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Panorama: Echte Jungs - die Jungsurfer auf Sylt

Mädchen, Sonne , Party – so leben Surfer. Oder? Unser Autor hat zwei von ihnen bei der WM getroffen

Es gibt zwei Zeiten auf Sylt. Die eine gehört zum Club „Badezeit“. Das ist eine bessere Holzbretterbude, die direkt an der Nordsee, am Strand von Westerland, liegt. Draußen prasselt der Regen, drinnen wippen aufgestylte Jungs zu Elektro-Musik auf der Tanzfläche, Mädchen nippen an ihrem Sekt auf Eis. Es ist zwei Uhr nachts. „Wo kommst’n her?“ – „Na, sieht man doch“, sagt die Blonde, 23, und zeigt auf ihr Luxus-Handtäschchen. „Ich komme aus Kampen.“ Das ist das Dorf der Reichen und Schönen.

Die andere Zeit auf Sylt hat den Rhythmus der Wellen. Sie gehört den Windsurfern. Auf Sylt findet deren Weltmeisterschaft statt. Aber um zwei Uhr wippt hier keiner mehr. Dann liegen die Surfer längst in ihren Kleinbussen, die mit bunten Aufklebern verziert sind und die alle auf dem Parkplatz hinter der Sanddüne stehen. Hier ist die „Nivea“-Dose wegen der Schürfwunden wichtiger als ein Handtäschchen.

Was die Zeiten eint, ist das Image, das eine Surf-WM mit sich bringt: Urlaub, Strand, Chillen, Party, nie Winter und viel Sex. Und das jeden Tag.

„Pff, Unsinn“, sagt dazu Yannick Oelke, 18 Jahre alt und einer der besten Windsurfer der Welt. Er sitzt an einem Nachmittag im Fahrerlager auf seinem Surfbrett im Sand, vor ihm die Nordsee. Die Verabredung galt eigentlich nur für Oliver-Tom Schliemann, der ist noch jünger, 15. Als „OT“, wie der Junge genannt wird, sich aber gerade auf seinem Plastikstuhl ein Stück Pflaumenkuchen in den Mund schob, hockte sich Yannick einfach dazu. „Hallo.“

Yannick Oelke kommt aus Kiel, geht aufs Gymnasium, elfte Klasse, will Biologie und Englisch als Leistungsfächer wählen. Die Schulaufgaben haben ihm die Lehrer mit auf die Insel gegeben. „Ich muss Spanisch lernen.“ Yannick, gerade volljährig, ist ständig im alten Kleinbus unterwegs, immer auf der Suche nach Wind und Wasser.

Cadiz in Spanien, Dänemark, Malediven oder eben Sylt. Die beiden Jungs gehören zur „Professional Windsurfers Association“, dem Dachverband der Profis. Und von denen gibt es weltweit gerade mal 700.

Als „OT“ seine Kuchenkrümel vom Neoprenanzug gewischt hat, sagt er: „Ich war schon auf Hawaii.“ Der Junge mit den nassen, blonden Haaren ist mit Vater Ernst im Wohnwagen angereist, den sie für 800 Euro bei Ebay ersteigert haben. Der Vater ist selbst Wassersportlehrer, immer unterwegs. Jetzt steht auf dem Kennzeichen des Wohnwagens „PM“. Das steht für Potsdam-Mittelmark. Über die Lautsprecherboxen am Strand wird den 180 000 Zuschauern allerdings mitgeteilt, dass er „aus Berlin“ komme. Klingt wohl besser.

Vor allem Oliver-Tom nennen sie „German Wunderkind“. Weil er schon als 13-Jähriger bei der Surf-WM auf Sylt mitgemacht hat. Da war er 1,32 Meter groß. Mittlerweile ist er vierfacher Juniorenweltmeister und fährt mit den Besten der Szene mit, Björn Dunkerbeck etwa. Das ist der Mann aus der Nutella-Reklame.

Einen Tag später. Endlich harter Wind. Die Surfer donnern über das Wasser in irrwitziger Geschwindigkeit, hängen mit aller Kraft in den Segeln und klemmen ihre Füße am Brett fest. Im Winter helfen „notfalls zwei Neoprenanzüge“, sagt Yannick. Er sei auch schon bei zwei Grad gesurft. Da hat man besonders viel Ruhe. Kein Gequatsche am Strand, nur sich und das Wasser. „Bei Schneeregen gehe ich auch raus“, sagt er. Obwohl, naja, so oft sieht er den Schneeregen nicht. Auf dem Kennzeichen seines Busses steht „03 - 11“. Ein Saisonkennzeichen, zugelassen von März bis November. Im Winter ist er meist in Südafrika beim Vater. Der ist nach Kapstadt ausgewandert. Yannick geht dann auf die deutsche Schule dort.

„Als Surfer musst du bescheiden sein“, sagt Yannick und deutet auf seinen weißen Fiat-Bus hinter der Düne. Den hat er umgebaut, ein Brett reingezogen („mein Bett“) und einen kleinen Kühlschrank hineingestellt. An diesem Morgen befinden sich darin drei Bananen, eine Dose Thunfisch, ein Packung Käse. Klo und Dusche hat der Veranstalter in Containern bereitgestellt. Notfalls geht man eben ins Meer oder hinter die Düne. Oliver-Toms Familie geht abends schon mal in die McDonald’s-Filiale in Westerland. Da kostet der Hamburger einen Euro.

„Solange er in der Schule keine Probleme hat, habe ich auch kein Problem mit dem Surfen“, sagt der Vater, 56. Sein Sohn soll auf der Gesamtschule sogar Schulbester sein, Einserbereich, und weil er ständig trainiert und mit den Profis unterwegs ist und immer neue Sprachen lernt, „kommt er auch nicht auf dumme Gedanken“. Was er damit meint? „Na, Rechtsradikalismus und so.“

Oliver-Tom will später in den Bundestag, oder im Diplomatendienst tätig sein, aber länger als ein paar Tage an einem Ort kann er es nicht aushalten. Schon gar nicht in einem Büro, „mit Anzug und so“. Er trägt ein blau-gelb-weißes Käppi, und sein Überziehhemd ist übersät mit den Emblemen der Sponsoren, genauso wie sein Segel mit der Starternummer „G-1001“. In gewisser Weise ist das Surfen sein Job. Er war schon Olympia-2012-Werber für die Stadt Leipzig, doch Geld lässt sich nur bedingt mit dem Sport verdienen. 105 000 Euro Preisgelder werden bei der Surf-WM vergangene Woche auf Sylt ausgeschüttet, weltweit der höchste Betrag. Aber für Yannick und Oliver-Tom reichte es nach zehn Tagen letztlich nicht für die Spitzenplätze beim Surf-Worldcup.

Hinter dem Fahrerlager, in dem die Bretter und Segel neben Kaffeebechern herumliegen, befindet sich das Partyzelt. Zig Buden, DJ-Pult mit 1800 Platten. Das wären zwei Monate Musik Nonstop. Die Mädchen, alle Anfang 20, lugen durch große Sonnenbrillen rüber zu den Surfern. „Ich bin noch etwas zu jung für Mädchen“, sagt Oliver-Tom und macht dabei den Eindruck, als meine er das nicht ironisch. „Ich bin auch ein Partymuffel.“ An diesem Wochenende steht die Brandenburger Landesmeisterschaft an. Oliver-Tom ist Weltmeister. Da wird er die Brandenburgische Landesmeisterschaft wohl leicht gewinnen. Und die Party am Abend anderen überlassen.

„Moin“, sagt da ein älterer Surfer, Mitte 30, kurzes Haar, und setzt sich kommentarlos neben die Jungen in den Sand. Als die beiden ein neues Stück Kuchen holen, flüstert er: „Also, wir sind nicht die Papas, okay? Aber wir passen auf, dass die um drei Uhr nachts nicht besoffen am Strand langtorkeln und morgens nicht aufstehen.“ Dann klopft er sich den Sand von der Pobacke und geht.

So etwas Ähnliches hat Yannick eben gesagt: Wenn er Rat suche, könne er die Mutter in Kiel anrufen, „oder eben mit den älteren Surfern reden, die sehe ich fast noch öfter.“ Yannick sagt auch, für eine Freundin bleibe wenig Zeit, zumindest für eine feste. „Ich hatte mal eine Beziehung über ein Jahr.“ Weil er aber fast nie zu Hause war, ging die Liebe zu Bruch. „Was Festes war schon schön“, sagt er und lächelt, „lief aber nicht, war eine andere Welt“.

Wo Heimat ist? Vielleicht ist sie dort, wo man die Sprache versteht, die man spricht. Nur was ist, wenn man in jungen Jahren schon sechs Sprachen kann? Aufgewachsen ist Oliver-Tom Schliemann in Schweden, der Türkei, Griechenland, den Malediven und Spanien. Er kann natürlich auch Englisch, das sprechen alle hier. Heimat ist überall, nur nicht Bielefeld, da ist „OT“ nur geboren.

Am nächsten Mittag tauchen die ersten Partyleichen am Strand auf. Bei den Surfern klingelte schon kurz nach acht Uhr der Wecker. Doch wieder nichts: Windstille. Eine knarzende Mikrofonstimme tönt aus den Lautsprecherboxen am Strand. „Competitors, this is your announcement“, sagt der Rennleiter. „Next possible start at one thirty.“ – „Scheiße“, murrt Oliver-Tom. Das heißt eine Stunde Warten. Nichts tun.

„Diiiiieter!“, ruft da eine Stimme, oben am Partyzelt. Handyfotoapparate werden hochgestreckt. Ein älterer Mann, braun gebrannt, lächelt. Er genießt den Trubel, die Party, das Image der Surf-WM. Es ist Dieter Bohlen. Noch eine Seite von Sylt.

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