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Panorama: Vor drei Wochen ging Ursula Böttchers weltberühmte Eisbären-Dressur zu Ende. Obwohl sie zusammengehören, hat man die Tiere getrennt.

Attilaaa!" Elf Stockwerke Beton.

Attilaaa!" Elf Stockwerke Beton. Ein Hausflur wie in Andreas Dresens "Nachtgestalten". Und als in dem Film der Angestellte Peschke in den Fahrstuhl wollte, standen schon zwei Skinheads drin. "Attilaaa!" Wohnen in solchen Häusern wirklich nur Skinheads und Hunnen? Die Ruferin steht mit unwilliger Gebärde auf dem ersten Treppenansatz. Sie ist es. Ursula Böttcher, die Frau mit der weltberühmten Bärennummer. Sie hebt Attila, den Hunnen, hoch. Attila bellt versöhnlich. Er ist etwas kleiner als die Tiere, mit denen Ursula Böttcher sonst Umgang hat. Ein Yorkshire-Terrier. Seit zwei Wochen muss er ganz allein drei Eisbären ersetzen. Denn am 7. September hat Ursula Böttcher ihre Familie verloren. Tromsö, Kenny und Maika.

Am Montag, dem 6. September, ging Ursula Böttcher zu ihrem Chef. Der ist von Beruf "Liquidator". Kurt-Christian Knischewski, Liquidator, so unterschreibt er. Das Objekt der Liquidation ist die "Berliner Circus Union GmbH", Rechtsnachfolger des Staatszirkus der DDR. Zu ihm gehören Ursula Böttchers weltberühmte Eisbären. Und doch, es schien alles gut zu gehen. Bald sollten die abzuwickelnden Eisbären Tromsö, Kenny, Maika, Olaf und Boris in einem spanischen Safari-Park leben. Zusammen. Das war Ursula Böttchers größter Wunsch. Alles war geregelt. Nur eins nicht. Nehmen wir Tieflader? Oder wie sonst reisen fünf Eisbären nach Spanien? Darüber war zu reden. Also ging Ursula Böttcher zu ihrem Chef. Da war der Fahrer eines französischen Tierparks schon in der Stadt. Und der Wagen des Berliner Zoos stand abfahrbereit. In ein paar Stunden würden sie Ursula Böttchers Eisbären abholen. Und sie wusste noch immer nichts. Vergessen Sie Spanien!, sprach der Liquidator. Er habe beschlossen, die Bären aufzuteilen. Zuerst sagte Ursula Böttcher nichts. Und dann sagte sie: Nein!

Das war leichtsinnig. Wer ist sie denn, "Nein!" sagen zu können? Natürlich, die "Baroness of the bears", wie die Amerikaner sie nannten, einzige Trägerin eines Zirkus-Oscars, der je an Nicht-Artisten vergeben wurde, sie ist eine Welt-Sensation - aber kann das genügen? Für Herrn Knischewski ist Ursula Böttcher wohl auch eine DDR-Altlast. Und Herr Knischewski ist gewissermaßen der Chef solcher Altlasten.

Am nächsten Morgen ging sie wie immer nach Hoppegarten, ins Bärenquartier. Da stand Tromsö reisefertig in der Kiste. Das Auto, das Maika in den Berliner Zoo holen sollte, wartete schon. Ich habe mich nicht mal von ihnen verabschieden können, sagt Ursula Böttcher. Der Liquidator aber lächelte: Frau Böttcher, sehen Sie es gelassen! Doch das kann sie nicht. Bären, Löwen und Tigern stand sie völlig gelassen gegenüber. Aber dem Herrn Knischewski? Unmöglich.

Ursula Böttcher, einundsiebzig Jahre alt, sitzt zu Hause auf ihrem Sofa und versteht noch immer nichts. Attila erwidert verständnisvoll ihren Blick. Direkt vor Ursula Böttchers Balkon findet gerade ein Kaulsdorfer Volksfest statt. Die aufblasbare Ritterburg verstellt die Aussicht. Die Musik von "Mambo No 5" füllt das Wohnzimmer. Sie hört es nicht. Ihre Augen sind von durchdringendem Blau. Mit diesen Augen hat sie Herrn Knischewski angesehen und ihm mitgeteilt, dass sie ihn für gemein halte, worauf dieser sprach: Vorsicht, sonst mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch! Das heißt, erläutert Ursula Böttcher, er lässt mich rauswerfen aus Hoppegarten.

Sie ist klein. 1,58 Meter. Das fiel dem Generaldirektor des VEB Zentralzirkus der DDR 1961 auch schon auf. Und er überlegte nach Art der Zirkusdirektoren: 1,58 Meter Uschi und 3 Meter nochwas ein Eisbär. Was für ein effektvoller Kontrast! Und so herrlich steigerbar. Je mehr Eisbären . . . Also begann der Generaldirektor: "Uschi, Sie kennen doch die Eisbären-Nummer, die wir von Trolle gekauft haben und die jetzt der Schneider vorführt?"- "Natürlich, die läuft ganz gut." - "Ich könnte mir aber vorstellen, dass sie noch besser ankäme, wenn eine Frau in der Manege stünde." - "Sie meinen . . . ?" Ursula Böttcher gab zu bedenken, dass sie mit ihren Löwen derzeit sehr viel Spaß habe und überhaupt . . . Doch da habe sie der Generaldirektor unterbrochen: "Frau Böttcher! Sie haben zwei Möglichkeiten: Entweder Sie übernehmen die alten Bären - oder Sie kriegen eine Hundenummer!"

Ob ich mir vorstellen könne, wie sie das gekränkt habe? Hundenummer! Attila besieht die Empörung seiner Beschützerin. Was soll an einer Hundenummer Kränkendes sein? Überhaupt muss kein Hund so leben wie er. Umstellt von Eisbären. Dort, wo andere Hundebesitzer Hundefotos haben: Eisbären. In der Anbauwand: Eisbären. Meist aus Porzellan. Mit und ohne Schals. Auch als Kerzenleuchter. Auf dem Videorekorder: Eisbären. Neben dem Telefon: Eisbären. Nur über dem Esstisch hängen - Löwen.

Jeder fängt mal klein an. Ursula Böttcher begann mit Löwen. Davor war sie Putzfrau. Doch durchaus karrierebewusst. Also bald schon oberste Putzfrau beim Zirkus. Und sie sah die jungen schönen Bewerberinnen, die sich meldeten auf die Zirkus-Annonce: "Attraktive Löwenbändigerin gesucht!" So ungefähr. Die angehenden Löwenbändigerinnen hörten die Löwen fauchen, und "das Herz rutschte ihnen in die viel zu kurzen Röcke". So steht es in Ursula Böttchers Autobiographie "Kleine Frau, bärenstark", die letzte Woche im Verlag "Das Neue Berlin" erschien. Siegfried Blütchen, ihr Bruder, hat sie aufgeschrieben, denn Ursula Böttcher verfaßte selbst während ihrer Jahre in Amerika nur ein paar Postkarten. Darauf stand etwa: "Vorige Woche mussten wir Neptun einen Zahn ziehen lassen. Das geht nur in Vollnarkose, sonst traut sich kein Zahnarzt ran. Bei dieser Gelegenheit haben wir ihn gewogen und gemessen. Er wiegt 803 Kilo und misst vom Kopf bis zu den Plattfüßen 3,42 m."

Egal, ob Eisbär oder Löwe, Angst hat sie noch nie gehabt. Sobald man Angst hat, ist es vorbei, sagt Ursula Böttcher. Die Tiere spüren das. Angst habe sie vor Spinnen. Tiere mit mehr als vier Beinen findet sie unheimlich. Gegenüber Löwen und Eisbären habe sie einfach immer gedacht: Ich bin der Chef! Und dieses Gefühl fand sie sehr angenehm. Vielleicht empfindet der Herr Knischewski ihr gegenüber ganz ähnlich. Insofern kann Ursula Böttcher den Herrn Knischewski sogar verstehen.

Im Frühjahr machte sie wohl den ersten Fehler. Da wollten Ursula Böttcher und die Eisbären wieder mit dem "Circus Busch-Roland" auf Tournee gehen. Sie hatten einen Vertrag. Interessiert keinen Menschen!, sagte da der Herr Knischewski sinngemäß. Da war er gerade Frau Böttchers Chef geworden, also Liquidator der "Berliner Circus Union". Natürlich sieht es kein Liquidator gern, wenn seine Liquidationsobjekte erstmal auf Tournee gehen. Ursula Böttcher war gerade zurückgekehrt von einem erfolgreichen Winter-Gastspiel in ihrer Heimatstadt Dresden. Fotos zeigen sie mit Kurt Biedenkopf. Und nun das. Natürlich sieht es wiederum kein Zirkus gern, wenn Eisbären ihre Verträge nicht erfüllen. Also ging der "Circus Busch-Roland" vor Gericht. Das Gericht entschied: Vertrag ist Vertrag, und so ließ man die Eisbären per Gerichtsvollzieher aus ihrem Winterquartier in Hoppegarten holen. Mag sein, dass das falsch war. Als Geste. Denn Menschen, die Macht über einen haben, sollte man gefallen. Und Ursula Böttcher gefiel Kurt-Christian Knischewski überhaupt nicht. Darum hat der Knischewski das jetzt gemacht mit den Bären, sagte eine Mitarbeiterinnen von Ursula Böttcher zu dem Betreuer der Tiere, Joachim Krebs, der sich am 7. September weigerte, die Bären zu verladen. Er sollte mit ihnen zusammen nach Spanien gehen. Er kennt alle ihre Eigenheiten seit über zehn Jahren, weiß genau, was sie fressen. Jetzt ist er arbeitslos.

Ursula Böttcher hat einen Aktenordner neben sich, den sie hartnäckig geschlossen hält: "Was ich Ihnen alles zeigen könnte!" Kann sie aber nicht, denn Kurt-Christian Knischewski, der Liquidator, hat sie darüber belehrt, was alles passieren könne, wenn sie "betriebliche Interna" preisgäbe. Gekündigt ist sie erst ab dem 30. November. Das Kündigungsschreiben aber hat sie in ihrem Buch schon mal abgedruckt: "Sehr geehrte Frau Böttcher! Hiermit kündige ich Ihr Beschäftigungsverhältnis zum 30. 11. 1999, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin, aus betriebsbedingten Gründen. Mit freundlichen Grüßen! Kurt-Christian Knischewski." Nach 47 Jahren Zirkus und einer Weltkarriere eineinhalb Zeilen. Und noch immer der Zwang, Herrn Knischewski nicht ganz zu missfallen. Denn sonst darf sie nicht mehr nach Hoppegarten.

Aber sie muss nach Hoppegarten. Und zwar täglich. Denn dort sind noch immer Kenny und Boris. Kenny, der jeden Tag auf Tromsö wartet, mit dem er zusammen schlief und spielte. Tromsö aber wird er nie wieder sehen, denn der ist ja in Frankreich. Im Zoo Amneville. Warum haben sie Kenny und Tromsö getrennt? Ich begreife das nicht!, sagt Ursula Böttcher. Vor ihrem Balkon spielen sie wieder das Lied "Mambo No 5". Sie versteht auch nicht, dass der Zoo ihre beiden "Männer" überhaupt genommen hat. Für bares Geld, vermuten Fachleute. Denn kein Zoo mache sowas freiwillig. Zoos wollen züchten. Sie brauchen also einen Mann und viele Frauen. Zwei männliche Eisbären beißen sich gegenseitig tot.

Überhaupt, das Geld. Die Liquidation des vormaligen Staatszirkus der DDR hätte seit "Eröffnung" 1992 "bereits einen zweistelligen Millionenbetrag verschlungen", teilte Kurt-Christian Knischewski mit. Ja, wissen Sie denn auch, wie der zustandekommt?, fragt der Pressesprecher des "Circus Busch-Roland" und erinnert sich gerade noch rechtzeitig an seine "Stillschweigeklausel". In einem Pressetext ist die Rede von Zahlungen an seinen Zirkus. Busch-Roland hatte Ursula Böttchers Bären immerhin vorzeitig aus dem Vertrag entlassen, damit sie nach Spanien gehen kann. Ist sowas eigentlich kostenlos? Überhaupt werden ostdeutsche Zirkusleute ganz böse, wenn es um ihre "Privatisierungsgeschichte" geht. Der DDR-Zirkus war im Unterschied zu anderen VEBs kein maroder Betrieb, sondern Weltklasse. Man kann die Sache also trotzdem in den Sand setzen. Aber das wäre schon eine andere Geschichte. Die wolle und könne sie nicht erzählen, sagt Ursula Böttcher. Viele denken ohnehin, bei dieser überstürzten Abwicklung jetzt gehe es eigentlich um die Immobilie. Das riesige Winterquartier des ehemaligen Staatszirkus der DDR liegt nämlich ungemein attraktiv bei der Galopprennbahn Hoppegarten. Was für ein Platz für ein Pferdewetter-Nobelhotel! Ursula Böttcher schüttelt unwillig den Kopf. Sie hasst es, solche Dinge denken zu müssen. Dinge, die sich nicht wirklich beweisen lassen. Es hieß lange, Eisbären, die gefährlichsten Raubtiere der Welt, kann man nicht dressieren. Sie wären zu unberechenbar. Ihre Miene verrät ja nichts von dem, was sie vorhaben. Genau wie bei jedem durchschnittlichen Geschäftemacher. Und trotzdem hält Ursula Böttcher Bären für vergleichsweise ungefährlich.

Kurt-Christian Knischewski wurde im November 1998 zum Liquidator bestellt. Zuvor war ein letztes Privatisierungskonzept für die "Berliner Circus Union" gescheitert. Der zuständige Gutachter war - Knischewski.

Aber dass der Berliner Zoo ihre Maika abholte, kann Ursula Böttcher gut verstehen. Zuchtfähige Eisbärenweibchen seien unbezahlbar. Und fast nirgends zu bekommen. Höchstens als Staatsgeschenk, ergänzt am Telefon der Pressesprecher des "Circus Busch-Roland" und kombiniert ein bisschen: Kurt-Christian Knischewskis engste Liquidierungsberaterin heißt Ursula Klös. Ursula Klös ist die Schwiegertochter des früheren Berliner Zoodirektors und heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden von Zoo und Tierpark, Heinz-Georg Klös. Ihr Mann wiederum arbeitet ebenfalls in leitender Stellung im Zoo. - Jawohl, dass der Eisbär Maika in den Berliner Zoo kam, sei in gewissem Sinne logisch. Ursula Böttcher hat ihre Bärin trotzdem noch nicht besucht. Ich gehe dort nicht mehr hin, sagt sie.

Es klingelt an der Tür. Ein Meinungsforschungsinstitut steht draußen. "Ich habe keine Meinung", bescheinigt die Bärenbändigerin barsch dem aufrichtig überraschten Institut, "ich habe zu gar nichts eine Meinung. Ich will meine Ruhe."

Der Liquidator hat am 6. September eine Presseerklärung mit der Überschrift "Eisbären nach Odyssee im Ruhestand" herausgegeben. Die fängt so an: "Nach monatelangem Suchen und Verhandeln ist es gelungen, für die fünf Eisbären der Dressur von Frau Ursula Böttcher endgültige Unterkünfte zu finden . . . Damit können die weltberühmte Dresseuse wie auch ihre Schützlinge in den wohlverdienten Ruhestand treten." Von wegen Ruhestand!, ruft die "weltberühmte Dresseuse", ich habe wegen Spanien auf meine Karriere verzichtet! Angebote hatte sie noch für die nächsten fünf Jahre. Zirkus Krone wollte sie haben. Auch ein französischer Zirkus schrieb an Herrn Knischewski mit inständigem Interesse. Alles könne er bieten und natürlich eine volle Übernahme. - Knischewski sagte ab. Nie wieder Zirkus!, entschied er.

Doch auch im Innern eines Liquidators schlägt ein menschliches Herz. Ein tierschützerisch engagiertes Herz. Ursula Böttcher beruhigte ihn. Jeder wisse, wie sehr sie ihre Bären liebe. Was man schon an deren Alter erkenne. In Zoos würden sie zwanzig Jahre alt, bei ihr über dreißig. Und wie sie gewacht habe bei ihnen, wenn sie krank waren. Nein, Ursula Böttcher versteht den abstrakten Tierschutz nicht. Was heiße denn "artgerecht"? Leben wir etwa artgerecht? Ihre Zuwendung gleiche das Künstliche am Zirkusbärenleben doch wieder aus. Den tierfreien Zirkus der Zukunft mag sie sich nicht vorstellen. Zirkus - ist das nicht allein schon der Geruch? Als Kind im Dresdner "Sarrasani" auf ihrem billigen Stehplatz - sehen konnte sie da fast nichts, aber riechen konnte sie alles. Und kam fast jeden Tag wieder.

Die "Amerika-Mappe". Ein dicker Ordner voller Zeitungsausschnitte aus den USA. Alle über sie und ihre Bären. Eisbären, durch Feuerreifen springend. Ursula, auf Eisbären reitend. Ursula, Eisbären küssend. Attila, der Terrier, sieht auf die Bilder mit ungeheucheltem Desinteresse. 16th July 1980: "Alaska, a 10 foot polar bear, takes a cube of sugar from the lips of trainer Ursula Böttcher." Nein, es habe überhaupt keinen Spaß gemacht, Alaska zu küssen. Abgesehen davon, dass man bei der Mund-zu-Schnauze-Zuckerübergabe den Pranken des Bären wehrlos ausgeliefert sei. Das Schlimmste aber war Alaskas Spucke, dieses durchdringende Lebertran-Aroma. Ihre heutige Bärengruppe hat sie zur Wendezeit gerade "aufgebaut". Darum sind es auch nur fünf geworden. Als die nächsten fünf kommen sollten, gab es die DDR schon nicht mehr, keinen Staatszirkus und keinen, der noch fünf Eisbären bezahlt hätte. Aber es sei auch so eine recht ansehnliche Nummer geworden. Ja, sie hätte gern weitergemacht.

Sie hat immer weitergemacht. Sogar 1990 nach dem tödlichen Unfall ihres Lebenspartners Manfred Horn. Nemo, ein Kodiak-Bär, ging nicht auf seinen Platz zurück. Dem Dompteur fiel ein Stück Fleisch aus der Tasche. Er merkte es nicht. Der Bär sprang auf Manfred Horn zu. Er wollte das Fleisch, nicht ihn. Aber er warf ihn um. Das ist das Schlimmste, sagt Ursula Böttcher, wehrlos am Boden liegen. Plötzlich bist du nicht mehr Leittier, sondern Opfer. Sie stand dabei. Sie schrie die Bären an, gab ihnen mit der Eisengabel eins über die Schnauze. Vergeblich. Vier Bären zugleich konnte sie nicht abwehren. Hinterher haben die anderen ihren Mann hoch gehoben: "Und da habe ich seine Beine gesehen. Es war wie im Film, wenn man Skelette tanzen sieht. Nur noch Knochen, kein Stück Fleisch mehr dran. Auch die rechte Seite war zerfleischt, und die rechte Schulter war weg. Und dann hat er gesagt: Menschenskinder, hoffentlich kann ich morgen arbeiten."

Manfred Horn starb am 23. Oktober 1990. Tötet die Killerbären!, schrieb damals die Boulevardpresse. Aber sie habe nie so denken können. Ein Tierpark bei Hagenbeck nahm die Kodiaks. Ursula Böttcher sieht sie noch heute auf das Gelände laufen. Es sei ein schöner Augenblick gewesen.

Raubtierdressur, das ist eine Überlegenheit der Psyche. Ich bin das Leittier, sagt Ursula Böttcher, und wie in der Natur versucht immer mal einer, mir diese Position streitig zu machen. Da muss man in Sekundenschnelle richtig reagieren. Sie ist einundsiebzig. Ihre Ärztin sagt, sie könne auch zur Nasa gehen, wenn sie das mit den Bären nicht mehr machen darf. Bemannte Raumfahrt, das wäre doch was für Ursula Böttcher. Oder ich dressiere weiße Mäuse, überlegt die Dompteuse. Sie ist noch nicht sicher. Es war kein gutes Jahr für sie. Im Frühjahr verlor sie Norda, die letzte Bärin ihrer alten Gruppe. Sie war 37 Jahre alt und sehr krank. "Das ist, als ob Sie 150 wären", erklärt Ursula Böttcher. Ein Tierarzt gab Norda die Spritze. Ursula Böttcher blieb bei ihr bis zuletzt.

Attila wird das jetzt zu elegisch. Immer nur Eisbären! Der Terrier will endlich raus. Im Hausflur grüßt ein junges Mädchen. Aber sie kennt Ursula Böttcher nicht. Keiner weiß hier, wer die kleine Frau mit den hellen Augen ist. Sie war ja nie zu Hause. In den nächsten Jahren wollte Ursula Böttcher all ihre Freunde besuchen. Ursula Böttchers Freunde wohnen "auf der ganzen Welt", denn dort habe sie ihr Leben verbracht. Genauer ließe sich das nicht eingrenzen. Aber zwischendurch wäre sie immer nach Spanien zu ihren Bären gekommen. Die Bären und sie kennen den Rio Safari Park bei Alicante seit langem. "Wir hatten alles dort." "Alles" bedeutet in der Eisbärenwelt jede Menge Wasser, Fische und weiße Sägespäne. Das Bären-Schwimmbecken ist schon ausgehoben. Die Gehege sollten jetzt nach Ursula Böttchers Vorstellungen gebaut werden. Ute Kuhn vom Rio Safari Park kann sich die Absage aus Berlin auch nicht erklären. Keiner kann das.

Aber vielleicht ist alles ganz einfach. Sicher dachte der Liquidator im letzten Augenblick: Eisbären in Spanien - ist das nicht bärenfeindlich? - Welch ein Unsinn!, ruft Ursula Böttcher. Ihre Bären wären schon in Florida und auf den Kanaren gewesen. Jahrelang. Es ginge ihnen genau wie uns. Wir halten es überall aus, zur Not sogar kurz vorm Nordpol. Aber wir lieben Spanien.

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