zum Hauptinhalt
202153_0_f7ada2c7

© Uwe Steinert

Panorama: Die Kutten-Connection

Shi Yan Yao ist 19, aus China und Mönch. Und er wohnt mitten in Berlin. Tagtäglich meditiert er und trainiert Kung Fu. Wie lebt es sich als Shaolin?

Irgendwann im Herbst hat er sich dicke Socken angezogen und ist in seinem grauen Gewand zur Partylocation „Postbahnhof“ gefahren, nahe der Spree. Dort sah er die East Side Gallery, einen traurig-bröckelnden Rest der Mauer, und war erst einmal ziemlich enttäuscht. „Eure Mauer ist klein“, sagt Shi Yan Yao, „kleiner als unsere“. Die Mauer in Berlin kam auf gut 3,50 Meter, jene, die Shi Yan Yao meint, ist bis zu neun Meter hoch – die in China.

Seine Heimat und seine Kultur befinden sich tausende Kilometer entfernt, damit teilt Shi Yan Yao das Schicksal vieler junger Leute, die nach Berlin gezogen sind. Die Stadt ist angesagt, steht in jedem Magazin. Musik, Graffiti, Kultur, Schnelligkeit, auch Sex. Man kann den Sommer wunderbar im Görlitzer Park verbringen, mitten in der Stadt. Man kann in Clubs über den Dächern Berlins rumhängen, tanzen, feiern, billige Drinks runterkippen.

Shi Yan Yao aber, der 19-Jährige, der lebt in unser Stadt, aber in einer anderen Welt. Sie befindet sich in der Bundesallee 225, gleich am U-Bahnhof Spichernstraße. Shi Yan Yao lebt im Shaolin-Tempel.

„Meine Mutter schickte mich hierher, nach Berlin, damit ich die Kampfkunst weiter verbreite“, sagt Shi Yan Yao, als wir ihn an einem Vormittag im Tempel treffen. Shi Yan Yao trägt ein graues Mönchsgewand, wie immer, er hat einen kahl geschorenen Kopf und keinen Bart. Wie es eben typisch ist im Buddhismus. 1,75 Meter groß ist er und ziemlich zierlich. Die Kraft, die er hat, sieht man ihm nicht an. Und man hört es auch nicht. Shi Yan Yao weicht Blicken aus, spricht leise.

In Berlin leben 5714 Chinesen und fünf davon an der Bundesallee 225. Das Wörtchen „Tempel“ ist schwer übertrieben, 70er-Jahre-Haus an breiter Straße trifft’s eher. In einem unscheinbaren Neubau hat sich der Tempel in die untersten beiden Etagen integriert. Wir klingeln, die Tür geht auf, im Erdgeschoss ist eine kleine Empfangshalle und dahinter schließt sich die sogenannte Damo- Halle an. Dort werden chinesische Kampfsportarten gelehrt, Tag für Tag, rund um die Uhr. Über eine Holztreppe gelangt man in die große, von Licht durchflutete Buddha-Halle. An der breiteren Front steht eine übergroße Buddha-Figur. Waffen überall.

Shi Yan Yao ist das Leben der jungen Leute da draußen ziemlich egal. Bier trinkt er nicht, Sex hat er nicht, er ist Mönch. Denn außer den Mönchen, die mit ihm im Tempel wohnen, hat Shi Yan Yao in Berlin noch keine Freunde gefunden. „Einer hat mich einmal eingeladen“, sagt er. Und wohin? „In die Philharmonie.“ Neben dem Unterricht trainiert er Kung Fu. Zeit verbringt Shi Yan Yao auch mit dem Studium des Buddhismus, dem Meditieren und Deutschlernen. Sein einzig freier Tag ist der Sonntag. Da geht er mit den anderen Mönchen gerne spazieren, spielt Tischtennis, hört chinesische Musik oder sieht sich chinesische Filme an. Das Einzige, was ihm fehlt hier in Wilmersdorf, ist gute Luft, so wie in der Heimat, in den Bergen Henans. „Die war frischer“, sagt Shi Yan Yao. Dort lernte er einst die Kampfkunst, im Shaolin-Tempel, der an einem Berg liegt. Bis zu nächsten Stadt waren es rund zehn Kilometer.

So ruhig geht’s selbst im etwas biederen Wilmersdorf nicht zu. In der ersten Etage des Hauses leben die fünf Mönche des Tempels in einer 100 Quadratmeter großen Wohnung. Jeder hat sein eigenes Zimmer, auch einen Gemeinschaftsraum mit Fernseher und DVD-Player gibt es. Es ist ein bescheidenes Zimmer, die Miete bekommen die Mönche gezahlt. Für ihren Lebensunterhalt bekommen sie Geld. Davon müssen sie einkaufen gehen, dann ziehen sie in ihren Mönchskutten los.

Während aber die Nachbarn im Kiez vorm großen Kleiderschrank stehen und grübeln, was sie für die Partynacht anziehen, hat Shi Yan Yao drei Kutten zur Auswahl: Für die kälteren Monate haben sie dickere Kutten. Nike-Schuhe hätte er gerne oder einen Basketball. Aber das Geld hat er nicht.

Shi Yan Yao lebt seit seinem zehnten Lebensjahr im Shaolin-Tempel in Henan. „Ich habe bereits als kleines Kind davon geträumt, im Tempel zu leben“, sagt Shi Yan Yao. Wie er sind viele junge Menschen von den Shaolin-Mönchen begeistert: Denen werden übermenschliche Kräfte und heldenhafte Eigenschaften nachgesagt. Wenn Shi Yan Yao nicht Shaolin-Mönch geworden wäre, würde er heute wohl Informatik oder Ingenieurwesen studieren. Doch ein typisches Leben kann er sich nicht vorstellen, dafür hat er ein zu großes Ziel: „Ich will erleuchtet werden und schrittweise kann ich so höhere Ebenen erreichen“, sagt Shi Yan Yao.

Franziska Böhl

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false