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© dpa

Vulkan: Leben in der „roten Zone“

Die direkte Umgebung des Vesuv ist dicht besiedelt – obwohl er als der gefährlichste Vulkan der Welt gilt. Forscher bereiten sich schon auf den Ausbruch vor, ohne den Zeitpunkt zu kennen.

Ein lauer Mittwochmorgen am Golf von Neapel, sonnig und von einem lichten Blau, wie es seit jeher Tausende von Malern fasziniert. Der Berufsverkehr kracht stinkend durch die kurvigen, engen Straßen; Mütter ziehen ihre Kinder an, um sie zur Schule zu bringen.

Plötzlich ein ohrenbetäubender Knall. Fünf Sekunden später ein zweiter. Die Fensterscheiben vibrieren, die ganze Luft zittert. Mit einem Schlag erstarrt das Leben auf den Straßen; erschrockene Blicke richten sich auf nur mehr ein Ziel: auf jenen grün-braunen Bergkegel direkt über der Großstadt. Ist es also so weit? Raucht er schon? Passiert nun, wovor alle Angst haben, aber woran keiner denken will: Erwacht der Vesuv?

Reise durch bizarre Lavafelder

Das „akustische Ereignis“, wie es die Vulkanforscher nüchtern in ihre Protokolle geschrieben haben, liegt nun genau sieben Monate zurück, und der Vesuv setzt ungerührt seinen nun schon 65-jährigen Schlaf fort. Über die schmale Serpentinenstraße an seiner Südwestflanke kriecht ein Touristenbus nach dem anderen hoch; es ist eine Reise durch bizarre Lavafelder aller Epochen: von undurchdringlicher Macchia überwuchert die älteren, von ersten, graugelben Flechten zaghaft besiedelt die jüngsten.

Hinein geht es – im Lavabett von 1944 – in die wüste Kraterschale des Monte Somma, des ersten Vulkans, den der berühmte Pompeij-Ausbruch im Jahr 79 regelrecht zerfetzt hat, und hinauf zum Schuttkegel des seither gewachsenen, des neuen Vesuv. Und oben, wo sich Busse und Schulklassen, Autos und Reisegruppen zu einem schier unauflöslichen Knäuel verwirren, da wartet der Vulkanologe Claudio Scarpati von der Universität Neapel. „Der Knall vom Oktober?“, meint er: „Ach ja, das waren zwei italienische Abfangjäger, die ein verirrtes, unbekanntes Flugzeug auf Kurs bringen und dafür kurz mal die Schallmauer durchbrechen mussten. Aber es hat einen starken Eindruck gemacht.“

600.000 Menschen wohnen in der allergefährlichsten Zone

Das Panorama, das Scarpati mit ausgestrecktem Arm weist, das macht einen nicht minder starken Eindruck: Die Millionenstadt Neapel und die lückenlos wuchernden Siedlungen um sie herum, die Vorstädte, die an den Vulkanhängen hochranken. „600.000 Menschen“, sagt Scarpati, „wohnen allein in der allergefährlichsten, in der ,roten Zone‘; alles in allem werden im Ernstfall bis zu zwei Millionen Menschen zu evakuieren sein, und das in kürzester oder kurzer Zeit.“

„Und dann“, fährt der bärtige Professor fort, „ist der Vesuv ja auch nur einer von vier Vulkanen in Kampanien.“ Er zeigt auf die Inseln im Meeresdunst: „Ischia, ein aktiver Vulkan; Procida, auch ein Vulkan. Nur Capri nicht.“ Und dann schwenkt Scarpatis Arm auf die dicht besiedelte Küstenlinie nordwestlich von Neapel. Kein Vulkan zu sehen. „Aber sehr aktiv“, sagt Scarpati. Es sind die „Campi Flegrei“, die „brennenden Felder“ um Pozzuoli herum, heute ein einziger, großer Krater mit mondartig vielen kleinen „Pickeln“ drumherum, und unter allem ein unberechenbar brodelnder Magmasee.

Was muss geschehen? Und wie dringend ist das?

„Noch Anfang der achtziger Jahre“, sagt Scarpati, „hat sich dort der Boden mitsamt dem Stadtzentrum um dreieinhalb Meter gehoben; da gab’s jeden Tag mehrere hundert Erdstöße. Das war ziemlich nervig.“ Pozzuoli wurde damals evakuiert, „aber in den letzten 20 Jahren ist das kollektive Gedächtnis an die Gefahr schon wieder geschwunden.“

Es waren die Berufsverbände der Geologen in Kampanien und Sizilien, die nicht nur die journalistischen Vulkantouren, sondern auch eine internationale Fachtagung organisiert haben, um das „kollektive Gedächtnis“ aufzufrischen und die Gefahrenabschätzung neu zu justieren. Denn dass der Vesuv, wegen der ungemein dichten Besiedlung um ihn herum, als der gefährlichste Vulkan der Welt gilt, das steht fest. Nur: Was folgt daraus? Was muss geschehen? Und wie dringend ist das?

Bodentemperatur, Hangneigung - alles wird überwacht

„Es ist wie bei den Erdbeben. Ob ein Vulkan wie der Vesuv weiterschläft oder ob er demnächst hochgeht, kann man als seriöser Wissenschaftler nicht vorhersagen“, meint Guido Trombetti, der Rektor der Universität Neapel. „Aber wir bereiten uns auf den Ausbruch vor“, ergänzt Claudio Scarpati, der Professor. Den Vesuv, an dem vor 150 Jahren die moderne Welt-Vulkanforschung überhaupt begann, haben sie ebenso wie den Ätna gespickt mit Messinstrumenten. Bodentemperatur und chemische Zusammensetzung der Dämpfe, Hangneigung und das Zittern des Vulkans – alles wird auf kleinste Veränderungen überwacht. Mit gezielten Explosionen erzeugen Forscher künstliche Erdbebenwellen, um den Untergrund zu durchleuchten.

Und dem Satelliten, der mit Mikrowellen das Gelände aus dem Weltraum abtastet, entgeht nach Angaben der Vulkanologen nicht einmal eine Bodenhebung von einem halben Zentimeter. Das Dumme ist nur: Genau jener Supersatellit kommt nur alle 35 Tage über dem Vesuv vorbei. „Wir hoffen auf einen neuen; dann verkürzen wir das Intervall auf zwei Wochen“, sagt Marcello Martini, der das Observatorium in Neapel leitet.

Die Forscher haben ein Ziel: die Vorwarnzeit so weit wie möglich zu verlängern. Denn anders als Erdbeben, sagen sie, kündigen sich Vulkanausbrüche an. Wie lange vorher, das weiß keiner. „Vier Tage, fünf Tage“, berichten sizilianische Forscher, hätten sie bei den letzten Ausbrüchen des Ätna schon geschafft, 2001 und 2002. Für den Vesuv sind sie entschieden vorsichtiger. „Wir können die Magmabewegungen nicht so genau überwachen, weil sich die glühend-flüssige Masse hier nicht sehr deutlich vom festen Felsen abhebt,“ sagt Scarpati.

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