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Panorama: Carmen, gerappt

80 Berliner Schüler führen an der Staatsoper Bizets Oper auf – und haben ihre eigenen Ideen entwickelt

Carmen trägt Rosa. Nicht, dass das im Libretto der Oper so festgeschrieben wäre. Aber irgendwie muss man die Rollen ja kennzeichnen, wenn die Handlung nicht mehr vor einer Zigarettenfabrik, sondern zum Beispiel in der Berliner U-Bahn spielt. Carmens Freundinnen pöbeln Micaela an, die verschüchtert auf einer Bank sitzt. Dann kommen statt der Soldaten Fahrkahrtenkontrolleure, um nach dem Rechten zu sehen. Die meisten Texte werden gerappt, zwischendurch kommt ein Bettler und bittet mit einem Soul-Lied um Almosen.

Das alles spielt sich an diesem Sonntag auf der Probebühne der Staatsoper Unter den Linden ab. 80 Schüler arbeiten an ihren Szenen, die sie ausgehend von der Oper von Georges Bizet entwickelt haben. Jede der vier Gruppen hat die Hauptcharaktere des Stücks besetzt, also laufen neben Carmen mit Freundinnen im rosa T-Shirt vier Micaelas in Blau, Carmens Widersacherin Manuelita nebst Verstärkung in Orange, Schmuggler in Beige und Soldaten in Grün auf der Bühne durcheinander.

Am 6. März hat das Stück „Micaela/Carmen“ vom Theaterprojekt „Tusch“ hier Premiere. Bis dahin müssen die Auf- und Abgänge der Schülergruppen fehlerlos laufen, die Texte deutlich durch den Raum hallen und die Tanzbewegungen klar gezeichnet sein. Seit November 2004 arbeiten die Schüler des Lessing-Gymnasiums in Wedding, der Friedensburg-Gesamtschule in Charlottenburg, der Gesamtschule Kurt-Tucholsky in Pankow und der Gesamtschule Carl-von-Ossietzky in Kreuzberg an dem Partnerschaftsprogramm mit Komischer Oper und Staatsoper mit.

„Micaela/Carmen“ ist eine der vier großen Produktionen, die Tusch dieses Jahr geplant hat. „Die Schüler haben die Aufgabe, eine Szene in Anlehnung an die Oper zu spielen und etwas Musikalisches und etwas Tänzerisches zu gestalten“, sagt Rainer O. Brinkmann, Musiktheaterpädagoge an der Staatsoper. Die Schüler haben in einem Workshop Informationen zur Handlung bekommen und durften bei einer Probe zum Stück dabei sein. „Mit dem Namen Daniel Barenboim können die meisten zwar nichts anfangen, aber sie haben erlebt, mit welcher Disziplin geprobt wird“, sagt Ilka Kuhlke- Minke, Musiklehrerin am Lessing-Gymnasium.

In ihrer Gruppe sind fast alle Schüler Migrantenkinder. Sie haben sich der Oper mit selbst geschriebenen Raptexten genähert. „Das war ihre Sicht der Oper, und die haben sie verteidigt“, sagt Ursula Jenni, die bei „Carmen/Micaela“ die Produktionsleitung übernommen hat. Um sich in die Materie von „Carmen“ einzuarbeiten, haben die Schüler Essays zu verschiedenen Charakteren der Oper geschrieben. Daraus haben sie mit den Künstlern der Komischen Oper und der Staatsoper einen dramaturgischen Ablauf mit eigenen Szenen entwickelt. Als der feststand, haben Choreografen, Tänzer und Chorsänger die Proben unterstützt.

So sind mehrere voneinander unabhängige Szenen entstanden, die teilweise an die Oper erinnern. Die Handlung spielt in der U-Bahn oder in einer Diskothek, und Escamillo kämpft nicht gegen einen Stier, sondern in einem Boxring. Bis Anfang Februar haben die Schüler zwei Stunden in der Woche an dem Projekt gearbeitet, jetzt sind es vier oder noch mehr. Aber das hat Marco Denaro von der Carl-von-Ossietzky-Oberschule gerne in Kauf genommen, das Theaterspielen macht ihm Spaß. Der Elftklässler muss als Don José auf der Bühne den Schiedsrichter bestechen, damit Escamillo den Boxkampf gewinnt. „Deswegen verlässt Micaela mich.“ Carmen Fiedler von der Friedensburg-Oberschule spielt die Micaela. „Ich bin sehr verliebt in Don José, weiß aber nicht, ob er mich liebt. Deswegen träume ich den ganzen Tag vor mich hin“, erklärt die 17-jährige Gymnasiastin ihre Rolle.

Während Marco bei seinem ersten Probenbesuch vor allem die Drehbühne und die imposante Technik faszinierte, war Carmen nicht klar, wie sie es mit den gewaltigen Stimmen der Opernsänger aufnehmen sollte. „Am Anfang wurden wir gehänselt, weil wir länger Unterricht hatten“, sagt Marco. „Jetzt, wo die anderen Schüler wissen, dass wir in der Staatsoper auftreten, ist das in Bewunderung umgeschlagen.“

Die erste Aufführung rückt näher und damit auch das Lampenfieber. „Man muss improvisieren, in der Rolle bleiben, auch wenn gerade mal die falsche Musik eingespielt wird“, sagt Marco. Carmen ist gerade bewusst geworden, dass sie als Erste allein auf der Bühne stehen wird. „Das macht mich schon nervös.“ Die beiden wie die meisten ihrer Mitschüler waren zuvor noch nie in einer Oper. Jetzt wollen sie unbedingt bald eine Aufführung besuchen. „Um zu sehen, wie die Profis das machen“, sagt Marco.

Tusch-Festwochen, 6. bis 11. März an verschiedenen Spielorten. „Micaela/Carmen“ ist zu sehen am 6. März in der Staatsoper, Unter den Linden 7, Probebühne (Tel. 2035 4555) und am 7. März in der Komischen Oper, Behrenstr. 55-57, Probebühne (Tel. 4799 7400) , jeweils 19 Uhr. Karten kosten 6 Euro. Bitte telefonisch anmelden.

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