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Rad ab.

© Björn Kietzmann

Panorama: Auf die harte Tour

Paul und Hansen Hoepner sind mit dem Rad von Berlin nach Schanghai gefahren. Unterwegs gab es Glücksmomente – und Ärger.

Eine Schlägerei hätte das Vorhaben beinahe beendet. Dann wären all die Wochen der Planung umsonst gewesen. Es ist der 43. Reisetag, Paul und Hansen Hoepner befinden sich in Kasachstan, genauer: in einem Dorf namens Albagas, wo sie kurz zuvor Trinkwasser für den nächsten Streckenabschnitt besorgt haben. Die Brüder wollen gerade den Ortsausgang passieren, als sie auf ihren Fahrrädern von einem silbernen Auto abgedrängt und zum Stehen gebracht werden.

Aus dem Wagen springen drei Männer, sie sind betrunken, fangen Streit an. Ein hitziges Wortgemenge, dann rammt einer von ihnen Hansen die Faust in den Magen, malträtiert Paul mit Tritten. Die Brüder versuchen, sich gegen die Alkis zu wehren, es gelingt ihnen aber nicht. So geht das eine Weile. Bis irgendwann ein Lkw neben der Gruppe hält. Der Fahrer springt raus, in der Hand eine Brechstange. Mit ihr verscheucht er die Angreifer. Und rettet so die Tour.

Die Tour. Eigentlich eine ziemlich harmlose Beschreibung für den Irrsinn, den sich Paul und Hansen Hoepner in den Kopf gesetzt hatten. Von Berlin nach Schanghai wollten sie fahren, über 13 000 Kilometer. Mit dem Rad. Das ist doch Wahnsinn! Bleibt daheim, ihr Spinner! So oder so ähnlich waren die Reaktionen im Freundeskreis, als die Brüder von ihrer Idee erzählten. Abbringen lassen haben sie sich davon nicht.

Am 6. April 2012 brachen Paul und Hansen auf, am 28. Oktober erreichten sie ihr Ziel, ihre Erlebnisse schilderten sie in einem Blog. Knapp ein Jahr ist das nun her. Im Sommer lief im Fernsehen eine dreiteilige Doku über die zwei und ihren Trip; fast pünktlich zum Jahrestag ihrer Ankunft in Schanghai ist nun ein Buch erschienen, in dem die Brüder von ihren Abenteuern berichten. „Zwei nach Shanghai“ lautet der Titel. Eines der ersten Exemplare aus der Druckerei halten sie in den Händen, als sie die Tür zu ihrer Wohnung in Neukölln öffnen. Zwei schlaksige Kerle, die nicht auseinanderzuhalten wären, würden sie sich gleich kleiden, denn sie sind eineiige Zwillinge.

Gerade ist ein Freund zu Besuch, im Flur liegt eine Matratze. Ist ein bisschen unordentlich, entschuldigt sich Paul, der fünf Minuten jüngere. An der Wand lehnt eines der Räder, mit denen sie vergangenes Jahr unterwegs waren. Am Spiegel darüber klebt ein Foto, aufgenommen irgendwo in China. Es zeigt einen der Brüder mit seinem Rad. Daneben steht ein graues Zelt, nicht mal hüfthoch.

Wir verlassen die Wohnung und gehen in ein Café. Hansen bestellt einen Pott Kaffee, Paul ein Stück Schokotorte. Erst mit dem zeitlichen Abstand, sagt Paul, merke er, was die Tour bei ihm bewirkt habe. Sie hätte seinen Freiheitsdrang verstärkt. Und das Bewusstsein dafür, „dass man auch ohne den ganzen Firlefanz, der einen umgibt, ein geiles Leben führen kann“. Hansen fügt hinzu, dass sie während der sieben Monate gelernt hätten, besser miteinander umzugehen.

Es war nicht die erste gemeinsame Radreise der beiden. Ein paar Jahre zuvor machten sich die Zwillinge von Maastricht, wo Hansen Produktdesign und Fotografie studierte, auf den Weg nach Mailand. Ursprünglich wollten sie eine Möbelmesse besuchen, doch als sie endlich ankamen, war die schon vorbei. Blut geleckt hatten sie trotzdem. Der Plan: künftig einmal im Jahr eine ähnliche Fahrt zu machen. Es folgten Touren nach Bukarest und Krakau, die bis dahin längste führte die Brüder von Berlin nach Norwegen.

Eine Distanz, die sie das nächste Mal steigern wollten. Warum nicht Schanghai, fragte Hansen. Das sei die längste Strecke, die man auf dem Landweg nach Osten zurücklegen könne und die organisatorisch machbar sei. Paul überlegte eine Weile. Und war dann von der Idee begeistert. Das einzige Problem: Ihnen fehlte das Geld. Also machten sie sich auf die Suche nach Sponsoren, warben im Internet um Spenden für ihr Projekt. Knapp 15 000 Euro kamen so zusammen. Der Großteil ging für die Ausrüstung und den Rückflug von Schanghai nach Berlin drauf.

Das Datum der Abfahrt war genau überlegt. Die Brüder mussten so aufbrechen, dass sie die größte Hitze in Kasachstan und die schlimmste Kälte in Russland vermeiden würden. Infrage kam nur die Zeit zwischen April und Mai. An ihrem 30. Geburtstag brachen sie auf. In Begleitung von Freunden ging’s erst an den Müggelsee, von dort aus machten sie sich am nächsten Morgen allein auf den Weg.

Die Route führte sie über Polen, Litauen, Lettland, Russland, Kasachstan, Kirgistan und bis nach China. Sechs Visa benötigten sie dafür, vor allem aber starke Nerven. Immer wieder gab es Zwischenfälle, drohte das Vorhaben beinahe zu scheitern. So wurden Paul und Hansen von polnischen Beamten festgenommen, weil sie sich an der Grenze zu Litauen wähnten. Tatsächlich befanden sie sich jedoch vor Kaliningrad und wunderten sich über das verschlossene Tor, an dem sie rüttelten. 500 Euro Strafe pro Person mussten sie zahlen und kamen damit noch vergleichsweise gut weg. Auf die illegale Einreise hätten eigentlich zehn Jahre Gefängnis gestanden.

Schwierig wurde es auch, als Paul in Kirgistan plötzlich heftiges Fieber bekam. 40 Grad, zwei Wochen lang. Die Medikamente, die er in einem Dorfkrankenhaus erhielt, halfen nichts. Als die Brüder bereits aufgeben und zurück nach Deutschland reisen wollten, ließ das Fieber nach. Und die beiden setzten ihre Tour fort. Fertig wurden sie auch mit der Dürre in Kasachstan, den Sandstürmen in der chinesischen Taklemakan-Wüste, den Minusgraden im Himalaja. Und dem eigenwilligen Essen unterwegs. Sie ernährten sich von Schafsköpfen und Hühnerkrallen und Heuschrecken, zwischenzeitlich gab es Kekse, die speziell fürs Militär entwickelt sind. Die enthalten zwar alle wichtigen Nährstoffe, „schmecken aber so, wie Katzenfutter riecht“, erinnert sich Paul.

Der schönste Moment? In 5250 Meter Höhe auf dem Himalaya zu stehen. „Das war atemberaubend und zwar wortwörtlich, weil die Luft da oben so dünn ist“, sagt Paul. Ringsherum kein Mensch, gar nichts. „Das war ein Moment der absoluten Freiheit, des totalen Glücks“, sagt Hansen. All die Strapazen der zurückliegenden Wochen und Monate waren in diesem Augenblick vergessen.

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