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Panorama: Ein Hauch von Gehastalgie

Man versetze sich einmal in die Lage eines Geha-Füllers. Vor 30, 40 Jahren kannte der Geha-Füller kaum Konkurrenz, nur den Pelikan-Füller, der ebenso blau und ernsthaft daherkam.

Man versetze sich einmal in die Lage eines Geha-Füllers. Vor 30, 40 Jahren kannte der Geha-Füller kaum Konkurrenz, nur den Pelikan-Füller, der ebenso blau und ernsthaft daherkam. Geha- und Pelikanfüller sahen ihre Aufgabe darin, die Hand des Kindes zu erziehen, sie ließen gerade mal die Varianten dünne, mittlere, breite Feder zu, ansonsten aber strebten sie ein möglichst einheitliches Schriftbild und exakte Schreibbewegungen an. Ganz extravagante Schüler entschieden sich schon mal für einen grünen oder gar roten Füller. Aber grundsätzlich war die Welt der Schreibwerkzeuge in Ordnung, übersichtlich, hierarchisch, klar strukturiert. In ihrem Herzen waren Geha und Pelikan DDR-Kader.

Heute dagegen! Unter den Schreibwerkzeugen hat eine Revolution stattgefunden, nur von denen unbemerkt, die über Jahre keine schulpflichtigen Kinder ihr Eigen nennen konnten. Wessen Kinder jedoch jetzt ins Vorschul- oder Schulalter kommen, der reibt sich die Augen, wenn er eine McPaper-Filiale betritt (denn Schreibwarenläden gehören zur aussterbenden Gattung).

Moderne Füller und Tintenroller haben sich längst von ihren biederen Ahnen emanzipiert. Sie sind grell orange (brandheiß: Lamy flame!), durchsichtig oder schrill neonfarben, sie heißen „Tattoo“, „Future“ oder „Tornado Blue Steel“, die Avantgarde unter ihnen ist ergonomisch krumm wie eine Banane, ja, Kugelschreiber „Harry“ trägt sogar eine Sonnenbrille auf seinem gelben Straußenschnabel. Bestimmt gibt es auch Modelle, die staubsaugen können. Vielleicht schreiben die neuen Stifte buntere, emanzipiertere, sonnigere Texte als ihre Großeltern? Wenn man lange sucht, findet man in einer dunklen Ecke noch einen leise weinenden klassischen Schulfüller.

Die McPaper-Verkäuferin sagt: Lehrer haben heutzutage nichts gegen grellbunte Tintenroller, es muss kein Füller mehr sein. Nein, wir weinen den alten Zeiten nicht nach, wir kaufen so orange wie möglich, mit Hut und Straußenei. Aber beim Auspacken durchweht den Raum ein Hauch von Gehastalgie.

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