zum Hauptinhalt

Panorama: Vom Recht des Kannibalen

Gericht entscheidet: Der Film „Rohtenburg“ darf in Deutschland nicht gezeigt werden

Berlin - Der Kannibalenfilm „Rohtenburg“ darf in Deutschland nicht gezeigt werden. Das hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden. Die deutsch-amerikanische Produktion wird folglich nicht, wie geplant, am 9. März auf die Leinwand kommen. Auch als DVD oder Video-Kassette darf sie nicht vertrieben werden. Damit schlug sich das Gericht auf die Seite des als „Kannibalen von Rotenburg“ bekannt gewordenen Straftäters Armin Meiwes, der durch den Film seine Persönlichkeitsrechte verletzt sah.

Obwohl Meiwes mit seiner beispiellosen Tat großes Medieninteresse hervorgerufen habe, bedeute dies nicht, dass er sich zum Gegenstand eines Horrorfilms machen lassen müsse, so das Gericht. Ähnlich wie im Fall von Maxim Billers Roman „Esra“ im vergangenen Jahr wurde das Persönlichkeitsrecht also erneut höher eingeschätzt als die Freiheit der Kunst.

Anders als die beiden „Esra“-Klägerinnen gilt Meiwes jedoch als Person der Zeitgeschichte. Seine Tat ging in allen Details durch die Medien. Auch haben der Berliner Regisseur Martin Weisz und Drehbuchautor T.S. Faull einiges getan, um Parallelen zwischen Film und realem Fall nicht überdeutlich werden zu lassen. Sie änderten die Schreibweise des Tatorts von Rotenburg in Rohtenburg. Gedreht wurde statt in Nordhessen in Wuppertal und Umgebung. Die Namen der Protagonisten sind abgewandelt: Die Kannibalen- Figur heißt nun Oliver Hartwin; das Opfer wurde von Bernd Brandes in Simon Grobek umbenannt. Und eine US-Studentin, die über den Fall promoviert, kam als fiktives Element hinzu. Dennoch entdeckte Meiwes 88 Übereinstimmungen zwischen seinem Fall und dem Film, darunter Details aus seiner Kindheit. Während der Verhandlung hatte der zuständige Richter Bodo Nordmeier gesagt, diese Parallelen seien „hinreichend glaubhaft“.

Beim Verstoß gegen das Urteil müssen Produzent Marco Weber und seine Firma Atlantic Streamline mit 250 000 Euro Ordnungsgeld oder bis zu sechs Monaten Haft rechnen. Die Produktionsfirma kündigte an, sämtliche Rechtsmittel auszuschöpfen. Der deutsche Verleih Senator warnte vor „verheerenden Auswirkungen“ für Filmwirtschaft und Filmkunst.

In seinem Urteil verwies das Gericht abwertend auf das Genre des Films. Dabei stellt sich die Frage, ob „Rohtenburg“ tatsächlich als Horrorfilm zu bezeichnen ist. Die Genre-Merkmale – Angst- und Schreckmomente, exzessive Gewalt, Ekel – spielen in „Rohtenburg“, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Auch wenn sich der Film ästhetisch bisweilen an „Das Schweigen der Lämmer“, dem berühmtesten aller Kannibalen-Thriller, orientiert, versucht er sich eher an einem Psychogramm zweier merkwürdiger Männer – wobei die Betonung auf dem Wort „versuchen“ liegt. Mit küchenpsychologischen Erklärungen wie Vaterverlust und Mutterkomplex werden die Beweggründe der beiden Hauptfiguren erklärt.

Dabei zeichnet den ungelenken Film vor allem eines aus: seine unfreiwillige Komik. Beispiel: Als sich Hartwin und Grobek das erste Mal begegnen, stellt sich das Opfer mit den Worten vor: „Ich bin dein Fleisch.“ Worauf der Kannibale nur entgegnet: „Oliver.“ In einer anderen Szene schreit Grobek, gespielt von Thomas Huber, einen Strichjungen an: „Beiß in mein Ding! Beiß in mein Ding!“ Für Filme dieser Güteklasse hat sich der Begriff „Trash“ etabliert. Das Erstaunlichste an „Rohtenburg“ bleibt deshalb das Mitwirken des international angesehenen Schauspielers Thomas Kretschmann („Der Pianist“, „King Kong“). In der Rolle des Kannibalen läuft er mit Topffrisur herum und muss in einer Szene hingebungsvoll in einen gekneteten Teig-Penis beißen.

Aus filmkritischer Sicht kann man den Film problemlos in die Kategorie „unterirdisch“ einordnen. Doch Geschmackseinwände sind in Deutschland kein Grund für Aufführungsverbote. Nahe liegender Beweis: Rosa von Praunheims ebenfalls hart an der Geschmacksgrenze operierender und auch vom Fall Meiwes inspirierter Kannibalenfilm „Dein Herz in meinem Hirn“ darf gezeigt werden. Noch jedenfalls. Denn Meiwes’ Anwalt Harald Ermel kündigte auch gegen diesen Film – ebenso wie gegen das Lied „Mein Teil“ der Rockgruppe Rammstein – rechtliche Schritte an. Will er damit Erfolg haben, muss es mit dem Urteil schnell gehen: Praunheims Film soll schon am 9. und 10. März in den Berliner Hackeschen Höfen laufen.

Julian Hanich

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false