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Panorama: Weltspitze im Zahlengitter

Rätselraten in Italien: Die Tschechin Jana Tylova ist erste Sudoku-Weltmeisterin

Der Kellersaal des Grand Hotels Guinigi ist fensterlos wie ein Bunker. Heftig bläst die Klimaanlage, aber was hier an Sauerstoff verbraucht wird, überfordert sie. Tiefgebeugt über ihre Schreibtische brüten und schwitzen 85 Kandidaten aus 22 Ländern, die nur eines wollen: die ersten Weltmeister im Sudoku werden.

„Three, two, one – go!“ ruft Turnierleiter Paolo Fasce ins Mikrofon, und dann zählt, Sekunde auf Sekunde, eine überdimensionale Digitaluhr erbarmungslos rückwärts. Neun Sudokus in sechzig Minuten – mit einem leichten Frühstück dieser Art beginnen die Ausscheidungskämpfe. Und mancher sieht sich einer Aufgabe gegenüber, die er bis zu dieser Stunde noch nicht einmal kannte: Nicht nur die klassischen neun-mal-neun-Sudokus sind zu lösen, sondern auch diagonale, überlappende, ausfransende, unregelmäßig gegliederte, mechanische und digitale, würfelförmig-dreidimensionale, solche mit vorgegebenen Zwischensummen und andere fantasievolle Geistestorturen. Und wenn das geschafft ist, bekommen die Teilnehmer als kleinen Happen zwischendurch ein sternförmiges Rätselgitter serviert. Dafür zehn Minuten, so viel Zeit muss sein.

Deutschland wurde von drei Berlinern vertreten, darunter Roland Jago, mit 15 Jahren der Jüngste von allen. RTL schickte Gert Mittring aus Köln ins Rennen, Weltmeister im Kopfrechnen.

Stille beim Mittagessen nach 24 Sudokus. Auf die Frage, ob sie gestresst seien, meint Nicole Compart kurz angebunden: „Nein, warum? Nur hungrig.“ Gert Mittring ist erst vor zwei Wochen mit Sudoku in Berührung gekommen, er rudert sichtlich. Als Rechenweltmeister kann er zwar die Zahl der möglichen klassischen Sudoku-Konstellationen überschlagen – „zehn hoch achtzehn oder neunzehn, also mindestens eine Million Billionen“, schätzt er. Fürs Lösen indes fehlt ihm das Knowhow: „Wie macht ihr denn das?“ Deutschlandmeisterin Kerstin Wöge geht „da eher intuitiv ran“, regelrecht trainieren könne man Sudoku kaum. Für Compart antwortet ihre Mutter: „Wir arbeiten im Ausschlussverfahren.“ Alle meinen, als sich Mittring gerade eine zweite Portion am Büfett holt: „Fürs Sudoku denkt der wahrscheinlich zu kompliziert.“

Einberufen hat den Wettbewerb der Mailänder Verlag „nonzero“, der Sudokus über Zeitungen und Bücher vertreibt und dafür eine gewaltige Begeisterungswelle auslöste. Da der Weltcup bei der „Welt-Puzzle-Föderation“ angemeldet ist, gilt er laut Verlagschef Riccardo Albini auch als offiziell. In Italien und der Türkei gab es nationale Ausscheidungskämpfe; andere Teilnehmer haben sich auf eigene Faust angemeldet.

Nach noch mal 14 Sudokus, diesmal ist auch ein zwölf-mal-zwölf-Gitter dabei, gibt Roland Jago nachmittags zu, dass es mit der Konzentration nicht mehr ganz zum Besten bestellt ist. Immerhin, sagt seine Mutter, habe er sein Ziel erreicht: Besser abzuschneiden als die beiden weiblichen Konkurrentinnen aus Berlin. Roland steht mit 420 Punkten auf Platz 41 – vom erstplatzierten Thomas Snyder aus den USA trennen ihn satte 570 Zahlentreffer. Die deutsche Meisterin Kerstin Wöge steht auf Rang 58. Aber sie hat sich in Lucca nur „ein einziges Ziel gesetzt, nämlich nicht Letzte zu werden.“ Der Weltmeister im Kopfrechnen belegt in der Disziplin Sudoku nur Platz 83. Immerhin, sagt Mittring, „sind noch zwei hinter mir.“

Er analysiert: „Wenn ich rechne, rechne ich mit abstrakten Algorithmen, da ist nichts Visuelles dabei, und die Verteilung der Zahlen im Raum spielt keine Rolle. Das ist ein anderes intellektuelles Areal.“ So kommt es, dass der Endkampf am Samstag ohne deutsche Beteiligung über die Bühne geht. Die dicke Luft, die drückende Abiturprüfungsstimmung weicht; neun Finalisten – die Neun ist die „heilige“ Zahl des Sudoku – treten sieben Runden lang gegeneinander an, das Sudoku quadratmetergroß, der Denkkampf wird fernsehtauglich.

Dann passiert das Unglaubliche: Gegen die beiden Amerikaner, die den gesamten Wettkampf dominiert haben, setzt sich die 41-jährige Tschechin Jana Tylova durch - in buchstäblich letzter Sekunde. Nervenstark und trocken schafft sie im klassischen Sudoku 80 Punkte, ihre Gegner bleiben bei 17 und 15 hängen.

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