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Panorama: Asyl für engagierte Eltern

Vor einem Jahr verließ eine ganze Klasse die Kurt-Held-Schule in Kreuzberg. Jetzt soll sie geschlossen werden. Erfahrungsbericht eines Vaters, der wegging

Von HeinzBernhard Wohlfarth

Die Kurt-Held-Schule am Görlitzer Park hat in den vergangenen Jahren ein Drittel ihrer Schüler verloren. Zurück blieben die nichtdeutschen Schüler. Jetzt soll die Schule geschlossen und die verbliebenen Schüler auf die Schulen in der Nachbarschaft verteilt werden. Vergangene Woche demonstrierten mehr als 250 Eltern aus der Kurt-Held-Schule und umliegenden Schulen gegen die Schließungspläne. Sie fürchten, dass die Integration türkischer Schüler scheitert. Heinz-Bernhard Wohlfarth ist ein Vater, der seinen Sohn vergangenes Jahr aus der Kurt-Held-Schule genommen hat. Warum, erklärt er hier:

Als 1995 unsere Tochter an der Kurt-Held-Grundschule eingeschult werden sollte, fragten wir uns: Bleiben? Ummelden? Umziehen? Der Anteil der Kinder mit einer anderen Muttersprache lag damals noch bei 50 Prozent. Wir erhielten eine warmherzige Lehrerin, der wir zutrauten, die Klasse zusammenzuführen und die Sprachprobleme in den Griff zu bekommen. Wir blieben.

Die Situation änderte sich in der vierten Klasse: Die Elternarbeit an der Schule war gänzlich zusammengebrochen; es gab weniger Schüler, und die Proportion von deutschen und nicht-deutschen Kindern hatte sich verschlechtert. Das Schulamt hatte deshalb beschlossen, eine türkische Klasse aufzulösen und auf die Parallelklassen zu verteilen. Petra Schmidt, die mittlerweile die Klasse übernommen und sofort unser Vertrauen gewonnen hatte, berichtete über die Schwierigkeiten, in dieser fortgeschrittenen Lernphase die Sprachlücken der neuen Kinder zu schließen und sie in den Klassenverband zu integrieren.

Am letzten Elternabend dieses Schuljahres erzählte eine türkische Mutter, sie habe ihre Tochter am Gymnasium angemeldet. Der Abzug bildungsinteressierter türkischer Eltern war ein Novum. Es zeigte mir, in welch prekärer Phase sich die Schule mittlerweile befand. Ich beschloss, mich im nächsten Schuljahr zum Elternsprecher wählen zu lassen und auch andere Eltern davon zu überzeugen, dass man jetzt handeln müsse. Kein besserer Ort als diese Schule, um das Gespräch zwischen türkischen und deutschen Eltern zu beginnen, dachte ich – und stieß auf Gleichgültigkeit.

Gegen Ende des fünften Schuljahres sollten erneut Klassen zusammengelegt werden. Eine Wiederholung, dazu noch im letzten Schuljahr vor dem Übergang in die Oberschule, wollte ich mit allen Mitteln verhindern. Ich sammelte Unterschriften, die Fusionspläne für den Abschlussjahrgang wurden aufgegeben. Dieser kleine Erfolg wirkte inspirierend: Mit dem Abgang meiner Tochter stand die Einschulung meines Sohnes an.

Da Petra Schmidt als Lehrerin frei wurde und Lust hatte, wieder eine erste Klasse zu übernehmen, machte ich der Schulleitung folgenden Vorschlag: Wenn Petra Schmidt die Eingangsklasse erhält und alle deutschsprachigen Kinder in diese Klasse eingeteilt würden, würde ich versuchen, deutsche Eltern dafür zu gewinnen, ihre Kinder an unserer Schule zu belassen oder hierher umzumelden. Die Idee ging auf: Knapp zwei Drittel der Schüler der neuen Klasse waren schließlich deutscher Herkunft.

Was mir in den Jahren vorher als Einzelkämpfer nicht möglich war, lief durch das Zusammenspiel mehrerer Personen plötzlich wie von alleine: In einer Wochenendaktion erhielt der neue Klassenraum einen freundlichen Anstrich. Für die Kinder wurde ein Getränkedienst eingerichtet. Die Quartiersmanager gaben Geld zur Renovierung der Mädchentoiletten. Wir konnten die umgehende Besetzung der vakant gewordenen Stelle des Schulleiters erwirken. Sogar die Aula wurde neu gestaltet, und es gab einen Türkischkurs für nichttürkische Kinder. Wir Eltern der neuen Klasse gründeten den Förderverein „Arkadas“ und arbeiteten sehr gut mit Vertreterinnen des Quartiersmanagements zusammen. Hier endlich passierte es: die gemeinsame Arbeit mit türkischen Eltern.

Dieser Impuls wurde aber von den Lehrern nicht aufgenommen. Sie verhielten sich abwartend, misstrauisch und feindselig. So schlug das wichtigste Projekt von „Arkadas“ fehl. Durch einen Tag der offenen Tür versuchte der Verein, vor der Einschulung an die bildungsinteressierten Eltern heranzukommen und sie auf die neuen Ansätze hinzuweisen.

Aber wir konnten der Schulleitung nicht klar machen, wie wichtig es dafür wäre, eine Lehrerin zu benennen, mit der wir hätten werben können. Die Eltern im Förderverein meldeten die Geschwisterkinder woanders an. Im Schuljahr 2003/2004 gab es kein einziges deutsches Kind unter den Erstklässlern. Nicht weil es keine deutschen Kinder mehr vor Ort gäbe, sondern weil nichts unternommen wurde, um die Verfestigung der Kurt- Held-Schule zur Ghetto-Schule rückgängig zu machen. Der neue Schulleiter wurschtelte so konzeptionslos herum wie der alte. Er scheute die öffentliche Debatte und drückte sich vor Entscheidungen. Dazu kam, dass die Schulaufsicht jahrelang ihren Pflichten nicht nachgekommen ist. Dass die Zeit verpasst wurde, die Fehlentwicklungen zu korrigieren, dient jetzt vielen Beteiligten dazu, sich für ohnmächtig zu erklären.

Nachdem auch noch Petra Schmidt die Schule verlassen hatte, weil sie Reformen nicht mehr für möglich hielt, schauten wir Eltern uns nach einer anderen Schule um. Die Hunsrück-Schule erklärte sich bereit, eine ganze Klasse aufzunehmen, allein es fehlte ihr eine Lehrerin. Kein Problem für uns: Die Lehrerin konnten wir ja mitbringen. So starteten Ende 2003 am neuen Ort neugierige Kinder, gut gelaunte Eltern und eine befreite Lehrerin aufs Neue vereint ins Schuljahr.

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