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Panorama: Die Kurvenstars

Wie zwei Berlinerinnen Halbnackt-Models wurden – und was man von Julia und Madlen lernen kann

Kosmetikwerbung anschauen ging bisher so: Ein 1,80 Meter großes und 50 Kilo leichtes Model haucht in die Kamera, dass eine Bodylotion ihr Leben verändert hat. Zum Beweis schwenkt die Kamera ein wenig tiefer und zeigt den perfekten Körper der Cremebenutzerin. Als gäbe es da auch nur irgendetwas zu optimieren. Ein Schwenk, der sagt: Schau hin, so könntest du auch aussehen. Also kauf dir die verdammte Lotion. Aber sei gewiss: Für so einen Körper musst du lange cremen.

Eine kleine Ohrfeige, jedes Mal.

Nun weiß natürlich jeder, dass es höchst dämlich ist, sich mit Werbemodels zu vergleichen. Retusche hier, schönes, weiches Licht dort und ein paar gut bezahlte Make-up-Profis noch dazu. Nichts, was man sich zum Maßstab nehmen sollte, schon klar. Aber wer möchte nicht ein bisschen wie Scarlett Johansson sein oder wenigstens wie die Mädchen aus der Nivea-Werbung, so glatt und frei von dem, was normale Frauen Orangenhaut nennen?

Wer nicht blind durch die Welt rennt, kommt um einige der durchschnittlich 1200 Frauen-Werbekampagnen, die pro Woche auf uns einprasseln, garantiert nicht herum – und vergleicht sich mit den Models. Spätestens beim Blick in den nächsten Spiegel. Meine Lippen? Viel schmaler als die eben im Fernsehen. Mein Bauch? Trainiert ist anders. Und die Oberschenkel? Herrje, lieber gar nicht erst hingucken. Okay, da wäre auch noch der Po. Die Haare, doch, die sind schön. Aber alles in allem ergibt das höchstens Durchschnitt. Und wer möchte schon Durchschnitt sein, wenn an jeder Ecke demonstriert wird, wie eine Topfrau auszusehen hat?

Julia aus Prenzlauer Berg, Praktikantin in einer Casting-Agentur, lacht über solche Vergleiche: „Man darf sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Ich mag meine Knie und Füße nicht, aber mir ist klar, dass mein Lebensglück nicht davon abhängt, ob ich sexy Knie habe.“ Die 20-Jährige isst gerne „Omigekochtes“ wie Kartoffelbrei mit Spiegelei, trägt ein Piercing in der Unterlippe und sieht auch sonst nicht wie ein Model aus. Trotzdem ist sie genau das: Für die neue Kampagne der Kosmetikmarke Dove wurde sie als eine von drei Deutschen aus rund 1000 europäischen Frauen ausgesucht und prangt nun an mehr als 8000 meterhohen Plakatwänden im ganzen Land. Zusammen mit zehn anderen Mädchen steht sie über dem Slogan „Immer noch keine Models, aber straffe Kurven“. In Unterwäsche, die wenig verhüllt, dafür umso mehr eines zeigt: Das hier sind normale Frauen. Sie sind rund und haben keine meterlangen Auermann-Beine. Sie haben Dehnungsstreifen und Leberflecken.

Wie machen die das bloß? So selbstbewusst zu sein, sich in Unterwäsche ablichten zu lassen? Sich hinzustellen und zu sagen: Ich bin nicht makellos, na und?

„Ich weiß, wozu ich in der Lage bin. Die Stärke, die ich in mir habe, macht mich selbstbewusst. Ich habe ein halbes Jahr alleine in Costa Rica ausgehalten, ich habe es geschafft, mit 16 von zu Hause auszuziehen. Deswegen weiß ich: Ich bin wer. Wenn mich jemand dafür dissen muss, dass ich einen breiten Hintern habe, bitte schön. Mir egal. Denn darauf kommt es wirklich nicht an“, sagt Julia und ihre Augen funkeln dabei. Sie ist hellwach und konzentriert.

Für einen Moment glaubt man, dass sie niemals 20 Jahre alt sein kann, so selbstverständlich und versöhnlich spricht sie über sich und ihren Körper. So spielend leicht geht ihr ein Satz wie „Frau sein heißt für mich, meine Kurven zu feiern“ über die Lippen.

Auch Madlen, gerade auf der Suche nach einem Praktikum in einer PR-Agentur, wurde für die neue Dove-Kampagne engagiert. „Ich find mich toll, so wie ich bin. Also hab ich mitgemacht.“ Toll, das heißt für die 24-Jährige aus Friedrichshain eben so, wie sie ist. Mit Maßen, die nicht 90-60-90 lauten. Mit ein bisschen Bauch („Das liegt bei uns in der Familie“) und all den anderen kleinen Macken, für die sich Frauen üblicherweise gerne geißeln: „Es ist doch so: Der Charakter macht einen Menschen aus, gerade seine kleinen Fehler. Wenn ich zum Beispiel schnell spreche, dann lispele ich. Man merkt diesen Sprachfehler ziemlich doll. Aber ich würde nie zu einer Sprachschule gehen, um den wegzukriegen. Der ist da und macht mich aus.“ Madlen lacht, wie sie überhaupt andauernd lacht. Nicht so ein niedliches Mädchenkichern, sondern eines, das den Raum ausfüllt.

„Manchmal gucke ich in den Spiegel und denke, oh, siehst du heute blass aus. Aber das geht vorbei. Morgen siehst du anders aus. Manchmal kommt nun mal ein dicker Pickel. Das ist wie bei einer Grippe. Die kommt. Und dann geht sie wieder.“ Bei einem selbst hält so viel Selbstbewusstsein normalerweise gerade mal bis zur nächsten H&M-Umkleidekabine. Kein Gedanke an Größe 36? Nicht mal still und heimlich? „Nee, ich wundere mich dann bloß immer, warum es das Teil nicht auch in meiner Größe gibt. Dann frage ich: Und, wo habt ihr die Teile für meine Oberweite? Oder habt ihr nur welche für 14-Jährige?“ – „Wir denken, dass Frauen nicht mehr diese Supermodels sehen möchten, sondern Frauen, die natürlich und normal sind“, erklärt PR-Beraterin Yasmin Gouhari die Hintergründe der Kampagne, „deshalb möchten wir Frauen zeigen, mit denen man sich identifizieren kann.“

Bereits 1998 machte der Body Shop mit einer ähnlichen Kampagne auf sich aufmerksam. Mit der lebensgroßen, gut gepolsterten Anti-Barbie-Puppe Ruby und dem Slogan „Es gibt acht Supermodels auf der Welt. Und drei Milliarden Frauen, die nicht so aussehen“ warb der Konzern für ein neues Körpergefühl. Auch Dove setzt auf das Selbstbewusstsein aller Nichtmodels, doch ganz so idealistisch und missionarisch, wie der Kosmetikkonzern seine Botschaft verkündet, ist die neue Kampagne natürlich nicht. Gewiss zeigt sie Frauen jenseits der üblichen Schönheitsideale. Aber gewiss ist dieser Hingucker sorgfältig kalkuliert und zielt wie jede Werbung vor allem auf eins: die kostbare Aufmerksamkeit und Kaufbereitschaft vieler potenzieller Kundinnen. Wie viele das tatsächlich sind, hat Dove in einer eigens beauftragten Studie herausgefunden, bei der 3200 Frauen aus zehn Ländern zu ihrem Selbstbild befragt wurden. Die traurige Erkenntnis der Untersuchung: Nur zwei Prozent der Teilnehmerinnen bezeichnen sich selbst als schön. 40 Prozent der Frauen finden sich nicht schön, ein Drittel der Frauen aus Argentinien, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, den Niederlanden, Portugal und den Vereinigten Staaten ist unzufrieden mit dem eigenen Gewicht. Was liegt da näher, als eine Kampagne zu starten, die all diesen Frauen aus dem Herzen spricht und sie in die wohlgecremten Arme schließt?

Betrachtet man Mädchen wie Julia oder Madlen, scheint die Antwort auf die Frage, was schön ist, auf einmal ganz einfach. So einfach, dass man sich wundert, warum man um Himmels willen so oft mit sich hadert. Schönheit hat in Wirklichkeit herzlich wenig mit Perfektion zu tun, mit Maßen oder Größen. Sondern ganz einfach mit einer selbstbewussten Ausstrahlung, die sich unabhängig macht von der ewig gleichen Selbstvorwurfsleier und anfängt, Schwächen zu akzeptieren; diese Schwächen vielleicht am Ende sogar ein bisschen charmant findet.

Das Beispiel Julia und Madlen zeigt, dass man kleine Makel auch als das sehen kann, was sie eigentlich sind: als die Markenzeichen, die einen unverwechselbar machen.

Okka Rohd

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