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Der lange Arm des Machthabers. Der Einfluss des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko (rechts) reicht weit über die Hauptstadt Minsk hinaus.

© AFP

Weißrussland: Uniformen aus Dscherschynsk

In Weißrussland wurden bis vor fünf Jahren deutsche Polizeimonturen genäht – eine weitere Facette in der umstrittenen Kooperation zwischen der deutschen Polizei und Weißrussland. In Dscherschynsk schweigt man heute allerdings aus Angst vor möglichen Repressionen lieber darüber.

Dscherschynsk liegt 60 Kilometer westlich von Minsk, etwas abseits der Autobahn von Moskau nach Berlin. Der Ort zählt 25 000 Einwohner, verfügt über eine umgestaltete Kolchose und zwei große Industriekombinate. Bekannt ist vor allem die Textilfabrik „Eliz“. Bis vor fünf Jahren ließ die deutsche Polizei hier ihre Uniformen nähen – eine weitere Facette der umstrittenen Kooperation zwischen der deutschen Polizei und Weißrussland, die zuletzt wegen der Ausbildungshilfe für die gefürchtete Miliz in dem von dem Machthaber Alexander Lukaschenko regierten Staat Schlagzeilen machte.

Das Kombinat, in dem seinerzeit die deutschen Polizeiuniformen genäht wurden, liegt an der Karl-Marx-Straße mitten im Stadtzentrum von Dscherschynsk. Drei rote Fahnen mit dem schlichten Firmenlogo markieren den Stolz der Stadt, denn „Eliz“ ist nicht nur in ganz Weißrussland für seine gute Qualität bekannt, das Werk produziert schon seit Jahren vor allem für den Export. Das moderne Firmenschild will gar nicht zur Eingangshalle mit sowjetischen Fresken und den alten Drehkreuzen passen. Dort wird jeder abgefangen, der die vor gut 70 Jahren gegründete Fabrik betreten möchte. Von deutschen Polizeiuniformen will hier heute niemand mehr etwas wissen. „Ach, das ist schon lange her“, sagt schließlich fast wehmütig eine Sekretärin. Der letzte Auftrag sei vor fünf Jahren ausgelaufen. Heute exportiere man wieder vor allem nach Russland.

2005 hatte ein deutscher Radiojournalist bei einer Firmenführung noch Uniformen für die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Sachsen und Berlin gesehen. 200 000 Uniformen würden jährlich an die deutsche Polizei und den Grenzschutz geliefert, verkündete der Firmendirektor damals stolz. Inzwischen ist man bei „Eliz“ vorsichtiger geworden. Nach zwei Präsidentschaftswahlen, aus denen offiziell Präsident Aleksander Lukaschenko siegreich hervorging, wurden jeweils die Proteste der Bevölkerung brutal niedergeschlagen – deshalb rückt niemand mehr gegenüber Fremden leicht mit der Sprache heraus.

Die Stadt Dscherschynsk scheint sich heute wieder auf seinen Namenspatron aus Sowjetzeiten zu besinnen, den Gründer des sowjetischen Geheimdienstes Feliks Dscherschynski. Der Gründer des berüchtigten Geheimdienstes Tscheka, der bis heute in Weißrussland immer noch KGB genannt wird, steht auf einem hohen Marmorsockel und blickt über die auf einer Anhöhe liegende Stadt Richtung Moskau. In seinem Rücken hat Dscherschynski den Stadtpark, zur Rechten ein paar typisch sowjetische Wohnblocks und eine Geschäftszeile rund um das Zentrale Einkaufszentrum. Der staatliche Kleiderladen nimmt das ganze Parterre in Anspruch, doch die Kollektionen von „Eliz“ führt er nicht. Das sei Exportware, Maßgeschneidertes, sogar für die deutsche Polizei, sagt eine Verkäuferin stolz.

1988 sei das Handelshaus eröffnet worden, erzählt die Verkäuferin Ludmilla wehmütig und erinnert sich an bessere Zeiten. „Da müssen Sie mit der Direktorin sprechen“, kontert sie jede noch so harmlose Frage und blickt nervös um sich. Dann führt sie durch endlose Flure im Innern des Kolosses. Die Direktorin mustert aufmerksam den Presseausweis für Auslandsjournalisten, dann sagt sie bestimmt: „Mit der unabhängigen Presse sprechen wir nicht.“ Nach einigem Hin und Her im „Raiizbalkom“, dem verlängerten Arm der Präsidialverwaltung in der Provinz, kommt es dann doch zu einem Treffen mit dem Wirtschaftsförderer der Stadt. Der junge Beamte, adrett in einem „Eliz“-Anzug gekleidet, empfängt in einem geräumigen Büro unter einem großen Lukaschenko-Porträt und schwärmt von der Lage der Stadt. Zum Abschied lässt er zwei Hochglanzbroschüren übergeben. Darin stünde alles über Dscherschynsk, sagt er lächelnd. Die Prospekte ersparen ihm längere Auskünfte – schließlich wurden sie von ganz oben gebilligt.

Draußen, in der Nähe der Dscherschynski-Statue, steht eine heute nutzlose Ehrentribüne. Kinder turnen auf den verfallenden Mauern herum. Zwischen der Ehrentribüne und dem Textilkombinat „Eliz“ finden sich im Firmenladen dann doch noch schöne Herrenhemden und Anzüge. Uniformstücke gibt es hier nicht, und auch Kunden für die Luxusware sucht man vergebens. Wegen der Wirtschaftskrise müssen sich die meisten Weißrussen auf das Nötigste beschränken. Dafür floriert der kleine Markt am „Eliz“-Firmentor. Eine gebeugte Mittfünfzigerin verkauft getrocknete Apfelschnitze, eine Bäuerin hat auf einer alten Zeitung erdige Karotten ausgebreitet. Auf die Frage nach dem Verkaufserfolg antworten beide wie aus einer Pistole geschossen, Weißrussland habe einen sehr guten Präsidenten. Alles Nachfragen hilft nichts, das Gespräch verharrt beim Präsidenten. Dank der Zollunion mit Russland und Kasachstan baue Lukaschenko wieder eine kleine Sowjetunion auf, sagt die Mittfünfzigerin. „Wir haben einen klugen Präsidenten, alles ist gut hier“, pflichtet die Bäuerin bei.

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