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Panorama: Warten auf Regen

In Italien herrscht Wasserknappheit. Von Mailand bis Sizilien hoffen die Menschen auf Niederschlag. Fischer fürchten um ihre Bestände

Zahlreiche Texte der griechischen Antike erwähnen Agrigent. Sie beschreiben die hohe Kultur der Stadt, die Politik und die Lebensweise der Menschen, die dort vor rund 2400 Jahren lebten. In keinem dieser Texte ist die Rede von Wasserknappheit. „Dieses Problem kannten die alten Griechen nicht“, sagt Antonio Massarutto, Wasserexperte an der Universität im norditalienischen Udine. Die heutige Situation der Stadt im südlichen Sizilien nennt er „katastrophal“.

Im letzten Sommer floss pro Haushalt nur eine Stunde lang das Wasser aus den Hähnen. In diesem Sommer befürchten die Bewohner absolute Wassernot. Schon jetzt fließt das Wasser an manchen Tagen nur noch schwach aus dem Hahn.

Die Politiker im Rathaus sprechen bereits von einem erneuten und vielleicht noch dramatischeren Wassernotstand. Auch Fachmann Massarutto befürchtet, dass es die Menschen in Agrigent in diesem Sommer noch schlimmer als im Vorjahr treffen wird. „Schon seit Mitte Mai beobachten wir eine chronische Wasserknappheit. Im letzten Jahr fehlte uns das Wasser erst im August“, berichtet Massarutto. Unbegreiflicherweise fehlt in ganz Italien Wasser. Nicht nur im heißen Süden, sondern auch im Norden. Dort, wo durchschnittlich mehr Niederschläge fallen als in Deutschland. „Wenn es im Norden regnet, dann so heftig und so lange, dass das Wasser nicht aufgefangen werden kann und verheerende Schäden anrichtet“, so der Experte.

Lange Trockenperioden und sintflutartige Regenfälle gehören in Norditalien inzwischen zur Realität. „Bei uns geht es immer subtropischer zu“, schrieb die Tageszeitung l’Avvenire. In der Lombardei regnet es seit zwei Monaten nicht mehr. Sämtliche Trinkwasservorräte werden knapp. Nur hinter vorgehaltener Hand geben die Politiker zu, dass es in wenigen Wochen in Mailand zur Wasserknappheit kommen könnte, wenn es nicht bald ausreichend regnet. Wenig Niederschlag sorgt auch dafür, dass der Wasserstand des Po, des größten italienischen Flusses, mittlerweile so niedrig ist, dass die Fischer um das Überleben ihrer Bestände fürchten.

Auch auf der Insel Sardinien bahnt sich ein Drama an wie auf Sizilien. Seit vier Monaten ist dort nicht ein einziger Tropfen Wasser vom Himmel gefallen. Wenn ab Ende Juni hunderttausende Touristen die Insel besuchen werden, droht es, zur Wasserkatastrophe zu kommen.

Nicht nur in Sachen Trinken, Waschen und Kochen macht den Menschen der Wassermangel zu schaffen. Unter der Situation leidet auch die Landwirtschaft und somit die Versorgung mit Lebensmitteln. Vorsichtigen Schätzungen des Landwirtschaftsministeriums zufolge sorgt die lange Trockenheit für Einbußen bei den Ernten. Knapp 50 Prozent der bevorstehenden Pfirsichernte mussten bereits abgeschrieben werden. Von anderen Obst- und Gemüsesorten ganz zu schweigen. Diese Verluste sind besonders verheerend für Süditalien, wo ganze Ortschaften von den Erträgen aus der Landwirtschaft leben. „Die Schuld an diesem Drama darf aber nicht nur dem Wetter in die Schuhe geschoben werden“, sagt Wasserexperte Massarutto. Untersuchungen hätten ergeben, dass Fehlinvestitionen in unbrauchbare Wasserreservoirs und fehlerhaft konstruierte Wasserleitungen für die Situation mitverantwortlich sind.

Fast die Hälfte des italienischen Trinkwassers geht durch schadhafte und seit Jahrzehnten nicht mehr reparierte Leitungen verloren. In den süditalienischen Regionen ist diese Situation besonders schlimm. Hunderte Millionen Euro hätten mafiose Unternehmen kassiert und für andere Dinge ausgegeben, berichtet Ermete Reallacci von der Umweltorganisation Legambiente.

Die davon betroffenen Menschen sind machtlos. Ihre Forderungen an die Regierung in Rom sind bisher nicht erhört worden. Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte im letzten Sommer einen nationalen Wasserplan versprochen. „Schöne Worte – schnell ausgesprochen und schnell vergessen“, so Reallacci.

Thomas Migge[Agrigent]

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