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Panorama: Was bleibt, ist die Scham

Das Sozialdrama von Hannover: Erst jetzt nimmt das verarmte Ehepaar Hilfe an

Es ist ein Schicksal, das viele bewegt. Hannoveraner boten Wohnungen an, in die das obdachlose Ehepaar einziehen könnte, aber auch Spenden gegen die Not. Der Fall ist zweifellos spektakulär genug, um Hilfsbereitschaft zu wecken: Drei bis vier Wochen lang haben der 76 Jahre alte Mann und die zehn Jahre jüngere Frau nach dem Verlust ihrer Wohnung in ihrem abgemeldeten Mercedes auf einem Parkplatz nahe dem Tiergarten gewohnt. Von dem Modegeschäft, dem kleinen Schneidereibetrieb und ihrem früheren Wohlstand seien dem Paar zuletzt nach einem Konkurs nur beträchtliche Schulden geblieben – unter anderem bei den Stadtwerken, die ihnen zeitweise den Strom abstellten, sowie ihrem Vermieter, der sie schließlich mit einer Räumungsklage Ende April aus der Dreizimmerwohnung in einem Kirchröder Mehrfamilienhaus drängte. Schon lange, sagt jemand, der die Senioren kennt, hätten sie eine Beratung dringend benötigt, aber stets abgelehnt. „Sie haben selbst ihre Situation überhaupt nicht realisiert.“ So bleibt es die in manchem rätselhafte Geschichte eines Paares, das von gehobenem Wohlstand in die Niederungen finanzieller Not fiel und große Probleme hatte, seine Verhältnisse anzuerkennen und sich auch auf sie einzustellen. Das Ehepaar wird im Vinzenz-Krankenhaus medizinisch behandelt und psychosozial betreut. Inzwischen, heißt es, hätten sie ihre Lage aber erkannt und seien bereit, Hilfe anzunehmen.

Gabriele Wedler vom städtischen Fachbereich Senioren sagte zu dem Fall: „Uns begegnen immer wieder ehemals wohlhabende Menschen, die in die Obdachlosigkeit abrutschen. Dass dieses Paar im Wagen geschlafen hat, ist sicher besonders dramatisch. Der Fall sei ein Beispiel für eine größere Zahl gerade von früher erfolgreichen Selbstständigen, die später eine Abwärtsspirale bis zur Mittellosigkeit durchlaufen. Ungefähr zehn- bis 15-mal im Jahr haben wir solche Fälle.“ Viele von ihnen hätten während erfolgreicherer Zeiten nicht für das Alter vorgesorgt. Außerdem falle es ihnen oft besonders schwer, etwa bei Überschuldung frühzeitig Hilfe anzunehmen. Woher kommt diese Scham? „Zum einen widerspricht es ihrem Selbstbild, sich und anderen ihre Situation einzugestehen: Jahrelang waren sie erfolgreich und haben dies auch gezeigt. Dann anderen von ihrer Not zu berichten und um Hilfe zu bitten, ist nicht leicht. Außerdem handelt es sich auch um eine Generationenfrage: Wer im Krieg oder in der Nachkriegszeit aufgewachsen ist, dem hat sich ein besonderes Arbeitsethos eingeprägt, mit dem es noch schwerer fällt, andere um Hilfe zu bitten.“

Thorsten Fuchs[Hannover]

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