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Panorama: Die Enkel Draculas

Bald gehört Rumänien zur EU. Transsilvanien also – und sonst? Vom Jungsein in einem unbekannten Land

„Scheiß Prolls“, schimpft Christi, als der glattpolierte BMW durch die Pfütze kurvt und eine Ladung Schlamm auf Christi und seinen Pferdewagen spritzt. „Eigentlich sieht man die hier nicht so oft.“ Wer sich in Rumänien Alufelgen leistet, meidet die kühlschrankgroßen Schlaglöcher auf den Straßen des Hinterlandes, wo Christi zu Hause ist.

Am ersten Januar soll Rumänien EU-Mitglied werden. In den boomenden Städten feiern aufwändig geschminkte Mädchen und Jungs in weiten Helly-Hansen-Jacken die neuen Reise- und Jobmöglichkeiten. Christis Dorf Apold ist weit weg davon. Er sagt: „Lass mich in Ruhe mit der EU, ich habe andere Probleme.“ Es ist viel diskutiert worden, ob Rumänien reif ist für den Beitritt. Eine Reise durch verfallende Dörfer, Plattenbaugegenden und aufgemotzte Fußgängerzonen.

Christi treibt das Pony an, es wird langsam dunkel. Die Leute erzählen sich hier, dass es in den dichten Wäldern Transsilvaniens Wölfe und Bären gibt. Auf den Straßen überholt ihn eine Kuhherde. Wie automatisiert traben die Tiere in den richtigen Hinterhof, jeder Tag ist wie der andere. Zuhause erwarten Christi acht jüngere Geschwister, er selbst ist 22 Jahre alt. Christi ruft „Haidez!“, die Kleinen müssen jetzt mit ran. Eilig wird das frisch geschlagene Holz im Schuppen verstaut, Christi will noch Computer spielen. Der PC sieht zwischen gehäkelten Decken und vergilbten Heiligenbildchen deplaziert aus, ein einsamer Beweis, dass auch hier das 21.Jahrhundert begonnen hat. Es gibt weder Heizung, noch fließend Wasser oder Gas. Und keine Straßenlaternen, zählt Christi auf, keine ordentliche Fußbälle, kein Geld für den Bus in die nächste Stadt. Hat man Geld oder Beziehungen, sind in der Stadt die Chancen auf Jobs und Ausbildungsmöglichkeiten größer. Christi hat beides nicht. Er lebt von dem, was sie in Garten und Stall haben und verdient sich höchstens mal durch Aushilfsjobs ein paar Lei für ein Bier mit Freunden. „Asta este,“ sagt Christi. Das heißt „So ist es halt.“ Diesen Satz hört man hier oft.

15 Kilometer weiter, im Zentrum der Kleinstadt Sighisoara, glänzen viele Fassaden frisch frisiert, Touristen schlendern durch die mittelalterlichen Gassen und setzen ein rumänisches Monatsgehalt in Dracula-Pizzen, Dracula-Briefbeschwerer, Dracula-Unterhosen um. Willkommen im vermeintlichen Geburtsort des Grafen. Sechs Jungs hängen dort an einem Fast-Food-Laden ab. Sie haben die alten Gruselgeschichten satt. „Schreib lieber über die Blutsauger von heute“, sagen sie und lassen sich über ausländische Investoren und einheimische Neureiche aus. „Wir prügeln uns um Jobs, bei denen du 120 Euro pro Monat verdienst und zahlen für die selben Schuhe mehr als ihr in Deutschland.“

Die sechs haben die Hände in Baseballjacken und ausgewaschenen Jeans vergraben, im Hintergrund blitzt bläulich-rot Neonreklame im Wackelkontakt. Sie kommen aus dem Randgebiet der Stadt, wo sich ein grauer Block an den nächsten reiht. Einer von ihnen hat einen Job bei einer deutschen Elektro-Firma, die die Produktion nach Osten verlagert hat, um Lohnkosten zu sparen. Ein anderer will zur Armee, wo Arbeit und Unterkunft gesichert sind. Der Rest ist arbeitslos oder geht noch zur Schule.

Klar, sagen sie, es habe sich einiges getan seit 1990, als in den gut beheizten Wohnzimmern dieser Welt schockierende Fernsehbilder das Schicksal eines Volkes enthüllten, dessen Führer wahnwitzige Paläste baute, während die Menschen hungerten. Ceausescu hatte das Land wirtschaftlich und sozial völlig zerstört. Unter seiner Herrschaft wichen ganze Stadtkerne dunkelgrauen Plattenbauten und vegetierten Waisenkinder festgekettet an Gitterbetten in staatlichen Heimen, die KZs glichen.

Aber die Jugendlichen haben keine Erinnerung mehr an diese Zeit. Sie kennen nur die Sprüche ihrer Eltern: „Früher gab es nichts zu kaufen. Heute kannst du alles haben, aber jetzt fehlt das Geld.“ Die neue Generation wächst mit Pro7 und MTV auf, den Bildern vom goldenen Westen. Und der Schatten, den Cola- und Ford-Reklame hier wirft, lässt das Leben eben noch eine Spur grauer erscheinen, als es in den Blocks sowieso ist. Einer der sechs Jungen sagt: „Wenn ich einen Wunsch frei hätte? Dann wäre ich morgen hier weg.“

Weggehen ist das große Thema für junge Rumänen. Fast vier Millionen Menschen, ein Siebtel der Bevölkerung, arbeiten mittlerweile im Ausland, die meisten in Italien oder Spanien, wo die Sprache vertraut klingt. Fast keine rumänische Familie ist mehr komplett, hier fehlt der Bruder, da die Mutter. „Es geht nicht anders“, sagen die meisten. Auf einem Spargelfeld im Westen lässt sich in einem Monat eben mehr verdienen als hier in einem ganzen Jahr. Und das Geld wird gebraucht. Ohne Rücklagen kann ein gebrochenes Bein in Rumänien noch das Aus bedeuten: Das staatliche Netz der Sozialversorgung hat große Löcher. Also erwägen gut ausgebildete, engagierte Sozialarbeiterinnen, illegal römische Toiletten zu putzen, anstatt die Kinder zu versorgen, die noch heute zu Tausenden auf den Krankenstationen des Landes zurückgelassen werden und dort verkümmern.

Roxana, 22 Jahre alt, gehört zu denen, die den EU-Beitritt feiern. Sie wohnt in Cluj Napoca, einer Studentenstadt mit Geschäften wie Plus und Praktiker, mit Discos – und Perspektiven. „Mit Hilfe der EU kann Rumänien zurechtkommen und höhere Standards in allen Lebensbereichen erreichen“, sagt sie, „es wird leichter, eine Arbeit oder einen Studienplatz zu finden und zu reisen.“ Im Gegensatz zu Christi, dem kein Lehrer erklärt hat, was mit dem Beitritt auf ihn zukommt, oder was die EU eigentlich ist, spielt die Union in Roxanas Leben seit langem eine wichtige Rolle. Sogar bei der Studienwahl. Politik und Wirtschaft, sagt sie, sind Fächer mit Zukunft.

Sie kommt selbst aus einem Dorf wie Christis Apold. Roxana hat sich hoch gearbeitet. Sie teilt sich ein Zimmer mit fünf Studentinnen. Sie erzählt von Nächten am Schreibtisch, dem Nebenjob bei einer Firma für Vermögensberatung. Den Sommer hat sie als Erasmus-Studentin in Bremen verbracht. „Wenn du hart arbeitest“, sagt Roxana im beige-blauen Kostüm, dann gebe es Zukunft, Hoffnung. Aber „zu viele Rumänen resignieren. Sie haben so viele Rückschläge erlebt, dass sie den Glauben an ihre eigene Kraft, etwas zu ändern, aufgegeben haben.“

Dann zückt sie den Buntstift und wirbelt ein paar gelborangene Spritzer auf ein Blatt. In Roxanas Rumänien gibt es Stipendien für junge Leute aus der Provinz, die sich kein Studium leisten können. Es gibt Menschen, die gegen Korruption kämpfen. Es gibt laue Sommernächte, in denen man gemütlich mit Nachbarn schwatzt.

Es gibt gute Gründe zu bleiben.

In Christis Dorf am Ende Europas ist letztes Jahr etwas Seltsames passiert. Drei junge Deutsche haben sich zwischen den Wäldern niedergelassen. Seither tauchen immer mehr Rucksacktouristen auf, schlendern durch die Feldwege, kaufen in Tante-Emma-Läden Sonnenblumenkerne, die man traditionell abends beim Feierabendschwatz knackt. Viele Apolder fragen sich, was diese jungen Berliner, Berner, Pariser hier eigentlich wollen. Aber manche beginnen zu verstehen. Dass ihre Heimat durchaus etwas zu bieten hat, was im Westen rar ist. Geselligkeit, Gelassenheit, Zeit. Und dass sie etwas gemeinsam haben, die Schlaghosentouristen und die jungen Rumänen. Die Suche nach einem anderen, bunteren Leben.

Dorothea Ahlemeyer[Bukarest]

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