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Panorama: Wem das Lachen vergeht

Wenn Stalking-Opfer zur Wache gehen, fühlen sich Beamte oft hilflos. Ein Besuch in der Polizeischule

„Schön still“, schreibt Thorsten Niemann auf einen Zettel und gibt ihn seinem Kollegen zu lesen. Der nickt lächelnd. 160 Polizeibeamte sitzen im Kinosaal der Landespolizeischule in Spandau. Man könnte die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören, so aufmerksam hören sie zu, wie drei Experten einen Tag lang über ein noch immer wenig bekanntes Phänomen informieren: Stalking, das fortgesetzte Nachstellen, Belästigen und Terrorisieren von Menschen. Studien belegen, dass Stalking in allen Schichten vorkommt und weit verbreitet ist.

Nach der Bremer Polizei, die sich als erste und bisher einzige mit dem Thema intensiv befasst hat, hat auch Berlin die Notwendigkeit erkannt. Umso mehr, als die große Koalition signalisiert hat, dass das zuletzt gescheiterte „Anti-Stalking-Gesetz“ kommen wird, voraussichtlich im Frühjahr 2006. Stalking wird Straftatbestand und mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug geahndet. Das wird den Opfern helfen, aber auch der Polizei, die mehr Möglichkeiten haben wird einzuschreiten.

Einer der Polizisten in Spandau erzählt in einer Vortragspause von einer Frau, die vor zwei Wochen zu ihm aufs Revier gekommen ist. Er wusste nicht, wie er einordnen sollte, was sie ihm erzählte. War das ein Fall von Stalking? Woran erkennt man das? Wie soll er damit umgehen? Er war unsicher. Als er dann von der Fortbildung erfuhr, hat er sich gleich angemeldet.

Niemann, Verhaltenstrainer bei der Berliner Polizei, hat die Fortbildung organisiert. Binnen weniger Stunden war sie ausgebucht. Es war wie beim Robbie-Williams-Konzert, sagt Niemann. Aus dem ganzen Bundesgebiet gab es Anfragen von Interessenten. Am Morgen vor der Veranstaltung probieren einige Polizisten, ob sie nicht doch noch reinkommen. Unmut kommt auf, denn sie werden weggeschickt. Der Saal ist voll. Sie alle sind gekommen, um zu erfahren, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie mit Stalking-Fällen zu tun bekommen. Mitten im Vortrag der Expertin und Buchautorin Susanne Schumacher meldet sich eine Frau ganz hinten im Saal. Seit 1999 wird sie von ihrem Ex-Freund verfolgt, erzählt sie. Immer wieder versperrt er ihre Wohnung. Einmal kam sie spätabends nach Hause. Wieder hatte er ihr Türschloss mit Sekundenkleber bearbeitet. Während sie davorstand und nicht reinkam, rief er auf ihrem Handy an und forderte sie auf, zu ihm runterzukommen. Sie flüchtete über eine zweite Tür im Keller des Hauses und ging zur Polizei. Dort wurde sie verhöhnt. „Was geben Sie sich auch mit solchen Leuten ab“, wurde ihr gesagt.

Die Polizisten im Saal haben verstanden. Wenn das nächste Mal ein Opfer so eine komische Anzeige erstattet – zum Beispiel, dass bei ihm eingebrochen, aber nichts gestohlen, sondern nur ein Bild umgehängt wurde – werden sie nicht mehr lachen. Stattdessen werden sie das Opfer ernst nehmen, ihm „aktiv zuhören“, nachfragen, ob solche seltsamen Dinge schon öfter passiert sind und Verhaltenstipps geben können. Und sie werden bald auch in Berlin Ansprechpartner nennen können, bei denen Stalking-Opfer Hilfe erhalten, verspricht Polizeipräsident Dieter Glietsch am Ende des Fortbildungstages. Er verspricht noch mehr: Eine weitere Veranstaltung wie diese, Zwei-Tages-Seminare im Mai und Überlegungen, wie Strukturen gebildet werden können, um den professionellen Umgang mit Stalking-Fällen zu gewährleisten.Auch die Einrichtung einer internen „Stalking-Datei“ nach dem Modell der Bremer Polizei wird geprüft. Damit soll gewährleistet sein, dass die wiederholten Handlungen eines Täters zentral dokumentiert und nicht als vereinzelte Taten verharmlost werden. Dies ist umso wichtiger, da viele Stalking-Handlungen für sich alleine gesehen nicht strafbar sind. Entsprechend erstatten nach einer kürzlich vorgestellten Studie der Universität Bremen nur 20 Prozent der Opfer Anzeige. Alle anderen sagten, sie seien nicht zur Polizei gegangen, weil das nicht Aufgabe der Polizei sei (20 Prozent), weil die Polizei sowieso nichts tun könne (17 Prozent) oder, dass sie aus Angst, Scham oder Hilflosigkeit keine Anzeige erstattet hätten (28 Prozent). Vor allem Männer scheuen sich. Wer will schon Sätze hören wie „Ist doch schön, so eine hartnäckige Verehrerin zu haben. Sie haben Angst vor einer Frau?“

Bremen hat vor allem mit der so genannten „Gefährderansprache“ Erfolge erzielt. In 80 Prozent der Fälle sei es gelungen, dass der Stalker von seinem Opfer abließ. Entsprechend will auch die Berliner Polizei klären, wer für die Gefährderansprache zuständig sein soll und diese Beamten entsprechend schulen. So darf ein Stalker niemals gekränkt werden,sonst könnte die Situation eskalieren. Das Opfer geriete in noch größere Gefahr, sagte der Psychologe Jens Hoffmann. Notwendig sei auch, die Motive und Persönlichkeitsstörungen des Stalkers herauszufinden. Stalker seien Menschen, die ihr geringes Selbstwertgefühl ausgleichen, indem sie bei anderen Aufmerksamkeit erzwingen – sei es, indem sie beim Opfer Liebe, Angst oder Hass auslösen. Oft hilft es, den Täter zu ignorieren. Das ist leicht gesagt, wenn das Opfer über Monate und Jahre hinweg auch am Arbeitsplatz belästigt wird, Familie, Kollegen, Nachbarn und Freunde mit in den Terror einbezogen und Drohungen ausgesprochen werden.

Ohne Beratung ist ein Stalking-Opfer machtlos. Daher hat der auf dieses Thema spezialisierte Anwalt Volkmar von Pechstaedt kürzlich den gemeinnützigen Verein Deutsche Stalking-Opferhilfe (DSOH) gegründet. 2006 soll auch ein Büro in Berlin gegründet werden.

Mehr Informationen unter

www.liebeswahn.de

www.dsoh.de

www.stalkingforum.de

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