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Panorama: Volkszählung in China: Millionen zählen Milliarden

Sechs Millionen Chinesen wandern in diesen Tagen quer durch das riesige Land, besuchen tibetische Nomaden im Hochland des Himalaja, Reisbauern entlang des Jangtse und die Wanderarbeiter in den Fabriken Südchinas. Mehr als 100 Millionen Kilometer werden sie zurücklegen.

Sechs Millionen Chinesen wandern in diesen Tagen quer durch das riesige Land, besuchen tibetische Nomaden im Hochland des Himalaja, Reisbauern entlang des Jangtse und die Wanderarbeiter in den Fabriken Südchinas. Mehr als 100 Millionen Kilometer werden sie zurücklegen. Sie sollen zählen, wie viele Chinesen es gibt.

Genau weiß das nämlich niemand, es gibt bisher nur Schätzungen. Basierend auf Stichproben errechneten Pekings Statistiker 1997 eine Gesamtbevölkerung von 1,236 Milliarden Chinesen - das ist ein Fünftel der Erdbevölkerung. Seitdem hat sich die Bevölkerung jährlich um 13 bis 15 Millionen erhöht. Da diese Zahlen jedoch nur aus Statistiken hochgerechnet wurden, hat Peking am Mittwoch die größte Volkszählung der Welt gestartet. Bis zum 11. November werden fünf Millionen staatliche Erfasser, die von einer Million Kontrolleuren überwacht werden, sämtliche rund 350 Millionen Haushalte des Landes besuchen. Allein in Peking machten sich 70 000 Volkszähler auf den Weg. Die Volkszählung, es ist die fünfte seit 1953, soll erstmals die tatsächliche Zahl der Chinesen erfassen. In der Vergangenheit hatte Peking nur die amtlich registrierten Einwohner gezählt. Die Folge war, dass zum Beispiel Millionen Wanderarbeiter und unregistrierte Kinder in den Statistiken nicht auftauchten.

Rund Hundert Millionen Bauern haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihre Felder verlassen, um in den Fabriken an der Küste zu arbeiten. Aus Angst davor, dass die Behörden sie zurück in die Dörfer schicken, sind die meisten nicht gemeldet. Wegen der Ein-Kind-Politik tauchen auch mindestens 20 Millionen Mädchen nicht in den Statistiken auf. Auf dem Land wagen Eltern ihre neugeborenen Mädchen oft nicht anzumelden, weil sie männlichen Nachwuchs für die Altersvorsorge brauchen und so lange Kinder zeugen, bis ein Junge geboren ist.

Kontrolle der Antworten ist unmöglich

Um die daraus resultierenden Ungenauigkeiten zu vermeiden, wird diesmal direkt in den Familien gezählt. Aber aus Angst vor Strafen werden auch diesmal viele Familien versuchen, ihre unregistrierten Kinder zu verschweigen. Zwar versichern die Behörden, dass niemand wegen seiner Angaben eine Bestrafung fürchten muss. "Keine privaten Daten werden veröffentlicht oder an die lokalen Behörden weitergegeben", sagte ein Regierungssprecher. Doch viele Chinesen sind zu recht misstrauisch gegenüber ihrem Staat. "Es ist schwierig, die Menschen zu überreden, den Volkszählern die Tür zu öffnen", sagt Li Tingming, eine Statistikerin der Stadtregierung in Peking. 30 Fragen muss jeder Chinese beantworten, darunter auch so persönliche wie: Wie viel zahlen Sie Miete? oder: Wie oft waschen Sie sich? Außerdem muss Auskunft über das Alter, das Einkommen und den Familienstand gegeben werden. Die Daten werden unter dem persönlichen Namen gespeichert. Fraglich ist jedoch, ob die namentliche Erfassung zu wahren Antworten führen wird. Denn in China gibt es nur wenige Familiennamen, allein 100 Millionen Chinesen heißen Wang. In manchen Regionen teilen ganze Dörfer einen einzigen Familiennamen. Für die Behörden ist damit eine Kontrolle der Antworten praktisch unmöglich.

Judith Banister, Professorin für Demographie an der Universität für Wissenschaft und Technologie in Hongkong, ist dennoch zuversichtlich. Sie sagte, die Volkszählung werde zum ersten Mal viele Details über die Lebensumstände in China zugängig machen.

Propagandakampagne zur Beruhigung

Als China vor 20 Jahren die Ein-Kind-Politik einführte, wurden Frauen zum Teil gewaltsam zu Abtreibungen gezwungen. Auch heute noch müssen Familien, die unerlaubte Kinder zeugen, hohe Geldstrafen zahlen. Neuesten Studien zufolge liegt das Verhältnis von Männern zu Frauen in China bei zwölf zu zehn. Mit der Volksbefragung soll geklärt werden, ob die Zahl der Mädchen zurückgegangen ist, weil Eltern ein Mädchen nicht bei den Behörden melden und auf einen Jungen warten, oder ob weibliche Babys abgetrieben oder getötet werden. Um dem Volk die Angst vor der Zählung zu nehmen, hat Chinas Kommunistische Partei eine landesweite Propagandakampagne gestartet. Unter der Überschrift "Ich registriere den Generalsekretär" berichtet die staatlichen "Jugendzeitung", wie sich Präsident Jiang Zemin im streng abgeschirmten Regierungsbezirk Zhongnanhai zählen ließ. Die Antwort auf die Frage, wie oft sich der Staats- und Parteichef wäscht, bleibt der Artikel schuldig. Nur so viel wird in der Zeitung verraten: "Der Generalsekretär hat die Fragen von Anfang bis zum Ende lächelnd beantwortet."

Harald Maass

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