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Panorama: Was zu erwarten war

New Orleans war auf die Katastrophe nicht richtig vorbereitet – obwohl das dank detaillierter Vorhersagen möglich gewesen wäre

Als der Hurrikan Katrina über dem Golf von Mexiko die Stärke 5 mit Windböen bis zu 310 Stundenkilometern erreichte und dann am 29. August, leicht abgeschwächt auf Stufe 4, an die Küste tobte, überforderte die Wucht der aufgepeitschten Wassermassen die Dämme um New Orleans: Sie waren nur für einen Hurrikan der Stärke 3 mit Windgeschwindigkeiten bis zu 210 Kilometern in der Stunde ausgelegt. Katrina erreichte 15 Stundenkilometer mehr, die Dämme brachen und die Jazz-Metropole steht seitdem unter Wasser. Eigentlich darf so eine Überschreitung der Normen nicht zur Katastrophe führen, denn die Ingenieure bauen Sicherheiten ein: Ein Deich muss mehr als die Kräfte aushalten, für die er ausgelegt ist.

New Orleans ist auf einem ursprünglichen Sumpf gebaut und liegt unterhalb des Meeresspiegels. Seit einem Jahrhundert pumpt man das Wasser ständig ab, damit die Stadt trocken bleibt. Im Untergrund aber fehlt deshalb das Wasser und das Gewicht der Stadt drückt New Orleans langsam immer tiefer. Mehr als einen Meter unter dem Niveau vom Beginn des 20. Jahrhunderts liegt die Stadt heute. Also steht das Wasser inzwischen schon beim Normalpegel mehr als einen Meter höher als früher über New Orleans Da gleichzeitig auch der Meeresspiegel weiter steigt, wächst die Belastung der Dämme. Die Deiche hätten eigentlich längst verstärkt werden müssen.

Als der Ozeanograph Joe Suhayda 2004 auf dem Computer einen Hurrikan der Stärke 3 mit Windgeschwindigkeiten von 210 Kilometern in der Stunde simulierte, spuckte der Rechner ein erschreckendes Szenario aus: Eine Million Menschen aus der Region müssten für mehrere Monate evakuiert werden, Tausende müssten aus Lebensgefahr gerettet werden, 600000 Gebäude sollten zerstört werden. Katrina hatte mit 225 Kilometern in der Stunde noch etwas mehr Wucht, als am Computer simuliert – die Folgen waren entsprechend schlimmer. Im Prinzip haben die Verantwortlichen also gewusst, was auf die Stadt zukommt, wenn ein Hurrikan New Orleans treffen würde.

Seit Jahrzehnten bitten Politiker aus der Region in Washington um Geld für Erhöhungen der Dämme – erfolglos: Präsident George W. Bush stellte noch im Februar einen Antrag, das Budget des zuständigen Ingenieurkorps der US-Armee um sieben Prozent zu kürzen.

Stattdessen floss reichlich Geld in die Erhaltung der Everglades-Sümpfe im US-Bundesstaat Florida, der von Jeb Bush, dem Bruder des US-Präsidenten, regiert wird. Naturschützer freuen sich natürlich über dieses Geld. Politiker der anderen Südstaaten hatten auch um Mittel gebeten, mit denen die Sumpflandschaften am Golf von Mexiko erhalten werden sollten, die der Mississippi vor seiner Mündung aufgeschwemmt hat. Sie blitzten ab; Schwemmland von der doppelten Größe des Saarlandes versank in den letzten Jahrzehnten im Golf von Mexiko. Früher hatte dieses Land die Wucht von Stürmen gebrochen und die Windgeschwindigkeiten erheblich verringert.

In und um New Orleans wurden die für den Erhalt der Schutzdeiche zuständigen Einrichtungen privatisiert. Aber auch die Privatunternehmen sind auf Regierungsgelder angewiesen – anders lässt sich mit Deichen und Pumpen nichts verdienen. Das Katastrophenforschungszentrum im US-Bundesstaat Delaware berichtet über einen schlechten Zustand der Dämme, Schleusen und Pumpen waren nicht gegen Wassereinbruch gesichert.

New Orleans war für einen Hurrikan der Stärke 4 nicht gewappnet, Experten hatten die Katastrophe kommen sehen und immer wieder davor gewarnt. Seit dem 29. August wurde die Naturkatastrophe noch verstärkt: Ingenieure wissen, dass irgendwann ein Ereignis eintreten kann, das ihr Bauwerk überfordert. Daher müssen sie Vorsorge treffen, um die Folgen eines möglichen Dammbruches zu mildern – man sorgt dafür, dass Infrastruktur, Wasser- und Stromversorgung nicht absaufen oder rasch durch mobile Anlagen ersetzt werden können. Außerdem werden detaillierte Evakuierungspläne erarbeitet. Solche Maßnahmen scheinen in New Orleans nicht ausreichend getroffen worden zu sein, wundern sich deutsche Katastrophenexperten: Es war nicht möglich, die Stadt in 36 Stunden Vorwarnzeit zu evakuieren. Mobile Lazarette und Wasseraufbereitungsanlagen wurden erst Tage nach dem Anlass und Ausbruch der Katastrophe eingesetzt, die Rettungsboote ähnelten eher Ausflugsbooten als professionellem Gerät. Wäre rechtzeitig der Ausnahmezustand ausgerufen worden, hätten auch frühzeitig Busse beschlagnahmt und bereitgestellt werden können.

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