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Zerbrochen. Die Prestige 2002. Foto: dpa

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Panorama: Von Schuld und Haftung

Der Krisenmanager der „Prestige“-Ölpest ist heute Spaniens Premier – belangt wird aber der Kapitän.

Die schwarze Flut vor der Atlantikküste Spaniens war eine der schlimmsten Umweltkatastrophen in Europa. Annähernd 3000 Kilometer Küste wurden verpestet, 250 000 Seevögel verendeten. Ziemlich genau zehn Jahre, nachdem der griechische Schrott-Tanker „Prestige“ auseinanderbrach und tonnenweise Schweröl ins Meer spuckte, beginnt nun die juristische Aufarbeitung dieses Umweltdramas. Vor dem Gericht in der nordspanischen Stadt La Coruña geht es darum, wer die Schuld an dem Desaster trägt und wer den Schaden in Höhe von mehr als vier Milliarden Euro bezahlen muss.

Das Drama begann am 13. November 2002, als die altersschwache „Prestige“ SOS funkte. Der 26 Jahre alte Supertanker mit 77 000 Tonnen Schweröl an Bord war rund 50 Kilometer vor der felsigen Küste der Atlantikregion Galicien, der „Küste des Todes“, bei schwerem Wetter leckgeschlagen. Durch einen Riss im Einfachrumpf begann Öl auszuströmen. Spaniens damalige konservative Regierung ordnete an, den havarierten Tanker aufs offene Meer zu schleppen, „um eine Katastrophe an der Küste zu vermeiden“.

Das Ende kam sechs Tage später, am 19. November, rund 250 Kilometer vor der Küste. Die „Prestige“ brach auseinander, sank auf 3500 Meter Tiefe. Fast die ganze Ölladung lief aus. Der Meeresboden wurde verseucht, die Atlantikküste von Nordportugal, Spanien und Südfrankreich wurde kontaminiert. Tausende Fischer und Freiwillige kämpften mit Eimern, Schaufeln, Bratpfannen und Netzen gegen das Öl, während die Regierung zunächst hilflos zusah und die Katastrophe kleinredete: „Es gibt keine Ölpest.“

In einem Untersuchungsbericht machte das Europäische Parlament später den Abschleppbefehl der spanischen Regierung verantwortlich für das Ausmaß der Tragödie: „Diese Entscheidung war der Grund, dass sich die Verseuchung auf eine sehr große geografische Zone ausweitete.“ Die Regierung schob die Schuld derweil auf den inzwischen 77-jährigen griechischen Kapitän Apostolos Mangouras. Ihm wird jetzt zusammen mit zwei Schiffsoffizieren der Prozess gemacht. Auch der damalige Chef der spanischen Seefahrtsbehörden muss sich wegen eklatanter „Fehlentscheidungen“ bei der Krisenbewältigung verantworten. Seine obersten Befehlsgeber, zu denen Ex-Verkehrsminister Francisco Alvarez Cascos sowie der damalige „Krisenmanager“ und heutige Ministerpräsident Mariano Rajoy gehören, werden juristisch nicht belangt.

Die Untersuchung wurde durch das undurchsichtige Netz von Verantwortlichen hinter dem Unfalltanker erschwert: Die „Prestige“ gehörte einer Firma in Liberia, fuhr für eine griechische Reederei, unter der Flagge der Bahamas. Doch auch aus den Reihen der Reeder und Eigentümer sitzt niemand auf der Anklagebank.

Die Richter müssen sich durch 230 000 Aktenseiten wühlen. Es werden rund 140 Zeugen gehört, 70 Anwälte vertreten Angeklagte und Nebenkläger, zu denen auch Fischer und Küstendörfer gehören. Es wird zudem um finanzielle Entschädigungen gehen. Darum, wer den langen Kampf gegen die Ölflut, wer die Säuberung der Küsten bezahlen soll. Frühestens in knapp einem Jahr wird ein Urteil erwartet.

Im Wrack der „Prestige“ soll noch tonnenweise Schweröl schlummern. Helfer, die den Giftschlamm von den Felsen kratzen, klagen über Atembeschwerden. Und Umweltschützer warnen, dass sich die Katastrophe vor der Küste, an der jedes Jahr 14 000 Tank- und Chemieschiffe vorbeifahren, „jederzeit wiederholen kann“.

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