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Panorama: Vor Maria machten die Flammen halt

Wie ein Wunder: In der Türkei blieb ein Haus der Mutter Gottes vom Waldbrand verschont

Scheinbar unaufhaltsam wälzte sich die Feuerwand den „Bülbüldagi“, den Nachtigallenberg, in der Nähe der westtürkischen Stadt Selcuk herunter. Seit Tagen wüten an der türkischen Ägäisküste große Waldbrände, denen bereits mehrere tausend Hektar Bäume und Sträucher zum Opfer gefallen sind. Feuerwehrleute und Freiwillige sind an vielen Stellen machtlos, nichts scheint die Flammen aufhalten zu können – doch am Nachtigallenberg stoppte die Feuerwalze plötzlich wenige Meter vor einem Haus mitten im Wald. An dem Ort soll die Gottesmutter Maria vor zweitausend Jahren nach dem Kreuztod Jesu den Rest ihres Lebens verbracht haben. „Ein Wunder“, sagt der Bürgermeister von Selcuk, Hüseyin Vefa Ülgür, und nicht nur er.

Das Marienhaus bei Selcuk ist seit Jahren beliebter Ausflugsort für Touristen und Wallfahrtsort für Christen und Muslime gleichermaßen; die Muslime verehren Jesus als einen der Propheten. Nicht nur die Lokalpolitiker, sondern die Menschen in der ganzen Gegend sprechen angesichts der unerwarteten Rettung des Marienhauses von einem Wunder, berichtete die Tageszeitung „Vatan“. Er habe das Haus angesichts der nahenden Flammen schon verloren gegeben, sagte Bürgermeister Ülgür. Doch dann seien die Flammen plötzlich zum Stillstand gekommen und verloschen. „Wie man das erklären soll, weiß ich nicht.“

Auch Tarcy Mathias, ein Mönch, der das Marienhaus bewacht, sprach von einem „großen Wunder“. Schließlich sei das Haus ein heiliger Ort für alle Religionen. Die Möglichkeit, dass die Rettung des Hauses dem unermüdlichen Einsatz der Feuerwehrleute zu verdanken sein könnte, spielt dagegen kaum eine Rolle. Immerhin hatten die Behörden ein halbes Dutzend Löschflugzeuge und -hubschrauber in der Gegend eingesetzt.

Der Legende zufolge soll sich Maria nach dem Tod Jesu in der heutigen Westtürkei niedergelassen haben. Viele Christen glauben, dass die Mutter Gottes vom Apostel Johannes aus dem Heiligen Land in die Nähe des heutigen Izmir gebracht wurde; Jesus hatte Johannes aufgetragen, für seine Mutter zu sorgen. Das alte Steinhaus im Wald in der Nähe von Selcuk, das zumindest teilweise auf das erste nachchristliche Jahrhundert zurückgehen könnte, ist deshalb zu einem Wallfahrtsort geworden. Sogar zwei Päpste, Paul VI. und Johannes Paul II., besuchten den Ort.

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Spekulationen darüber, dass sich auch das Grab Marias irgendwo am Nachtigallenberg befinden könnte. Johannes Paul soll sich bei seinem Türkeibesuch 1979 sogar heimlich mit türkischen Behördenvertretern getroffen haben, um den Ort des Grabes zu erfahren. Vor drei Jahren wurde gemeldet, am Nachtigallenberg seien Reste von Marias Sarkophag gefunden worden. „Behütet Marias Haus ein Geheimnis?“ fragte die Zeitung „Hürriyet“ am Mittwoch.

So groß ist die Aufregung um das angebliche Wunder vom Nachtigallenberg, dass sich das staatliche türkische Religionsamt veranlasst sah, einzuschreiten. Sicher sei die Rettung des Marienhauses vor den Flammen erfreulich, erklärte die Behörde. Aber von einem Wunder zu sprechen, gehe nun doch zu weit. Wunder oder nicht – das Marienhaus ist seit seiner bemerkenswerten Rettung vor dem Waldbrand beliebter denn je.

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