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Panorama: 24 Stunden Primetime

Unser Autor hat vier Fernbedienungen. Trotzdem findet er den Aus-Knopf nicht. Eine Suchtgeschichte

DIE ERKENNTNIS

Guten Tag, ich bin fernsehsüchtig. Das erklärt vielleicht die Fernbedienung, die ich als Glücksbringer immer bei mir trage und meine Armbanduhr mit eingebautem Fernsehgerät. Die dazugehörige Antenne halte ich fast ununterbrochen in der Hand, um überall guten Empfang zu haben. Gut, ich übertreibe. Ganz so schlimm ist es mit mir noch nicht. Aber mein Fernseher läuft schon sehr oft, und ja, manchmal sehe ich auch Kultursendungen auf Arte und den anderen öffentlich-rechtlichen Programmen – also den Sendern mit Bildungsauftrag. Auf dem Kinderkanal habe ich neulich mit Hilfe der Sendung „Wissen macht Ah!“ gelernt, wie Fußpilz entsteht – mit wunderschönen Großaufnahmen. Manchmal lasse ich mich auch von Nachrichtensendern wie n-tv oder N 24 berieseln, während ich etwas anderes mache, zum Beispiel gerade jetzt, beim Eintippen dieser Selbsterkenntnis.

Eigentlich ist es der Trash, den ich toll finde. Nachmittagstalkshows. Seltsame Dokusoaps wie „Frauentausch“ oder „Ärger im Revier“ auf RTL 2. Einer meiner vielen Lieblingsfilme ist der Science-Fiction-Schrott „Space Truckers“, den ich so toll fand, dass ich ihn mir als DVD kaufen musste. Hauptperson darin ist eine Art Weltraumspediteur, der unter anderem quadratische Schweine vom Mars durchs Weltall transportiert.

DIE URSACHE

Wie fast alle Probleme liegen die Ursachen für meine Fernsehsucht in meiner Kindheit. Meine Eltern wollten nicht, dass ich mit einem pädagogisch nicht ganz so wertvollem Fernsehprogramm aufwachse. „Sesamstraße“ war okay. „Sandmännchen“ und „Löwenzahn“ – auch in Ordnung. So wurde der Trash, das Müllige, das pädagisch Unwertvolle interessant, und natürlich sah ich diese Sendungen umso lieber. „Knight Rider“ mit David Hasselhoff zum Beispiel. „Ein Colt für eine Fälle“. Oder das „A-Team“. Mit Spielzeugwaffen durfte ich als Kind auch nicht spielen – gut eigentlich, dass ich fernsehsüchtig und nicht Waffenfetischist geworden bin.

DAS PROBLEM

Woran erkennt man einen Fernsehsüchtigen? Ich habe ein soziales Umfeld, Freunde, mit denen ich mich regelmäßig treffe und etwas unternehme. Ich habe eine Freundin. Ich habe nicht immer schlechte Laune. Ich mache hin und wieder auch andere Dinge als fernsehen: Zum Beispiel bin ich mehr als oft im Internet. Manchmal lese ich sogar Bücher. Außerdem lese ich tagtäglich sowohl mehrere Zeitungen als auch Nachrichtenmagazine im Internet. Vielleicht bin ich ein wenig egozentrisch und rede viel zu oft von mir, meinen Problemen und benutze überdurchschnittlich oft das Wort „ich“ – aber das hat, glaube ich, nichts mit meiner Fernsehsucht zu tun. Habe ich ein Problem mit meinem überdurchschnittlich hohen Konsum von Bildern und meiner bei Licht betrachtet anspruchslosen Programmauswahl? Nö, eigentlich nicht. Oder merke ich schon gar nicht mehr, wie mich ARD, Pro Sieben, RTL, RTL 2, Sat 1 und womöglich sogar das ZDF in ihren finsteren, bösartigen Bann gezogen haben?

DIE AUSWIRKUNGEN

Leider gibt es genügend Anzeichen für meine Fernsehsucht: Einer meiner Fernseher steht im Schlafzimmer, ein anderer neben dem Computer. Für den Schlafzimmer-Fernseher plus Zusatzgerätschaft brauche ich vier Fernbedienungen. Eine für den Digitalreceiver, mit dem ich die Programme von „Premiere“ und andere Digitalfernsehsender empfangen kann. Ist doch normal, dass man mehr als 100 Sender zur vollkommenen Fernsehzufriedenheit benötigt. Dann eine Fernbedienung für den Videorecorder. Eine für den DVD-Player und eine für den Fernseher selbst. Es gibt ja dieses Vorurteil, dass man durch Fernsehschauen passiv wird – bei vier Fernbedienungen ist es jedoch wahrscheinlich, dass sich wenigstens eine davon versteckt. Unter dem Bett vielleicht. Verlegt. Da muss man dann auf die Suche gehen. Deswegen bin ich ein sehr aktiver Fernsehzuschauer. Hinzu kommt, dass ich multitaskingfähig bin: Während ich fernsehe, lese ich, schreibe ich, esse hin und wieder Frühstück, Mittag, Abendbrot vor dem Fernsehgerät. Außerdem muss ich aktiv werden, wenn Werbung kommt: Wegzappen! Da muss ich aufmerksam sein, damit keine Werbeminute in mein Gehirn prasselt. Fett bin ich übrigens nicht. Meistens schaffe ich es, zweimal in der Woche ins Fitnessstudio zu gehen, wo ich mich dann auf einem Fahrrad abstrample – begleitet von, nun ja, Fernsehern, die freundlicherweise vor den Cardiogeräten aufgereiht stehen. Talkshow-Trash und schrottige Spielshows! Und „Beauty Queen“ auf RTL. Obwohl: Diese Sendung ist selbst mir zu schlecht. Es gibt guten und schlechten Trash – und „Beauty Queen“ ist hundsmiserabler, vermurkster Fernsehdreck. Die Grenze zwischen gutem und schlechtem Trash ist schwammig. Vielleicht erkennt man guten Medienmüll daran, dass er sich selbst nicht ganz so ernst nimmt und dass die Macher wissen, was Selbstironie ist. Obwohl: Ist „Frauentausch“ selbstironisch? Und warum finde ich es trotzdem gut? Vielleicht, weil ich es, trotz fehlender Selbstironie, nicht ernst nehme? Bei „Beauty Queen“ bleibt mir das Lachen im Halse stecken, weil es so doof ist. Und obwohl ich diese Serie noch weniger ernst nehme als allen anderen Trash, habe ich keinen Spaß daran. Keine Ahnung, weshalb ich den einen Schrott gut und den anderen Schrott schlecht finde.

DIE LÖSUNG

Die Selbsterkenntnis ist der erste Schritt raus aus der Sucht – so heißt es doch immer. Aber was, wenn ich gar nichts ändern will? Wenn ich es gar nicht schlimm finde, fernsehsüchtig zu sein? Und ehrlich gesagt klingt „Fernsehsüchtiger“ auch verletzend. Der Ausdruck „Vielseher“ hört sich um einiges sympathischer an, finde ich. Ich werde mich als Vielseher bezeichnen, mit Fernsehsüchtigen möchte ich nicht mehr in einen Topf geworfen werden. Und jetzt ist Schluss. „Six Feet Under“ fängt gleich an.

Till Frommann

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