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Panorama: Flächen berechnen Am Leben vorbei

Werner Fuld hat viele überflüssige Dinge gelernt und seine Zeit vergeudet

Gymnasium, 9. Klasse, Mathematik:

Aus einem Stamm mit einem Mindestdurchmesser von 42 Zentimetern soll ein möglichst großer Balken mit quadratischem Querschnitt gesägt werden. a) Berechne die Querschnittsfläche des Balkens. b) Wie viel wiegt der Balken, wenn er fünf Meter lang ist und ein Kubikzentimeter Holz 0,9 Gramm wiegt?Die Lösung verraten wir Ihnen auf der Schulseite in der nächsten Woche.

Vergangene Woche fragten wir:

Warum wird in Brasilien Portugiesisch gesprochen, in fast allen anderen lateinamerikanischen Ländern aber Spanisch?

Lösung: 1494 zog der Papst auf einer Erdkugel eine Linie von Pol zu Pol. Die westlich gelegenen Teile der nicht-christlichen Welt gingen an Spanien, die östlichen an Portugal.

Schule ist eine Art sozialer Auffangstation für Leute, die nichts mit sich und der Welt anzufangen wissen, also für Lehrer, und die deshalb jemanden brauchen, der sie beschäftigt, nämlich die Schüler. So haben wir das damals gesehen.

Wir: Das war die kommende Elite, aus der dann leider nichts geworden ist, nur Lehrer, Juristen und Ärzte – aber was will man von einem humanistischen Gymnasium in Heidelberg Mitte der sechziger Jahre anderes erwarten? Scholae, non vitae discimus, Leben und Wissen streng getrennt. Das war auch irgendwie konsequent, denn mit dem vermittelten Wissen konnten wir in unserem Leben überhaupt nichts anfangen. Schule war lästige Pflicht und Zeitvergeudung; das Leben begann mit dem Klingelzeichen um 13 Uhr, das Freiheit verhieß: Mit Freunden rumsitzen, die neuen Beatles-Platten hören oder im Kino dreimal hintereinander „Zur Sache Schätzchen“ ansehen.

Was unsere Lehrer nach 13 Uhr machten, konnten und wollten wir uns nicht vorstellen. Niemals traf man einen in einer Eisdiele oder gar in einer Buchhandlung, man sah sie weder im Konzert noch im Theater. Sie brachten uns Griechisch bei. Wir lernten mit Caesars gallischen Eroberungen Latein und lasen später Tacitus. Die Lehrpläne hatten sich seit hundert Jahren nicht geändert und die Lehrer auch nicht. Es schien, als wären sie selbst in dem Irrglauben gefangen, dass sie uns überzeitliche Werte vermittelten, wenn wir nur die Grammatik richtig beherrschten. Dann konnten sie uns, wie es in der Abiturrede so schön hieß, beruhigt ins Leben entlassen. Aber dieser Satz, den man auch heute noch von vielen Pädagogen hört, war das Eingeständnis, dass Schule und Leben nichts miteinander zu tun hatten. Diese wertvolle Schulzeit hatten wir damit vergeudet, Dinge zu lernen, die wir im späteren Leben niemals brauchten. Warum muss man mittelalterliche Kaiser kennen anstatt zu lernen, wie man sich auf Englisch für ein Auslandsstipendium bewirbt? Unser Begriff von Bildung stammt aus dem 19. Jahrhundert. Wir sollten den Mut haben, ihn über Bord zu werfen.

Der Autor ist Literaturwissenschaftler und hat gerade das Buch „Die Bildungslüge“ veröffentlicht. Er ist 57 Jahre alt.

Liebe Leser, an dieser Stelle möchten wir künftig auch Ihre Schulgeschichte aufschreiben. Schreiben Sie an:

schule@tagesspiegel.de

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