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Panorama: Das Vorzeigemädchen

Geboren wurde sie als Türkin. Jetzt wirbt Funda als Titelgesicht einer Kampagne für den deutschen Pass.

Funda mag Börek und Kartoffelknödel. Sie liest „Hürriyet“ und „Spiegel“. Sie hört türkische Folklore von Sezen Aksu und Rap-Songs von Eminem. Deutschtürkin, Türkin mit deutschem Pass, Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund – es gibt viele mögliche Namen. Fundas Eltern kommen aus der Türkei, sie selbst ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Das Mädchen ist das Titelgesicht der Einbürgerungskampagne „Passt mir“, mit der der Berliner Senat auf Postern und Broschüren für den deutschen Pass wirbt. Funda Gümüsdag ist 23 Jahre alt, hat Abitur, studiert Mathe und Geschichte auf Lehramt, ist politisch aktiv. Ein Musterbeispiel an Integration. Funda ist die Vorzeigefrau, die andere Migranten dazu bringen soll, ebenfalls deutsche Staatsbürger zu werden. Was ist bei ihr also richtig gelaufen, was bei anderen schief ging? Und: Weshalb ist ihr das mit dem Pass wichtig?

„Ich will ein Vorbild sein.“ Das kommt bei Funda wie aus der Pistole geschossen, wenn man sie nach der Kampagne fragt. Sie trägt Jeans und eine dunkelgrüne Kapuzenjacke mit Glitzeraufdruck. „Ich will mitentscheiden, wer der nächste Bundeskanzler wird“, sagt sie bestimmt und fährt sich durch die lockigen Haare. Sie sitzt locker zurückgelehnt auf einem Ecksofa. Das steht im dritten Stock einer Villa der TU Berlin, die mit Postern und Aufklebern tapeziert ist. Hier ist das Büro des „Berlin Türk Bilim ve Teknoloji Merkezi“ untergebracht, eines sozialdemokratischen türkischen Studentenvereins, in dem Funda Mitglied ist. Sie leitet das Projekt „Zweite Generation“. Es organisiert Nachhilfe von Lehramtsstudenten für Gymnasiasten nichtdeutscher Herkunft.

Vor ihr auf dem niedrigen Holztisch liegt die kleine, dunkelrote Broschüre: Sie sieht aus wie ein deutscher Reisepass, vorne drauf ist ein Foto, von dem Funda lächelt. Sie und 14 andere junge Berliner ausländischer Herkunft erklären in dem Heftchen, wieso die deutsche Staatsbürgerschaft für sie wichtig ist. Sie wolle zeigen, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland etwas erreichen können. Sonst gebe es ja immer nur negative Schlagzeilen, wie über die Gewalt an der Rütli-Schule. Oder die Ehrenmorde? „Ganz im Ernst, ich kann es nicht mehr hören!“ Fundas Augen funkeln. Sie wird richtig sauer, wenn es um dieses Thema geht. Sie fühlt sich oft in der Situation, dass sie von Fremden für Dinge verantwortlich gemacht wird, mit denen sie eigentlich nichts zu tun hat. Ob Kopftuch, Ehrenmorde oder Zwangsheiraten – Funda kommt sich manchmal vor wie eine Art „Stellvertreter-Türkin“, die alles erklären, oft auch rechtfertigen soll. „Und dann kommen Sachen wie: Für eine Türkin sprichst du aber gut Deutsch. Dabei bin ich hier geboren“, sagt sie.

Der Mann, der für die Broschüre verantwortlich ist, heißt Günter Piening. Der Berliner Integrationsbeauftragte, ein Mittfünfziger mit hellblonden Haaren, sitzt am Besprechungstisch in seinem Büro in der Potsdamer Straße und erklärt die Ziele der Kampagne: „Wir wollen vor allem Jugendliche dazu ermutigen, den deutschen Pass zu beantragen.“ Berlin wolle ein Signal setzen: „Wir wollen euch, und ihr sollt diese Stadt mitgestalten.“ Viele Migranten wüssten nicht, welche Regeln es gibt, um einen Pass zu beantragen. Und würden deshalb keinen Antrag stellen. Fundas Eltern wussten das schon. Denn was ihre Bildung angeht, ist Fundas Familie privilegiert. Sie selbst ist zwar in Wedding zur Schule gegangen – in dem Stadtteil also, der außer Neukölln oft genannt wird, wenn es um Gewalt an Schulen, hilflose Lehrer und einen hohen Ausländeranteil geht. Aber: In ihrer Klasse gab es viel weniger Türkisch sprechende Kinder als in der Parallelklasse – also musste sie Deutsch sprechen. Die meisten Jugendlichen türkischer Abstammung schaffen nur die Haupt- oder Realschule, viele bleiben ganz ohne Abschluss. Bei Funda war das anders: „Es war bei mir immer klar, dass ich Abitur machen und studieren würde“, erzählt Funda und nimmt einen Schluck Wasser aus dem braunen Plastikbecher. „Schließlich hat schon mein Vater Wirtschaftslehre studiert.“ Er ist Programmierer, die Mutter Friseurin. Beide haben während ihrer Ausbildung in Berlin Deutsch gelernt. Sie sind in den 60er Jahren aus der Türkei eingewandert. Seit 1992 haben alle Familienmitglieder die deutsche Staatsbürgerschaft. Funda hat einen Bruder, der heute 17 ist. Mutter und Vater haben sich stets darum bemüht, mit ihren Kindern so viel wie möglich Deutsch zu sprechen. Fundas Eltern konnten den Kindern bei den Hausaufgaben helfen. Sie konnten zum Elterntag gehen und mit Lehrern sprechen. Sie konnten das deutsche Bildungssystem verstehen und erkennen, welche Möglichkeiten es gibt, auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Und sie haben wohl das erfolgreich praktiziert, was man Anpassung, nicht aber Assimilation nennt: Sie haben darauf geachtet, dass ihre Kinder ein Teil der Gesellschaft werden, in der sie leben, ihnen gleichzeitig aber auch die türkische Kultur nahe gebracht. „Unsere Eltern wollten immer, dass wir hier dazugehören, aber auch unsere Traditionen kennen“, sagt Funda.Sie liebt Weihnachten. Und das türkische Zuckerfest.

Auch das Glück spielt in Fundas Geschichte eine Rolle. Da war etwa Tante Renk. Eine liebe, alte Omi mit weißen Locken, die in der Uferstraße im selben Haus gewohnt hat wie Funda und ihre Familie. Tante Renk hatte keine eigenen Enkel, sie war ganz vernarrt in ihre kleine Nachbarin. Die alte Dame hat Funda zu Ostern kleine Nester vor die Tür gestellt, sie hatte immer Dominosteine im Schrank, sie hat mit Funda Rommé gespielt – und sie hat natürlich Deutsch mit ihr gesprochen. Immer wenn Funda als Kind langweilig war, hat sie Tante Renk besucht. „Dabei habe ich viel gelernt“, meint sie heute.

Im Heimatland ihrer Eltern war Funda nie länger als sechs Wochen. Es gefällt ihr, aber sie ist fremd dort. „Manche Lebensmittel mag ich nicht“, erzählt Funda und lacht.Sie sei nun mal die H-Milch aus dem Berliner Supermarkt gewöhnt. „Wenn wir bei meinem Opa sind, kommen Eier und Milch ganz frisch aus dem Stall, das schmeckt anders.“ Man höre ihrem Türkisch an, dass sie in Deutschland lebt. In der Türkei wird sie zur Fremden, wenn sie den Mund aufmacht. Hier ist sie wegen ihrer dunklen Haut und den schwarzen Haaren für viele „die Ausländerin“.

Was ist so richtig türkisch an Fundas Leben? Sie steht abrupt auf, füllt ihren Becher am Wasserspender neben dem Schreibtisch. Funda überlegt lange, stöhnt, die Frage nervt sie – wieso immer nach den Unterschieden graben? „Dass ich mit 23 noch bei meinen Eltern wohne“, sagt sie dann, „der Familienzusammenhalt ist bei uns viel größer.“ Sie fühle sich wohl bei Vater und Mutter, sie müsse nicht dringend dort raus. Auch dass ihr Freund nicht bei ihr übernachten dürfe, sei „völlig in Ordnung, so sind eben unsere Traditionen, vor der Hochzeit gehört sich das nicht. Das läuft mir doch alles nicht weg.“ Sieht sie das wirklich so? Funda sagt Ja. Sie spricht viel davon, wie wichtig es ihr sei, ihren Eltern Respekt entgegenzubringen. Auch deshalb will sie wohl nicht um mehr Freiheit kämpfen. „Und ich muss es auch nicht“, sagt Funda, „ich fühle mich nicht eingeengt.“ Letztes Jahr hat sie sich verlobt. Wenn Funda mit dem Studium fertig ist, will sie heiraten.

Funda ist keine streng gläubige Muslimin. Sie trägt kein Kopftuch, sie betet nicht fünfmal am Tag, sie fastet auch nur sehr selten. „Aber an Gott glaube ich trotzdem“, sagt sie. Ihr Alltag ist deutsch und türkisch zugleich: Wenn sie erschöpft von der Uni nach Hause kommt, fällt sie müde aufs Sofa und guckt „Wer wird Millionär?“ An anderen Abenden trifft sie sich mit ihren Freundinnen. Dann macht sie mitten im Zimmer türkischen Bauchtanz und singt dazu. Die anderen feuern sie an. „Der deutsche Pass ist nur ein Stück Papier, das mir vieles erleichtert“, sagt Funda, „im Herzen kann ich immer noch sein, was ich will.“ Und was ist das? „Na Berlinerin“, sagt Funda und grinst.

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