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© dpa

Alkoholkonsum: Volle Pulle Spaß

Einen Abend mit Freunden ohne Alkohol findet Paula, 14, langweilig. Sie ist lieber cool als nüchtern

Einen Grund zum Trinken findet Paula immer. Im Winter trifft sie sich mit Freunden gerne vor Einkaufszentren in Berlin, im Sommer beginnt der Cliquentreff im Park gepflegt mit Bier und Wein. „Den Alkohol kriegen wir mit gefälschten Schülerausweisen oder einfach so im Spätkauf, weil wir älter geschätzt werden“, sagt sie. In der Stimme der 14-Jährigen klingt Stolz durch.

Bei Bier und Wein bleibt es meist nicht, wenn sich Paula* mit ihren Freunden trifft. Oft kommen härtere Sachen ins Spiel. Und mitunter auch die Handykamera, mit der die Spaßgelage gefilmt werden. Wer leert schneller sein Glas? Wer traut sich, etwas Verrücktes zu tun? „Zum Beispiel barfuß durch den Schnee rennen“, sagt Paula. An diesen Abenden wird viel gelacht. Sie sind lustig.

Kein Jugendlicher würde sich wohl selbst je als potenziellen Komasäufer bezeichnen. Nur gelegentlich stürzt einer ab, im schlimmsten Fall kommt der Rettungswagen. Das mit dem Alkohol beginnt vielleicht auf einer Klassenfahrt, an Silvester oder auf einer Geburtstagsparty. In Berlin trinken Jugendliche zum ersten Mal im Alter zwischen zwölf und 15 Jahren. Das sagt die von der Fachstelle für Suchtprävention herausgegebene Studie „Jugendliche – Alkohol – Hintergründe“. Befragt wurden Jungs und Mädchen zwischen elf und 27 Jahren aus allen Bezirken. Sie berichten meist von ähnlichen Rausch-Eskapaden wie Paula. Von Nächten, in denen sie im Suff über den Zaun ins Freibad geklettert sind. Von Nachmittagen, an denen sie schreiend durch die Straßen gerannt sind. Dass man diese Geschichten nicht missen möchte, sagen die Älteren. Als wäre jeder Schluck, jede Flasche, jedes Glas eine Trophäe des eigenen Reifeprozesses.

„Trinken gehört irgendwie zum Erwachsenwerden dazu“, sagt Daniel. Das sei doch schon bei früheren Generationen vor ihnen so gewesen. Der 19-Jährige sitzt mit seinen Schulkameradinnen Anna und Miriam in einem Café in der Nähe des John-Lennon-Gymnasiums in Mitte. Sie lachen viel und erzählen offen über vergangene Geschichten. Daniel kann sich nicht entscheiden, von welcher seiner Trink-Anekdoten er berichten soll. Er erzählt, wie er nach einer Fahrradtour mit Freunden übermütig mit seinen Klamotten in den See gesprungen sei und am nächsten Tag in der nassen Kleidung habe weiterfahren müssen. „Keine schöne Sache“, sagt er und lacht. Während des Gesprächs sind die drei Freunde manchmal selbst ein bisschen entsetzt, aber der Unterhaltungswert ihrer Geschichten ist groß. „Ist zwar traurig, aber bei uns gehört Alkohol zum Feiern dazu. Enthemmt Partymachen“, sagt Anna.

„Man ist nicht per se cool, wenn man viel trinkt. Aber man ist irgendwie uncool, wenn man es nicht tut“, sagt Miriam. Macht sich darüber nicht so viele Gedanken. Daniel erinnert sich an einen Freund, der bis heute ein Außenseiter ist. „Der wäre das wohl nicht, wenn er früher bei manchen Sachen mitgemacht hätte.“ Alkohol als Zugang also? „Auch“, sagt Daniel, „wer trinkt, beweist mehr Mut.“ Er selbst konsumiere nur gelegentlich, dann aber richtig. Schon zweimal ist Daniel im Suff mit einer neuen Freundin zusammengekommen. „Es ist einfach die vorübergehende Veränderung deines So-bin-ich- normalerweise-Zustandes.“

Die Zeit ihrer schlimmsten Exzesse sei bei ihnen jetzt vorbei, sagen die drei Abiturienten. Den Höhepunkt ihrer Trink-Eskapaden hätten sie bereits im Alter von 16 erreicht. „In meiner Auseinandersetzungsphase mit Alkohol lag ich dreimal erbärmlich in der Ecke. Danach hatte ich keinen Bock mehr auf so ein Ende“, sagt Miriam. Das Problem sei, wenn man aus diesen Schlüsselerlebnissen nichts lerne. „Man muss auf jeden Fall aufpassen, es sich auf lange Sicht nicht zu versauen.“ Und sie meint damit, dass sie ihr Trinken mehr und mehr dosiert habe, je älter sie geworden ist. Wenn sie den Tag nicht verkatert im Bett verbringen will, rührt sie am Abend vorher keinen Alkohol an. „Ich trinke nicht mehr, um dazuzugehören und die Zeiten, in denen wir auf dem Spielplatz unterwegs waren, sind vorbei."

Der 13-jährige Kevin trinkt am liebsten Cola-Bier-Mixgetränke. Er sagt, er kenne die Wirkung von Alkohol, aber achte darauf nicht zu viel zu trinken. „Ein Six-Pack und ein Glas Wodka – da wäre bei mir bestimmt Ende.“ In der Diskussion über Jugendliche, die zu viel trinken, sieht er keinen Sinn. Zwar hält er diejenigen, die zu viel saufen und „es nicht raffen“ für „dumm“. Doch eines sei klar: „Man weiß, dass man nicht so viel trinken darf und macht es trotzdem.“ Viele würden einen „Kotten“ schieben und weitertrinken. So wie der Freund des 14-jährigen Patrick, der den Alkohol von seinem älteren Bruder in einer Billard-Kneipe bekommen hat und sich bei der Heimfahrt in der S-Bahn übergeben musste.

Koma-Mädchen und Koma-Jungs: Mit „Binge-Drinking“ ist der Konsum von mindestens fünf Gläsern alkoholhaltiger Getränke beim gleichen Anlass gemeint. Oft ist der Absturz erklärtes Ziel. Es gab Zeiten, da war vielen Zeitungen jeder Jugendliche eine Meldung wert, der mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Heute liest man weniger über sie. Vielleicht, weil sie zum Alltag gehören.

Mehr als 20 Prozent der Jugendlichen betrinken sich mindestens einmal im Monat, sagt der Drogen- und Suchtbericht des Bundesgesundheitsministeriums von 2009. Erhebungen aus ganz Europa zeigen, dass Kinder und Jugendliche aus finanziell besser gestellten Elternhäusern besonders zu exzessivem Rauschtrinken neigen. Und laut Statistischem Bundesamt wurden 2008 bundesweit 25 700 Heranwachsende zwischen zehn und 20 Jahren mit akuter Alkoholvergiftung stationär behandelt.

„Dass ich angetrunken bin, merke ich, wenn ich torkele. Dann ist Schluss“, sagt Paula. An Silvester sei sie zum ersten Mal richtig betrunken gewesen. „Da habe ich mich krass zusammenreißen müssen, um bei meinen Eltern nicht aufzufallen.“ Auch die heute 18-jährige Hanna war bei ihrem ersten Rausch 14. „Meine Eltern haben an meinem Geburtstag mit uns getrunken, weil sie nicht wollten, dass ich es draußen unbeobachtet ausprobiere.“ Es begann mit Wein, später habe ihr älterer Bruder den „Hart-Alk“ auf den Tisch gestellt. „Das fanden nicht alle Eltern meiner Freunde pädagogisch so wertvoll wie meine.“

Alkohol und seine Folgen: Das versucht in Berlin auch der Workshop „Volle Pulle leben – auch ohne Alkohol“ Jugendlichen nahezubringen. „Was findet ihr gut an Alkohol“, fragt Leiter Denise Ilktac die siebte Klasse, in die auch Patrice, Paula und Kevin gehen. Im Mitmach-Parcours zur Alkoholprävention des Vereins „Karuna“ wird auf Moral und Vorschriften verzichtet. „Alkohol spielt im Leben Jugendlicher eine Rolle, deshalb versuchen wir, ihre Eigenverantwortlichkeit zu stärken. Denn die Entscheidung, wie sie in ihrem Alltag mit Alkohol umgehen, die treffen sie am Ende selbst“, sagt Projektleiter Oliver Riemer.

Die 18-jährige Anna hat Freunde, die sich jedes Wochenende beim Weggehen die Kante geben. „Wenn ich darüber nachdenke, dann sind das die Einsamsten von uns allen.“ * alle Namen geändert

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