag: „Mantel musste lernen, dass nicht nur Prinzessinnen gut beraten sind, den Mund zu halten.“

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