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Panorama: Vom „Duzis-Machen“ und Dankesagen

Für viele Schweizer ist Mundart die Muttersprache – und Deutsch die erste Fremdsprache

„Soll man mit hiesigen Deutschen Hochdeutsch reden? Oder Züritüütsch?“ So titelte der Zürcher „Tages-Anzeiger“ am 24. Juni dieses Jahres. Im Artikel werden Pro- und Contra-Argumente ausgetauscht, und auch in den darauf folgenden Leserbriefen wird das „Dialektdilemma“ kontrovers diskutiert. Nun mag man sich darüber wundern, wieso eine solche Frage überhaupt zur Debatte steht. Dazu muss man wissen, dass es in der Deutschschweiz üblich ist, in praktisch allen Situationen des täglichen Lebens Dialekt zu sprechen. Alle tun dies – unabhängig von Bildungsstand, sozialer Herkunft oder Gesprächsthema. Daher die berechtigte Frage: Wie spricht man mit den Deutschen, die in der Schweiz leben?

Schnell drängt sich die Antwort auf: Mit ihnen sollte man Hochdeutsch reden, das gebietet die Höflichkeit. Es muss ja, so könnte man aus deutscher Sicht sagen, nicht gerade das Bundesdeutsche sein. Das Schweizer Hochdeutsch, wie man es in den Schweizer Zeitungen liest und es die Schweizer beim Schreiben selbst verwenden, tut es doch auch. Nur nicht das Schwyzerdütsch. Das sollten die Schweizer lieber unter sich sprechen, das versteht man nicht.

Doch das ist nicht die Antwort, die ich als in der Schweiz lebende Deutsche gebe. Wie ich würden viele Deutsche auf die häufig gestellte Frage: „Soll ich Deutsch sprechen, oder verstehen Sie Mundart?“ antworten, man könne durchaus Mundart sprechen. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass man nach einiger Zeit tatsächlich vieles versteht (auch wenn man das zunächst nicht zu hoffen wagte). Man geht auch davon aus, dass der andere sich wohler fühlt, wenn er Mundart spricht. Und so ist es in der Tat: Die Mundart ist die Muttersprache, Hochdeutsch in der Wahrnehmung vieler die erste Fremdsprache. In der Schule gibt es erst seit 2003 einen „Aktionsplan“, der Hochdeutsch auf allen Schulstufen und in allen Fächern (also zum Beispiel auch in Zeichnen und Musik) verbindlich macht. Und lange wurde in der Presse diskutiert, ob man die Schüler damit nicht überfordere. So hieß es in einem Leserbrief im Zürcher „Tages-Anzeiger“: „Durchgehend Hochdeutsch sprechen im ganzen Unterricht ist nicht durchzusetzen. Ebenso gut können die Bildungspolitiker verlangen, ein Kind habe sich seitwärts zu bewegen, wenn es im Schulzimmer zum Lavabo geht, um die Hände zu waschen.“

Nehmen wir also an, Ihr Gegenüber spricht Dialekt, Sie antworten auf Hochdeutsch. Gut, denken Sie, dann verstehen sich Deutsche und Schweizer auf diese Weise. Doch allein damit ist es nicht getan. Man muss auch die Verhaltensmuster kennen, die im kommunikativen Alltag üblich sind. Denn die Tatsache, dass man dieselbe Sprache spricht – wenn auch in verschiedenen Ausprägungen –, ist trügerisch, die subtilen Unterschiede sind beträchtlich. Man muss wissen, wie man in der Schweiz bei einem „Anlass“ grüßt (reihum mit Handschlag und Namen), wie man sich zuprostet (intensiver Blickkontakt, Anstoßen und Name), wie und mit wem man „Duzis macht“, wie man Wünsche vorbringt (bittend, nicht fordernd), wie man Kritik äußert (zurückhaltend) und wie man sich in Diskussionen verhält (diplomatisch). Doch auch wenn man all diese Register beherrscht – man wird in der Schweiz immer wieder über Details ins Staunen geraten: über die Frage „Isch do frei?“ im Zug (wenn sichtlich alle Plätze frei sind), über die Frage „Gahts guet?“, die fast keine andere Wahl zulässt, als zu sagen „Ja, es geht gut“, über das unentwegte Schönen-Tag-Wünschen („En schöne!“) und Dankesagen („Merci vilmoll!“) oder über das Namensgedächtnis der Schweizer, die von Kind an gewöhnt sind, den anderen mit Namen anzusprechen.

Doch zurück zum Kommunikationsverhalten. Eben fielen die Stichwörter „zurückhaltend“ und „diplomatisch“. Diese sind für die Schweizer Kommunikationskultur zentral. Man ist darum bemüht, dass der andere in einer Diskussion nicht das Gesicht verliert, nicht brüskiert wird. Das hängt damit zusammen, dass der Konsens in der Schweiz eine zentrale Rolle spielt, dass man – wie es ein Politiker einmal sagte – zur Konkordanz verdammt ist. Wie oft muss man hier eine Entscheidung aushandeln, die von allen mitgetragen werden soll. Das gilt nicht nur für den siebenköpfigen Bundesrat, das zeigt sich auch in den Volksabstimmungen, in den Gemeindeversammlungen, in den Vereinssitzungen. Und man möchte sich nach jeder kontroversen Debatte noch unter die Augen treten können. Kritik bringt man also nicht direkt oder gar verletzend vor, man äußert sich vorsichtig, sagt vielleicht zunächst etwas Positives und kommt dann erst zur Sache (ohne Angriff auf die Person).

Kann man es vor diesem Hintergrund den Schweizern verdenken, dass sie sich über den deutschen Finanzminister Peer Steinbrück mit seinen harschen Worten zu Steuerflucht und Bankgeheimnis empören (auch wenn sie ihm in der Sache zustimmen)? Damit hat Steinbrück den Deutschen in der Schweiz einen Bärendienst erwiesen: Nun ist es wieder da, das Bild des arroganten Deutschen, der ungehobelt seine Meinung sagt.

Das bringt mich zum nächsten Punkt: Wie wird man in der Schweiz wahrgenommen? Ist man als Deutscher willkommen? Die Frage stellt sich umso mehr, als man keineswegs diesen Eindruck hat, wenn man die Medienberichte der letzten Jahre verfolgt. Da startete die Boulevardzeitung „Blick“ im Februar 2007 eine Serie „Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?“. Da liest man im Wochenmagazin „Facts“: „Schweizer mobben Deutsche“. Und in der „NZZ am Sonntag“ hieß es jüngst: „Die Schweiz wird deutscher“. Dass immer mehr Deutsche in die Schweiz kommen, trifft zu. Dies hängt mit dem Abkommen über die Personenfreizügigkeit von 2002 zusammen, das den Aufenthalt von EU-Bürgern in der Schweiz erleichtert. Unter diesen EU-Bürgern sind es vor allem die Hochqualifizierten, die in die Schweiz kommen. Die vielen deutschen Ärzte, Pfarrer, Professoren, Ingenieure stellen mittlerweile die größte Gruppe der Zuwanderer dar. Über sie alle wurde in Schweizer Zeitungen geschrieben, im Fernsehen berichtet, ihr Da-Sein als Problem dargestellt. Dahinter steht sicher der Wunsch nach Bewahrung der kulturellen Identität. Hinzu kommt die Angst um den Arbeitsplatz beziehungsweise die Befürchtung, dass Arbeitsplätze durch Zuwanderer besetzt werden und der eigene Nachwuchs keine Chance hat.

Neben diesen realen Sorgen wird in den Medien aber auch vieles hochgespielt und der Umgang mit den Deutschen zu einem Dauerthema gemacht, das im Alltag gar keines ist. Diesen Medienhype um die Deutschen sehen viele mit Unbehagen. Denn auch wenn man keinerlei Ressentiments wahrnimmt, beginnt man sich zu fragen – und wird man oft genug gefragt –, ob im persönlichen Umfeld nicht doch etwas davon zu spüren sei. Ich kann das nicht bestätigen. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass die Stimmbürger am 8. Februar dieses Jahres die Weiterführung der Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union beschlossen haben – trotz Wirtschaftskrise und Arbeitsplatzkonkurrenz. Dieses Ja zur Personenfreizügigkeit ist ein Auftrag an die Regierung, den 2002 eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Mit dem Ergebnis dieser Volksabstimmung setzte die Schweiz ein Zeichen – und nicht nur die Deutschen in der Schweiz hat’s gefreut.

Die Autorin lebt seit sieben Jahren in der Schweiz. Sie ist Professorin an der Universität Zürich und Mitherausgeberin des Buches „Schweizer Standarddeutsch“.

Christa Dürscheid

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