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Panorama: Warum auf Baustellen nie jemand arbeitet

Mancher ärgert sich in den unzähligen Staus dieser Ferienzeit. Ein Insider erklärt, wer alles schuld daran ist, dass es nicht vorangeht

Die Straßen sind voll von Baustellen, in der verkehrsärmeren Ferienzeit soll möglichst viel geschafft werden. Woher kommt aber der subjektive Eindruck, dass jedes Mal, wenn man an einer Baustelle vorbeifährt, dort niemand arbeitet und die Baustelle trotzdem jeden Tag größer wird? Letzteres kann vielleicht erklärt werden, wenn man sich erinnert, was einen heute Morgen geweckt hat. Punkt 6 Uhr hämmerte plötzlich 20 Minuten lang irgendwo ein Presslufthammer. Aber die Baustelle soll nicht nur größer werden, sondern irgendwann mal kleiner. Warum geht es nicht voran? Sind die Arbeiter in Ferien? Oft sind es technische Abläufe, die für einen vermeintlichen Stillstand sorgen. Nicht selten bremst aber auch überflüssige Bürokratie. Ein Insider ließ den Tagesspiegel hinter die Kulissen blicken. Eigentlich hat die Branche jetzt Hochsaison, doch der Himmel meint es in diesem Sommer nicht gut mit den Straßenbauern und den im Stau stehenden Autofahrern. Ist eine Baustelle nach einem der häufigen Starkregen erst einmal abgesoffen, geht vorerst nichts mehr. Aber auch schon leichtere Niederschläge zeigen Wirkung, erklärt Christian Guss. Will man die 4000 Euro für eine Fuhre Asphalt nicht „aus dem Fenster werfen“, muss dieser binnen 30 bis 60 Minuten verlegt sein. Weil das bei Nässe nicht möglich ist, schickt der Chef der Straßen- und Tiefbaufirma Pagefa seine Truppe bei morgendlichem Dauerregen auf eine andere Baustelle, wo weniger witterungsabhängige Arbeiten anstehen. „Wenn dann mittags doch die Sonne scheint, wundern sich die Autofahrer, warum nichts passiert“, sagt Guss, der Präsidiumsmitglied der Fachgemeinschaft Bau Berlin/Brandenburg ist. Dass die fertiggestellte Fahrbahndecke an Bushaltestellen tagelang gesperrt bleibt, verwundert nicht nur Laien. Bisweilen muss der Diplom-Ingenieur auch Mitarbeitern der Verkehrslenkungsbehörde der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erst erklären, dass der Beton zwei Wochen aushärten muss, wenn er halten soll.

Ohnehin bremst die Verkehrslenkung mehr, als dass sie beschleunigt, klagt der Experte. „Die bautechnischen Notwendigkeiten werden völlig außer Acht gelassen.“ Vieles könnte schneller gehen, wenn die Behörde bereit wäre, kurzfristig größere Beeinträchtigungen zu gestatten. „Besser eine Woche gelitten als drei bis vier Wochen Dauerkampf“, sagt Guss. Doch der Antrag, in einer Straße zwei von drei Fahrspuren zu sperren und dort von 7 bis 18 Uhr zu arbeiten, habe kaum eine Chance. Oft werde nur eine Spur von 9 bis 15 Uhr genehmigt. „Teilweise müssen wir eine Baustelle täglich schon um 14 Uhr wieder abräumen“, sagt der Ingenieur. Selbst dort, wo es ginge, seien die Tiefbauämter kaum bereit, nach Auftragserteilung noch zwei Wochen auf die Genehmigung einer Zwei- oder sogar Drei-Schichten-Baustelle durch das zuständige Landesamt zu warten. Dabei würde Guss nicht einmal mehr Geld verlangen: „Wenn ich weiß, da kann ich richtig arbeiten, brauche ich keinen Nachtzuschlag“. Auch die Liberalisierung auf dem Versorgungssektor sorgt für Probleme. Stößt man auf unerwartete Leitungen, können diese nicht einfach gekappt werden. Also gilt es, den Besitzer zu finden und eine Verlegung zu veranlassen. Früher war klar, dass ein Telefonkabel nur der Post gehören konnte. Heute kommen diverse Netzbetreiber in Betracht, die man nacheinander zum Ortstermin bitten muss. „Dann wundern sich die Autofahrer, warum da nur ein paar Leute auf der Baustelle stehen und ratlos in ein Loch starren“, sagt Guss. Selbst wenn der Besitzer feststeht, kann ein solcher Fund zu einem tagelangen Baustopp führen. „Wenn ich am Donnerstag ein solches Kabel finde, kommt frühestens am Montag ein Verantwortlicher“, sagt der Fachmann. Bis dann die Verlegung erfolgt, ist oft wieder Donnerstag. „Also schicke ich meine Leute gleich für eine Woche woanders hin“, sagt der Firmenchef.

Manchmal sind die Verzögerungen aber auch von den Tiefbauämtern hausgemacht, klagt Guss. Wegen der knappen Finanzen muss es dann, wenn gerade einmal Mittel da sind, ganz schnell gehen. Da bleibt oft weder Geld noch Zeit für vorgeschaltete Bodengutachten. Die Folge sind dann böse Überraschungen wie nach dem Krieg mit Beton verfüllte Bombenkrater unter der Fahrbahn. Oder der Unterbau einer mehr als 100 Jahre alten Straße ist nach ein paar hundert Metern plötzlich doppelt so dick, weil dieser Teil einst zu einem anderen Bauabschnitt gehörte.

Auch die oft von externen Ingenieursbüros für die Tiefbauämter erstellten Leistungsverzeichnisse werden immer schlechter, hat der Experte festgestellt. Nicht selten werden einzelne Arbeitsgänge schlichtweg vergessen. In all diesen Fällen muss die Baufirma für die notwendigen Zusatzarbeiten ein neues Angebot schreiben und auf einen neuen Auftrag warten. So lange ruht die Baustelle.

Um solche Unterbrechungen ausgleichen zu können, muss eine Firma immer mehrere Eisen im Feuer haben und personell mit permanenter Unterdeckung taktieren, erklärt Guss. Alle Kräfte bei einem Auftrag zu bündeln, sei „unternehmerisches Harakiri“. Und kein mittelständisches Unternehmen mit durchschnittlich 30 Beschäftigten könne es sich erlauben, auch nur drei Arbeiter zu viel zu beschäftigen. „Dann können Sie kostenmäßig nicht überleben“, so der Geschäftsführer. Zumal die Auftragslage starken Schwankungen unterliegt. „Von Januar bis März gibt es keine Arbeit, dann einen Frühjahrsboom. Danach geschieht vor den Ferien wieder nichts, anschließend soll alles in sechs Wochen erledigt sein. Und was machen wie im September?“, fragt Guss.

Rainer W. During

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