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Bei Kämpfen unter Mädchen geht es um Ehre und Beziehungen, sagen Experten.

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Anti-Gewalttraining: Weibliche Reize

Mädchen schlagen anders zu, sagt Paula, 24. Und aus anderen Motiven. Im Anti-Gewalttraining lernen Täterinnen, Konflikte friedlich zu lösen.

Zum Thema Gewalt hat Paula* eine dezidierte Meinung: „Mädchen schlagen mit Verstand.“ Ihre Streitereien seien oft weniger sinnlos, ihre Art hinterhältig. „Wir machen zwar weniger als die Jungs, aber wenn, ist es krasser.“ Paula ist 24, aus Steglitz, mittelgroß, robuster Typ, blonder Kurzhaarschnitt. Sie sagt, dass sie früher nach Gründen fürs Schlagen gesucht habe und dass sie es heute manchmal vermisst. Trotz des Anti-Gewalttrainings. „Wenn es mich packt, dann hämmere ich in der Wohnung herum.“

Wenn Paula erzählt, geht es viel darum, wer Recht hat und wem Unrecht geschehen ist. Einen kleinen Jungen habe sie gewürgt, weil der zuvor ihren jüngeren Neffen geschlagen habe. Mit einer Freundin habe sie damals gemeinsam geprügelt. „Wir waren ein Paar, das jeden platt gemacht hätte.“ Heute sitzt Paula mit Meltem*, zwei anderen Mädchen und zwei Anti-Gewalttrainern im Besprechungsraum der „Integrationshilfe“ in Wilmersdorf. Die Mädchen haben sich ein halbes Jahr nicht gesehen. Es gibt viel zu erzählen. Es ist die Nachbesprechung des Trainings, zu dem sie neben Bewährungsstrafen und Sozialstunden verurteilt wurden. Ihre Taten liegen zwei bis drei Jahre zurück. Boxen, schlagen, treten, ins Gesicht spucken, klauen.

Im vorigen Jahr wurden in Berlin insgesamt 36 025 weibliche Tatverdächtige ermittelt, dem stehen 104 040 männliche gegenüber. „Zwar hat die Zahl krimineller Mädchen nicht gravierend zugenommen, aber dafür werden die einzelnen Taten immer brutaler“, sagt Eva Knapp, Leiterin der Integrationshilfe, einer Einrichtung des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks.

Sich prügeln und gleichzeitig ein attraktives Mädchen sein, ist kein Widerspruch, sagt Anti-Gewalttrainerin Barbara Schidzick-Arning: „Frauen sollen sich heute durchsetzen können. Wenn Mädchen in ihren Familien ein Bild vermittelt bekommen, dass Frauen sich unterordnen müssen, lehnen sich viele dagegen auf.“ Und Eva Knapp ergänzt, dass Mädchen im Gegensatz zu Jungs eher in der Gruppe gewalttätig werden.

Meltem aus Spandau bestätigt das. Sie ist 19 und trägt einen trendigen Bob. Sie erzählt, dass sie mit ihrer Clique ein Mädchen an eine Baustelle am Potsdamer Platz gelockt habe, um es zusammenzuschlagen. Weil sie es „auf dem Kieker“ hatten. Fünf gegen eine. Mit herumliegenden Pfosten hätten sie auf das Mädchen eingehauen, gegen ihren Kopf getreten, sie liegengelassen. Im Anschluss hätten sie zwei Frauen in der U-Bahn verprügelt und deren Taschen geklaut. In einem leerstehenden Haus hätten sie die unbrauchbaren Beutereste verbrennen wollen und dabei versehentlich eine Wohnung abgefackelt. Meltem saß dafür eine Woche in U-Haft in Moabit und bekam danach das Anti-Gewalttraining verpasst. Mit 16.

„Das war voll bescheuert“, sagt Meltem und lacht laut auf. Das tut sie viel an diesem Nachmittag, besonders dann, wenn sie unangenehme Details erzählen oder sich der Tatsache stellen soll, damals in der Gruppe die Anführerin gewesen zu sein. Vielleicht ist es Scham, sicher ist es Reue. Man spürt, dass Meltem das Mädchen von damals nicht mehr sein will.

Vernachlässigung in der Familie und im Freundeskreis ist einer von vielen Gründen für Gewalt. Manche der Mädchen im Raum kennen das Gefühl, nachts zu Hause nicht reingelassen zu werden und dann im Keller schlafen zu müssen. Das macht traurig. Das macht wütend. Bei manchen schürt es Aggressionen.

Warum Schläge? Es geht um Ehre, den Freund oder die Freundin, die es zu verteidigen gilt. „Bei Mädchen haben die Streitereien fast immer mit Beziehungen zu tun“, sagt Anti-Gewalttrainer Michael Krause. Oft geht es darum, dass eine den eigenen Freund angemacht oder ausgespannt hat. Viele Mädchen identifizieren sich über ihre Freunde. Sie befürchten, einen Ruf zu verlieren. Aber das sei nur eine Rechtfertigung, um nicht auf sich selbst schauen zu müssen, sagt Krause.

„Gewalt hat mir eine Menge bedeutet“, sagt Paula. Sie habe Anerkennung verschafft. Manchmal wurde Paula angerufen, um jemandem zu helfen – mit Schlägen. „Es ist ein gutes Gefühl gewesen, bei den Jüngeren den Ruf zu haben, stark zu sein“, sagt Meltem.

Zu ihren alten Freunden haben die Mädchen aus dem Kurs heute keinen Kontakt mehr. Das drei- bis sechsmonatige Anti-Gewalttraining mit seiner Methode „Erziehen statt strafen“ hat sie innerlich verändert. Sie sprechen jetzt über ihre Wut, setzen sich mit den eigenen Taten auseinander. Das Ziel: Andere Lösungen als das Schlagen zu finden. Die Stimme einer Teilnehmerin zittert, als sie sagt, wie sehr sie sich heute schämt. Ihr Blick ist gesenkt. Sie erzählt von einer Tat, bei der sie das Gesicht eines Mädchens mit einem Highheel zertrümmert hat. Der Tritt war auch Ausdruck ihres eigenen Schmerzes. „Nie wieder“, sagt sie.

* Name von der Redaktion geändert

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