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Panorama: Besser lernen unterm Zeltdach

Unsere Leserin Ursula El-Akramy hat erlebt, wie ein Gebäude Kinder beflügelt

Als ich 1960 an der Hand meiner Eltern das GeschwisterScholl-Gymnasium in Lünen im Ruhrgebiet betrat, war ich überrascht. Man spürte, dass hier „ein besonderer Wind wehte“. Diese Schule war gar keine „richtige“ Schule, sie ähnelte eher einem Zirkus. Es gab keinen typischen Klassenraum, sondern eine „Klassenwohnung“. Sie bestand aus Garderobe, Unterrichtsraum und Gemeinschaftsraum, einer Terrasse für den Unterricht draußen und einem kleinen Garten.

Verbunden wurden die Klassenwohnungen durch einen Bereich, der nichts mit den monotonen Fluren meiner Volksschule und erst recht nichts mit der pompösen Gründerzeit-Architektur anderer Gymnasien zu tun hatte. Wir hatten Aquarien, eine Bibliothek, eine Bühne für’s Theaterspielen und eine Milchbar. Die Handläufe begannen knapp über dem Boden, die Geländer schienen ins Zucken zu geraten, wenn man sie berührte. Die Aula, in der wir Erstklässler empfangen wurden, hatte die Form eines Zeltes.

„Wie ist die neue Schule“, fragte meine Oma. „Lustig“, antwortete ich und konnte es kaum erwarten, am nächsten Tag wieder hinzugehen. Später erfuhr ich, dass der Architekt unserer Schule ein berühmter Mann war: Hans Scharoun. Er wollte der Schule „Gemütlichkeit und Intimität“ geben. Die Schülerinnen sollten sich mit ihrem Raum identifizieren und sich heimisch fühlen.

Das überzeugte längst nicht alle. In Lünen gab es viele aufgeregte Bürger, die befürchteten, dass uns diese „Rock-and- Roll-Architektur“ vom Lernen abhalten würde. Das Gegenteil war der Fall: Wir Schülerinnen waren so stolz auf unsere Schule, dass wir unseren Gruppenraum hegten und unser Gärtchen pflegten. Immer wieder kamen Professoren mit ihren Studenten, auch aus dem Ausland, und besichtigten und fotografierten unsere Schule.

Natürlich musste der Zwang zum Lernen die Euphorie über die „Zeltschule“ auch wieder verdrängen. Aber insgesamt vermittelte mir die Architektur etwas Entscheidendes: Zusammengehörigkeit, die Intimität und Geborgenheit einer „sozialen Familie“, die sich positiv auf das Lernen auswirkt.

Das war der Gewinn aus einer modernen Architektur, die mitten in der Provinz, in dem kleinen Lünen, einen Bauherrn gefunden hatte.

Ursula El-Akramy ist 54 Jahre alt und lebt als Schriftstellerin in Bremen.

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