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© privat

Auf der Sonnenseite (7): Unsere Australien-Kolumne: Crash-Test für's Leben

Für ein Jahr ist unser Autor Julius Wolf, 21, in Australien. Dort will er mit Freunden einen Grillnachmittag machen. Bevor es soweit kommt, gibt es einen Knall.

Seit fünf Wochen bin ich jetzt in Stanthorpe, ungefähr in der Mitte des Ostens von Australien. Sechs Tage der Woche verbringe ich mit Äpfeln. Royal Gala-Äpfel, Granny Smith-Äpfel, Pink Lady-Äpfel, Red Delicious-Äpfel, Äpfel, Äpfel, Äpfel. Ich pflücke sie. Aber nächste Woche soll es endlich weiter gehen. Die nächsten möglichen Stationen könnten Cairns, Darwin und dann Alice Springs sein. Noch sind Timo und ich hier und es ist Sonntag. Sonntag ist Funtag, der freie Tag. Das heisst auf dem Happy Apple Campingplatz entweder Wäsche waschen, rumhängen in süßlichen Rauchschwaden und saufen, oder man fährt zum Boono-Boono Wasserfall. In meinem Auto sitzen drei Jungs und zwei Mädchen. Amelie, Ramona, Daniel, Timo und ich. Mit uns fährt noch ein anderes bis unters Dach vollgestopftes Auto. Erst wird eingekauft, Steaks und Würstchen, BBQ Sauce und Bier.

Auf der Fahrbahn ist plötzlich ein Schlagloch

Der Boono-Boono Fall ist 75 Kilometer von Stanthorpe entfernt. Die Hälfte davon fährt man auf einer löchrigen Sandstrasse. Der Weg ist übersäht mit Rillen und Schlaglöchern, die vom Regen ausgewaschen sind. Die anderen haben es mit ihrem 4 Wheel Drive Jeep leichter als ich mit meinem Toyota Kombi von 1982. Sie sind nach drei Kurven außer Sichtweite.

„Fahr mal langsamer“, mahnt Timo. Ich weiche dem nächsten Schlagloch aus. Schnelle Lenkradbewegung links, schnelle Lenkradbewegung rechts. Und dann ist die Kontrolle über das Auto auch schon weg. Wir schleudern nach rechts, ich versuche gegenzulenken. Wir schlingern auf die linke Seite, das Auto dreht sich weiter. Wir rutschen auf die Böschung am rechten Strassenrand zu. Das linke Vorderrad schlägt zuerst in den kleinen Erdwall, unten, oben, unten, oben, unten, oben, es kracht und klirrt, wir stehen auf den Rädern neben einem Baum. Der Staub legt sich schnell, ich sitze mit angezogenen Knien auf dem Fahrersitz, meine Knöchel werden wieder rot, nachdem ich das Lenkrad langsam loslasse. „Scheisse, was hab ich gemacht!“

Ich schaue mich um, Timo sucht neben mir seine Brille, hinten reibt sich Daniel den Kopf, Amelie sitzt zusammengeklappt auf der Rücklehne und Ramona klammert sich an ihrer Sektflasche fest. Keiner scheint ernsthaft verletzt zu sein. Dreimal haben wir uns überschlagen und sind wohl zehn Meter durch die Luft geflogen. Wir wären sogar weitergerollt, wenn wir nicht genau zwischen Vorder- und Hintertür in einen Baum gerasselt wären. Ich kapiere nach und nach, was gerade passiert ist. Die anderen krabbeln vorsichtig aus dem Auto. Ich stammele Entschuldigungen vor mich hin und erkundige mich immer wieder, ob es allen gut geht. Ich kann nicht fassen, dass niemand verletzt ist. Die Scheiben sind ganz geblieben, liegen aber verstreut im Wald. Sie sind komplett aus der Fassung geflogen. Unsere Sachen sind im Umkreis von dreissig Metern verteilt.

Das Auto ist Schrott - der Kopf brummt

Ein Auto hält an, eine Frau und ein Mann steigen aus. Während er sich erkundigt, wie es uns geht, ruft sie Feuerwehr und Krankenwagen. Dafür, dass wir irgendwo im Nirgendwo sitzen, sind Ambulanz, Polizei und Abschleppwagen erstaunlich schnell da. Amelie und Ramona werden ins Krankenhaus zu einem Sicherheitscheck gebracht, die freundliche Polizistin schaut sich das Auto an. Mich träfe wohl keine Schuld, meint die Polizistin, das wäre der sechste Unfall an dieser Stelle in zwei Monaten. „Ihr habt Glück gehabt“, meint sie, klopft mir auf die Schulter und rät mir, doch Lotto zu spielen. Und ein Bier soll ich auch trinken gehen, „hilft gegen das bleiche Gesicht.“ Bier trinken, so ein Vorschlag in so einer Situation, von einer Polizistin. In Australien nimmt man alles entspannter.

Einer der Feuerwehrmänner kommt zu mir, wiederholt den Rat mit dem Bier, nur schlägt er gleich ein Besäufnis der härteren Art vor. Also ich meine, mein Auto, mein erstes Auto ist im Arsch, ich sitze in Stanthorpe fest und ICH HABE DAS LEBEN VON VIER ANDEREN MENSCHEN AUFS SPIEL GESETZT. Und die quatschen vom Saufen. Ich brauche kein Bier, ich brauche ein neues Auto und einen Geldgeber, antworte ich. Das Gesicht des Feuerwehrmannes hellt sich auf: „Da könnte ich dir vielleicht helfen“, sagt er, „ das Auto meiner Tochter steht zum Verkauf.“ Und dann legt er los, redet über Kilometerzahlen und neue Bremsbeläge. Nebenbei werden Ramona und Amelie ins Krankenhaus gebracht, Timo und Daniel stapfen durch den Wald und sammeln unsere Sachen zusammen. „Neue Reifen hat das Auto und elektrische Fensterheber, einen riesen Kofferraum“, sagt Firefighter. Der angeforderte Kranwagen kommt an und hebt die Reste meines Autos auf die Ladefläche, mir kommen fast die Tränen. „Die Soundanlage ist der Hammer und man kommt locker auf 180 km/h“, wenn alle Feuer gelöscht sind in Australien könnte mein Mann auch gut als Gebrauchtwagenverkäufer anheuern. Aber 180 km/h, das ist nicht ganz die Info, die ich in dem Moment, nachdem ich einen Autounfall überlebt habe, brauche. Nur um ihn zum Schweigen zu bringen, sage ich, dass ich mir das Auto mal ansehe. Aber jetzt hätte ich gern für einen Moment meine Ruhe. „No worrys mate“, ist alles was ihm noch einfällt, bevor er mir seine Karte in die Hand drückt und mit seinen Kollegen verschwindet, keine Eile.

Mit einer Visitenkarte in der Hand stehen wir im Nirgendwo

Wir stehen im Nirgendwo, mit einer Visitenkarte in der Hand und ohne Plan, wie es jetzt weitergeht. Adam, der stoische Engländer,  hat am Anfang unserer Tour, als er sich sein Knie heftig verdreht hat, mal gesagt: „Don’t pull yourself down, it’s the adventure!“ Ja, ja, das Abenteuer. Meins besteht jetzt erst einmal darin, wieder Geld zu verdienen für ein neues Auto. Mit anderen Worten: Royal Gala-Äpfel, Granny Smith-Äpfel, Pink Lady-Äpfel, Red Delicious-Äpfel, Äpfel, Äpfel, Äpfel. Ich pflücke sie noch ein paar Wochen weiter.

Julius Wolf

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