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Panorama: Wer den Ton angibt

Die Musikindustrie will die Preise im Internet drastisch erhöhen – und ausgerechnet Apple nimmt die Käufer in Schutz

Es klingt wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht: Musik für jeden, jederzeit und überall zu niedrigen Preisen, direkt auf tragbaren Abspielgeräten oder auf dem Handy. Interessenkämpfe in der Unterhaltungsindustrie machen diesem Wunsch bisher einen Strich durch die Rechnung. Der Erfolg von Musicload.de und anderen Online-Vertrieben hat jetzt auch die bisher notorisch internet-skeptischen Plattenfirmen aufgeschreckt: Mit dem Herunterladen von Musik lässt sich entgegen deren Erwartungen Geld verdienen. Nun wollen sie ein größeres Stück vom Kuchen abhaben. Warner Music und Sony BMG verlangen höhere Lizenzgebühren und somit höhere Preise in Apples virtuellem Musikladen itunes Music Store. Nach den Vorstellungen der Konzerndirektion sollten die Preise für aktuelle Songs von derzeit 99 Cent auf 1,49 pro Song angehoben werden. Apple-Chef Steve Jobs wies die Forderung zurück. „Wir konkurrieren noch immer vor allem mit illegalen Tauschbörsen“, sagte der Apple-Firmengründer. „Wenn wir die Preise über 99 Cent anheben, besteht die Gefahr, dass die Anwender sich die Musik wieder illegal aus dem Netz herunterladen. Dann verlieren wir alle“, kritisierte er die Gier der Konzerne.

In der Auseinandersetzung zwischen Plattenfirmen und Download-Anbietern wie Apple um das Geschäft der Zukunft wollen sich alle den größtmöglichen Anteil an den Märkten von morgen sichern. Die kundenfreundlichste Lösung für digitale Musik bleibt auf der Strecke, weil keiner der Großen im Poker um Gewinne nachgeben will. Im Kampf der Giganten sind gegenseitige Schuldzuweisungen an der Tagesordnung. „Wir haben mit dem Vertrieb der Musik nichts zu tun, wir produzieren die Musik“, sagt Tim van Dyk von Warner Music Germany. „Unsere Aufgabe ist es, aussichtsreiche Künstler zu finden und gleichzeitig einen größtmöglichen Rückfluss der Gewinne an sie zu sichern“, sagt van Dyk. Die InternetVertreiber rechtfertigen ihre Preispolitik ebenso nachvollziehbar. „Die Online-Shops müssen teilweise massive Anfangsinvestitionen für Hard- und Software, Marketing sowie Customer Service tätigen“, springt sogar Ralf Piggin des Musikkonzerns EMI für seine Verhandlungsgegner in die Bresche.

Preisfindung gehört zur Marktwirtschaft und braucht eine gewisse Zeit. Nur ist dieser Prozess durch den mangelnden Wettbewerb für den Kunden völlig undurchschaubar. Über die eigentlichen Preisverhandlungen halten sich alle Beteiligten bedeckt. Niemand will sich bei dieser entscheidenden Frage in die Karten schauen lassen und somit seine Verhandlungsposition schwächen. Dem Kunden aber ist nur das Ergebnis wichtig. Er kratzt sich am Kopf, weil bis heute kein kundenfreundliches Angebot für Digitalmusik existiert, das legal ist. Als letzten Ausweg sieht er möglicherweise nur, wieder auf die illegalen kostenlosen Tauschbörsen auszuweichen.

Jahrelang sperrten sich die großen Musikkonzerne Sony BMG, Warner Music, EMI und Universal gegen den Trend hin zu digitaler Musik, weil dadurch ihr traditionelles Kerngeschäft, der Ladenverkauf von CDs, gefährdet wurde. In der Tat hat das Internet die Branche revolutioniert: In den letzten fünf Jahren sind die Erlöse aus CD-Verkäufen um etwa ein Drittel eingebrochen. Die Chancen des Internets hat die Musikindustrie dagegen komplett verschlafen. Findige PC-Nutzer wussten sich zu helfen: Am Rande der Legalität operierende Tauschbörsen wie Napster, Kazaa und eDonkey stießen in die Angebotslücke. Statt die gestiegene Nachfragemacht der Konsumenten und den Bedarf nach digitaler Musik zu akzeptieren, verhinderte bisher die Gewinngier der Musikriesen einen bezahlbaren, legalen Service. Die Plattenkonzerne begnügten sich damit, den Internettausch als geschäftsschädigend und illegal zu brandmarken und bekämpften bekannte Musikdiebe lieber vor Gericht als mit einem cleveren Geschäftskonzept, das auf die veränderte Lage reagiert.

Weil es 2003 immer noch keinen legalen Online-Musikvertrieb gab, eröffnete dann Apple als erster den „iTunes Music Store“. Dabei gelang ihm das Kunststück, von den Musikmanagern Vertriebsrechte zu besonders günstigen Konditionen zu ergattern. Seitdem sind auch andere Anbieter wie AOL, MSN und Media Markt auf den Zug aufgesprungen. Mittlerweile werden fünf Prozent aller Musikverkäufe digital abgewickelt. Der Marktführer in Deutschland ist Musicload.de. Weltweit hält aber Apple mit 80 Prozent Marktanteil diese Position. Inzwischen stammen 38 Prozent der Einnahmen des Unternehmens aus dem Musikgeschäft.

Und genau da liegt nun das Problem: Durch sein mutiges Verhalten hat Apple zwar die Branche in Schwung gebracht, sich gleichzeitig aber eine marktbeherrschende Stellung erarbeitet. Das Download-Portal von Apple heizt gleichzeitig den Verkauf von Apples ebenso populärem tragbaren Musikspieler iPod an, mit dem das Unternehmen seine eigentlichen Gewinne erzielt und so niedrige Preise in seinem Online-Musikvertrieb refinanziert. 22 Millionen iPods hat Apple bereits verkauft. Diese Geldmaschine will sich Steve Jobs nicht kaputtmachen lassen. Konkurrenz bekommt der iPod aber vor allem durch eine neue Generation von Jukebox-Handys wie Nokias N91 und Sony Ericssons W800 Walkman. Denn die bieten gegenüber jedem tragbaren Musikspieler einen unschlagbaren Vorteil: Sie verfügen über einen mobilen Zugang zum Internet und damit zur Musik. Apple versucht deshalb, den Markt für Musikhandys so klein wie möglich zu halten. Am 7. September stellte Jobs sein in Kooperation mit Motorola produziertes eigenes Musikhandy, das Rokr, vor. Und natürlich kann das Telefon anders als viele andere Modelle nicht direkt aus dem Internet mit neusten Songs bestückt werden, sondern muss dazu noch mit PC und dem Apple-Onlinedienst iTunes verbunden werden.

Letztendlich verhindert auch die Preispolitik der großen deutschen Mobilfunkbetreiber Musikdownloads. Zwar bezeichnen alle Unternehmen das Geschäft als Markt mit Zukunft. „Wir sehen für die nächsten Jahre sehr gute Perspektiven und gute Potenziale in diesem Bereich“, sagt zum Beispiel Tanja Dahmen, Sprecherin von Vodafone. Warum aber kostet ein Einzelsong bei dem Unternehmen dann immer noch 1,49, vier Songs im Monatsabo 4,99? Warum bietet dann T-Mobile nur 90-Sekunden-Schnipsel statt eines ganzen Songs zum Download an? Kein Netzbetreiber will den ersten Beweger spielen und die Kosten für einen billigen, massenmarktfähigen Service übernehmen. Aber warum sollte langfristig jemand Musik aus dem Internet herunterladen und dann vom PC auf sein Handy überspielen wollen, wenn er sie sofort, überall und unmittelbar auf dem Handy haben kann? Die Unternehmen aber wollen abwarten und sich dann bei Erfolg ins gemachte Nest setzen. Vor allem bei den Übertragungspreisen für den Datentransfer, die bei allen Netzbetreibern außer O2 zum eigentlichen Kaufpreis hinzugerechnet werden müssen, sind die Unternehmen nicht bereit, Abschläge zu machen. Einzig mit dem schnellen UMTS-Standard macht Direktübertragung auf das (Musik-)Handy wirklich Sinn. Ein Download würde dann nur 30 Sekunden dauern. UMTS-Service ist aber bisher durchgängig noch zu teuer.

Sicher ist, dass die Salamitaktik der Industrie, dem Kunden technische Innovationen scheibchenweise statt im Ganzen zu verabreichen, weiter fortgesetzt werden wird. Solange aber versucht wird, im Internet dieselben Preise zu erzielen wie im Laden, wird der Traum von der besten Lösung im Sinne der Kunden unerfüllt bleiben.

Hannes Vogel

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