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Panorama: Duncans kleiner Deutschkurs

Nackte, Mädchen mit Holzbeinen und keine Sperrstunde – was unser Praktikant in Berlin erlebt

Hast du auch gemerkt, dass die Deutschen es lieben, nackt zu sein?“ Ich hatte gerade acht Monate in Köln verbracht und war nach England zurückgekommen. Ich sprach mit einer Freundin, die ein Jahr in Berlin gelebt hatte. Eigentlich hatte ich in Köln nicht gemerkt, dass die Deutschen jede Gelegenheit nutzen, um sich auszuziehen. Vielleicht gehört dieses komische Verhalten nur zu Berlin. Und so wurde ich binnen einer Woche meines Aufenthalts in der Hauptstadt mit dem nackten deutschen Arsch eines Freundes konfrontiert. Er und seine Freundin hatten mich zur Ostsee gebracht, und trotz der deutschen Nacktheit habe ich mich gut amüsiert. Sogar bevor wir ins Auto eingestiegen waren, wurde das Thema Blöße angeschnitten! Seine Freundin las aus dem Reiseführer vor: „Nacktbaden ist zwar verboten, aber keiner sagt etwas, wenn man unauffällig vorgeht.“ Die Nacktheit meines Freundes hat mich nicht gestört, aber ich habe mich wieder an die Worte jener englischen Freundin erinnert. Dann kam der zweite Beweis für ihre These. Vor unseren Augen spielten vier alte Männern in der Brandung begeistert Fangen mit einem Tennisball. Und sofort, als ob diese deutschen Großväter mich erwartet und das Ganze geplant hätten, warf einer den Ball absichtlich zu hoch. Ein anderer musste springen, um den Ball zu erreichen, wobei sein Unterleib entblößt wurde und die Sonne plötzlich auf seinem Schwanz glänzte. Ich fühlte mich wie König Arthur, als das Schwert Excalibur plötzlich vor seinen Augen aus dem Wasser emporragte. Meine Freunde sagten, dieses seltsame Verhalten habe etwas mit der Freikörperkultur in der DDR zu tun, die sich einfach so in das vereinigte Deutschland herübergerettet habe.

Was das Nacktsein betrifft, findet man aber durchaus einen Widerspruch in der deutschen Kultur. Trotz der Liebe zur Freikörperkultur habe ich gemerkt, dass die deutschen Frauen im Alltag ihre Körper lieber bedecken. Sie kleiden sich viel bescheidener als in England, was auch nicht schwer ist. Deutsche Frauen tragen unglaublich lange Röcke. Wissen sie denn nicht, dass Frauen einen Rock tragen sollen, der kaum länger als ein Gürtel ist? Vielleicht ist es nur bei uns so.

Am Anfang meiner Zeit in Deutschland habe ich das sogar ziemlich schick gefunden, wie die Frauen in Berlin sich kleiden und benehmen, aber ich bekomme langsam Heimweh. Ich meine, wie soll ich denn mit einem Mädel sprechen, wenn ich seine Beine nicht sehen kann und wenn es ihren Busen nicht vorstreckt? Der Berliner Kleidungsstil lässt mich völlig desorientiert zurück. Ich meine, jetzt ist Sommer! Wie verhüllen sich die Berlinerinnen erst im Winter? Ich habe gehört, am Wochenende sollen mehrere große Modemessen in der Stadt stattfinden. Hoffentlich setzt sich dieser Style nicht international durch.

Das Ganze ist übrigens auch ein Problem, weil meine Kumpels von zu Hause immer fragen, ob ich die deutschen Frauen mit englischen vergleichen kann. Ob sie irgendwie anders seien, vielleicht auch anders geformt? Leider kann ich meinen Kumpels nicht antworten. Die deutschen Mädchen sind eben zurückhaltend, wenn sie nicht am Meer sind. Meine Augen haben keinen Zugang zu ihren Beinen und ihrem Busen, um festzustellen, ob diese genauso geformt sind wie bei den Mädels bei uns in England. Vielleicht haben deutsche Frauen Oberschenkel und Brüste aus Holz, was weiß ich? Ich sehe sie ja nie. Deshalb bitte ich alle Berlinerinnen darum, von jetzt an keine lange Hose und keinen langen Rock zu tragen. Ich will auf diesem Gebiet eine wissenschaftliche Untersuchung durchführen.

Meine Kumpels haben oft Fragen zu Deutschland, und nicht nur zu den Frauen. Weil ich ihnen nicht so richtig antworten kann, kommen manche von ihnen zu Besuch, wenn ich in Deutschland bin – um der Sache auf den Grund zu gehen. Manchmal erfahren wir auf diese Weise aber mehr über uns selbst als über die Deutschen. Folgende Szene hat sich ereignet: Ein Freund aus England und ich stehen in einem Club in Köln und trinken. Wir befinden uns in der Minderheit. Wir sind beide englische Muttersprachler, wir können jedes Wort von den Liedern verstehen. Der Diskjockey legt eine neue Platte auf, alle Deutschen im Club drehen durch. Britney Spears. Das ist also der große Nachteil, wenn man mit der englischen Sprache aufgewachsen ist. Man hört die Worte eines schlechten Liedes zu gut. Man weiß eben zu präzise, worum es im Lied geht. Stellt euch vor, Britney würde auf Deutsch singen: „Ups, ich hab’s schon wieder getan“. Das ist nicht so witzig, oder?

Es gibt ja Ausnahmen. Mein Bruder hat zum Beispiel immer gedacht, dass die Zeile von Simon und Garfunkels „Cecilia“ lautet: „You’re stirring my coffee twice daily.“ (Du rührst meinen Kaffee jeden Tag zweimal um.) Eigentlich lautet sie „You’re shaking my confidence daily.“ (Du verunsicherst mich jeden Tag aufs neue.) Solche Missverständnisse können natürlich auch bei Muttersprachlern wie uns vorkommen, besonders wenn ein Sänger absichtlich unklar singt. Im Großen und Ganzen versteht man aber alles.

Und das hat zwei Nachteile. Erstens kann man eine womöglich sehr schöne Melodie nicht genießen, weil der Text einem das nicht erlaubt. Zweitens wird man oft abgelenkt, wenn man Deutsch mit jemandem spricht. Der Sänger singt beispielsweise etwas Besonderes, ein ausgeklügeltes Wortspiel, oder drückt sich ungewöhnlich aus – und schon spitze ich meine Ohren. Für meinen deutschen Gesprächspartner, so stelle ich es mir vor, ist ein unbekanntes Lied, das in einer Kneipe spielt, nur eine Nebensächlichkeit, etwas Unbedeutendes, das im Hintergrund passiert. Er hört gar nicht hin. Aber ich: Eine englische Stimme, oft mit vertrautem Akzent, spricht mit mir, während ich in einer Kneipe irgendwo in Deutschland sitze und mit einem Deutschen rede. Das ist ein komisches Gefühl. Man plaudert auf Deutsch, deutsches Gemurmel umkreist einen, die Kellnerin fragt „Was darf’s sein?“, und man hat gerade das Gefühl, sich so richtig in die Fremdsprache vertieft zu haben. Und dann dringt eine englische oder amerikanische Stimme in diese schöne deutsche Welt ein. Und wenn man versucht, die deutsche Sprache zu lernen, kann diese uneingeladene, ungewollte englische Stimme nerven.

Trotz solcher Schwierigkeiten hat meine Reise nach Köln – ich war ein Jahr dort – etwas gebracht. Meine Deutschkenntnisse haben sich auf jeden Fall verbessert, und ich konnte mit 23 Jahren mein Studium in Germanistik und Slawistik an meiner Universität in England abschließen. Das ist schon ziemlich alt für einen englischen Studenten, die meisten sind mit 21 fertig und starten dann frisch ins Berufsleben. Die Deutschen haben dann erst ihren Zivildienst abgeschlossen. Jetzt bin ich in Berlin, mache ein Praktikum beim Tagesspiegel, und alles in Deutschland ist so, wie es war. Die Kneipen schließen nicht um elf Uhr wie bei uns. Man kann ruhig trinken, muss sich nicht beeilen, und die Leute kommen nicht alle zum selben Zeitpunkt auf die Straße, um zu kotzen oder Schlägereien zu beginnen. Ein herrliches Leben ohne Sperrstunde.

Ansonsten gibt es nicht so viele Unterschiede zwischen Deutschland und meinem Heimatland. Es gibt in beiden Ländern nette und gemeine Leute, lustige und ernste, und ich habe langsam den Gedanken aufgegeben, dass all die Deutschen immer pünktlich und humorlos sind. Vor einer Woche habe ich sogar einen Deutschen lachen sehen.

Das Einzige, das ich vermisse, ist meine große Leidenschaft, den englischen Sport Kricket. (Nein, das spielt man nicht auf Pferden. Das wäre Polo. Nein, man versucht keinen Ball durch einen Ring zu putten. Das wäre Krocket. Kricket ist dem Baseball ähnlich.) Und obwohl ich mich manchmal über Deutschland lustig mache, habe ich auch viel Positives zu sagen. Deshalb kommt jetzt noch ein Kumpel von mir zu Besuch. Die englische Musik wird ihn in einem fremden Land bestimmt beruhigen, die deutsche Nacktheit wird ihn vielleicht verblüffen, und er schwärmt schon für hölzerne Oberschenkel und Brüste. Er hat eben keine Angst vor Splittern.

Duncan Heath

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