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Panorama: „Wählt Morris und verjagt die Ratten!“

Ein Kater, ein Esel, ein Hund und eine Henne werden in Mexiko zum Symbol für Politikverdrossenheit und Vertrauensverlust.

Kater Morris’ Fell ist schwarz-weiß, er hat schon 125 000 Facebook-Fans und will bei den anstehenden Regionalwahlen in Mexiko Bürgermeister der Stadt Jalapa werden. „Wählt Morris! So viele Ratten wollen politische Posten, dass nur eine Katze für Ordnung schaffen kann“, lautet einer der Slogans auf seiner Website www.elcandigato. com. Er habe Erfahrung im Parlament, prahlt Morris auf einem Foto, das ihn beim Gähnen zeigt. „Wähle Morris, er tut auch nichts“, ist auf einem anderen Plakat zu lesen.

Nicht mal öffentliche Wahlkampfauftritte will er absolvieren, denn die „verursachten Stress“, sagten seine Erfinder Daniel und Sergio der Zeitung „Milenio“. Zu seinem Regierungsteam zählt Morris unter anderem Garfield, Hello Kitty und den gestiefelten Kater. „Von Morris kannst du dasselbe erwarten, wie von den anderen auch: schlafen und Spaß haben“, so seine humorvolle Facebook-Präsentation, mit der sich Daniel und Sergio über die mexikanischen Politiker aufregen.

Und sie haben damit offenbar den Nerv ihrer politikmüden Landsleute getroffen. Fantasievoll gestaltete Sticker, selbstbedruckte T-Shirts und Autoaufkleber des sympathischen Tiers sind plötzlich der Renner, weit über die Grenzen des Ortes Jalapas hinaus. Dank seiner kreativen Sympathisanten hat der Kater das, wovon seine Gegner nur träumen können: Medienaufmerksamkeit, täglich neue Wahlplakate und Spots, und das alles kostenlos. Mit welchem Erfindungsreichtum die Fans zugange sind, zeigt ein 26-Sekunden-Spot auf der Internetplattform Youtube. Man sieht das Standbild einer Katze, dazu gibt es eintöniges Miauen zu hören. Erst die Untertitel bringen Aufklärung. „Wähle Kandidat Morris, er kümmert sich um mehr Katzenfutter, Bildung für alle Kätzchen, mehr Sicherheit und Arbeitsplätze."

Ein Seitenhieb auf die dröge Kampagne und die politische Realität im Bundesstaat Veracruz, in dem Morris antritt. Dort regiert seit 80 Jahren die Partei der Institutionellen Revolution (PRI); der Bundesstaat gilt als einer der korruptesten Mexikos, in dem Polizei, Politiker und Drogenmafia eng miteinander verbandelt sind. Bei den vergangenen Regionalwahlen kamen Betrugsvorwürfe auf. Auch die Medien in Veracruz lässt Kater Morris nicht ungeschoren. Sie hätten schon seit langem die kritische Distanz verloren, erklärte er in einem seiner Kommuniqués.

So viel Erfolg ruft natürlich Gegner auf den Plan. Es handele sich um eine Schmutzkampagne, ließ der Sprecher des PRI-Kandidaten verlauten. Der Vertreter der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) hält die Katzenkandidatur für „respektlos“, und das Wahlinstitut hat dazu aufgerufen nur für „legal registrierte Kandidaten“ zu stimmen. Aber Morris hat auch einige zum Nachdenken gebracht. Wie ein erfundenes Tier, ohne einen Pfennig Geld, den öffentlichen Raum erobere, sei schon ein Phänomen, das man studieren müsse, sagte der Politologe Jacobo Dominguez der Zeitschrift „Proceso“. Die Wähler hätten das Vertrauen verloren, weil viele Politiker vor allem um ihre Posten besorgt seien und sich nicht um die Probleme der Bürger kümmerten, zitiert das Nachrichtenportal „Al calor del Politico“ den Rektor der Universität Veracruz, Raul Arias Lovillo.

Daniel und Sergio, die Erfinder von Kater Morris, sehen das ähnlich. „Die Politiker machen sich schon so lange über uns Wähler lustig, jetzt sind wir dran“, erklärten sie. Mit Hilfe der Fans haben sie ihren Kater innerhalb weniger Wochen zum Medienstar gemacht. Im Schnitt alle sieben Minuten bekämen sie neue Nachrichten bei Facebook. Über Morris wurde im In- und Ausland mehr berichtet als über die anderen Kandidaten. Er war bei CNN, dem Magazin „Time“ gab er ein Interview. Und er hat Schule gemacht: Der Esel Chon hat es ihm nachgetan und kandidiert nun für den Bürgermeisterposten in Ciudad Juárez an der Grenze zu den Vereinigten Staaten. „Besser einen Esel als Bürgermeister als einen Esel als Präsidenten“ lautet sein Wahlslogan. Als Esel habe er zudem ein Herz für die Unterdrückten des Landes. Auch in anderen Städten treten plötzlich Tiere an. In der Stadt Tepic im Bundesstaat Nayarit ist es die Henne Tina. In Oaxaca im Süden Mexikos tritt Hund Titan an. Der Bernhardiner wirbt für sich mit dem Satz „Wenn sich die Politiker täglich über uns lustig machen und einen Zirkus mit unseren Steuern veranstalten – warum lassen wir sie nicht gegen einen ehrlichen Kandidaten antreten?“.

Natürlich stehen sie nicht offiziell auf den Wahlzetteln. Dennoch sind ihre Erfinder gespannt, wie viel Protestwählerpotenzial die Tiere mobilisieren können. Als Morris erklärte, bei 20 Prozent ungültigen Stimmen werde die Wahl annulliert, provozierte er sogar ein Dementi des Wahlrates. Nicht schlecht für einen unregistrierten, virtuellen Kandidaten-Kater.

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