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Austauschjahr: Ein auffallend anderes Jahr

Nina Herfert arbeitete an einer Mädchenschule in Kenia – und musste gegen etliche Vorurteile ankämpfen

Dass es anstrengend sein würde und vielleicht gefährlich, das war ihr vorher klar. Dass es ein solches Problem sein könnte, weiß zu sein, damit hat Nina Herfert nicht gerechnet. Ein Jahr lang hat das Anderssein ihren Alltag bestimmt. Kinder sind weinend weggelaufen, weil Nina die erste Weiße war, die sie sahen. Menschen haben sie gefragt, ob ihre blonden Haare echt seien, immer wieder schauten Leute erstaunt, wenn sie erzählte, dass sie ihre Wäsche selbst wäscht.

Doch genau das, diese neuen, nicht immer angenehmen Erfahrungen, hat Nina Herfert in Kenia gesucht, in ihrem Jahr an der Kaaga Girls High School in Meru, einer 40 000-Einwohner-Stadt im Zentrum des Landes. Dass auch nach zwölf Monaten manches sie belustigt oder schockiert, hat wohl viel damit zu tun, dass sie wenig konkrete Vorstellungen hatte, sondern vielmehr ein diffuses Kribbeln wenn das Stichwort „Afrika“ fiel. „Ich bin ein Mensch, der nicht lange an einem Ort sein kann“, sagt die 20-Jährige. Und sie ist neugierig. Deshalb hat Nina schon 27 Länder bereist und war in der 11. Klasse ein Jahr in Connecticut. Ein Auslandsaufenthalt – das war für sie jedes Mal ein Neuanfang. Und das, was andere daran unheimlich finden, mag sie besonders: „Die Menschen kennen meine Vergangenheit nicht, ich ihre auch nicht. Und dennoch beeinflussen wir uns gegenseitig – das ist immer eine Chance.“

Das Abi war für Nina deshalb nur ein notwendiger Zwischenschritt, um schnell ins Ausland zu können. Dass es Afrika sein sollte, wusste sie lange. Viele Filme hatte sie sich angesehen, sich mit anderen über das Land unterhalten. „Ich wollte alles darüber wissen“, sagt sie. Unterstützung erhielt sie von ihren Eltern. „Ihre einzige Bedingung war, dass es ein Land ohne Bürgerkrieg ist“, sagt Nina halb im Scherz, und doch hat es einen ernsten Hintergrund.

Obwohl klar war, dass sie weg wollte um jeden Preis – bis zur Bewerbung dauerte es eine Weile. Nina schaute sich verschiedene Organisationen, die Auslandsaufenthalte anbieten, an. Schließlich stieß ihre Mutter auf einen Zeitungsartikel über „Kulturweit“, ein Programm des Auswärtigen Amtes. Nina füllte daraufhin die Bewerbungsunterlagen im Internet aus. Das Programm interessierte sie vor allem auch deshalb, weil es auf Kulturarbeit ausgerichtet ist. Teilnehmer gehen an deutsche Schulen im Ausland, arbeiten in Goethe-Instituten und beraten Menschen in Riga oder Istanbul, die in Deutschland studieren wollen.

Nina hat lange Jugendarbeit in ihrer Gemeinde gemacht, Sommerlager organisiert und Ähnliches. Arbeit in einer Schule würde am besten passen, fand sie: „Mir gefällt, dass man auf lockere Art etwas erreichen kann.“ Schon in Berlin dachte sie sich Lernspiele aus, sah sich Bücher für Deutsch als Fremdsprache an.

Ihre Aufgaben in Meru gehen weit über Unterricht hinaus. Eine Art Mädchen für alles ist sie geworden – weil sie Dinge kann, die dort ungewöhnlich sind. Zum Beispiel schnell tippen. Oder den Kopierer bedienen. Außerdem hat sie ein Brieffreundeprojekt mit ihrer alten Schule in Berlin initiiert und Geld gesammelt für Schülerinnen, die sich das Schulgeld nicht leisten können.

Obwohl es ihr Traum war, nach Afrika zu gehen, war die Zusage letztlich ein kleiner Schock. „Ich wusste einfach nicht, was auf mich zukommt.“ Heute lacht Nina, wenn sie darüber spricht. Sie konnte nicht wissen, dass sie im Gästehaus der Schule untergebracht sein würde. Und dass sie quasi adoptiert werden würde – „ich habe mindestens fünf Mütter hier“, erzählt sie. Herzlichkeit sei wichtig, und sich Zeit zu nehmen. „Die Menschen hier wollen mir unbedingt ihre Kultur, ihre Traditionen zeigen.“

Auch dass sie wegen ihrer Hautfarbe auffällt, hat sie mittlerweile akzeptiert. Und es sind nicht nur die Heiratsanträge. Von ihr werden beim Einkaufen höhere Preise verlangt als von den Einheimischen. Dabei ist Nina bemüht, das Klischee des weißen Touristen zu widerlegen: Sie wäscht ihre Wäsche selbst, fährt mit Vorliebe in den überfüllten Minibussen, versteht Kisuaheli und isst gerne kenianisches Essen.

Es hat ein bisschen gedauert, bis sich Nina an dieses Leben gewöhnt hat. Und bis sie verstanden hat, dass die beiden Welten sehr unterschiedlich erscheinen, dass aber die Sorgen die gleichen sind. Mittlerweile weiß sie vor allem die kenianische Gelassenheit zu schätzen. In Deutschland musste sie ihre Termine genau organisieren. „Hier habe ich seit neun Monaten keinen Kalender, ich plane nicht“, sagt sie und zitiert lachend ein kenianisches Sprichwort: „In Deutschland haben sie die Uhren, in Kenia haben wir Zeit.“ Schinken und Käse vermisst sie gelegentlich. Und natürlich ihre Freunde und ihre Familie in Berlin. Trotzdem wird es ihr schwer fallen zurückzukehren – in zwei Wochen endet ihr Aufenthalt.

Nina kann sich vorstellen, irgendwann länger in Afrika zu leben. Ihre kenianischen Freunde würden sich freuen, einige suchen bereits einen geeigneten Heiratspartner für sie. Nina sieht das mit einem Augenzwinkern. Vorerst will sie nach Berlin, zum Studieren. Lehramt soll es sein, da kann sie ihre Stärken nutzen, das weiß sie nach dem einen Jahr.

Lea Hampel

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