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Panorama: Gangster, entspannt euch!

Sonst hat irgendwann einer ’ne Kugel im Kopf, sagt Curse. Ein Interview über Berlins harte Hip-Hop-Szene

Wir sind mit Curse, 27, im Café des Berliner Flughafens Tempelhof verabredet. Das Handy klingelt. Bei MTV habe es leider länger gedauert als geplant, aber er sitze schon im Taxi, sagt der Manager. Es sind noch 30 Minuten bis zum Abflug nach Düsseldorf, als Curse entspannt seine Reisetasche abstellt und mit einer Tasse grünem Tee in der Hand neben uns Platz nimmt. Er trägt Jeans, Sneakers und Nickelbrille. Sein Kopf ist kahl rasiert. Er wirkt ausgeglichen. Das komme von seinem jahrelangen Samuraitraining, sagt er. Erst als wir mit ihm über die Berliner Hip-Hop- Szene reden, hebt sich seine Stimme.

Curse, wenn wir auf das Jahr zurückblicken, könnte man den Eindruck gewinnen, der deutsche Hip-Hop sei fest in Berliner Hand. Aus der Stadt kommen Rapper wie Kool Savas, Sido, Fler oder Bushido.

Okay, der öffentliche Fokus lag auf Berlin. Das bedeutet allerdings nicht, dass im restlichen Teil Deutschlands überhaupt nichts passiert ist. Es hat nur keinen interessiert. Ich stelle mir ganz andere Fragen: Können diese Jungs rappen, haben sie gute Beats oder können sie am Ende gar nichts und ihr Erfolg basiert nur auf einem guten Marketingkonzept?

Und wie lautet deine Antwort?

Ich kann zumindest den Erfolg, den manche von den Jungs haben, absolut nachvollziehen. Sie transportieren ein bestimmtes Image, eine bestimmte Ästhetik und decken damit ihre Nische ab.

Man könnte sagen: Erfolgreicher deutscher Hip-Hop klang nie so hart wie heute.

Das wiederum finde ich richtig geil. Es werden endlich nicht immer nur die poppigen Songs gehört.

Und dieser harte Sound spiegelt das aktuelle Lebensgefühl der Jugend wieder?

Absolut. In den Neunzigern ging es uns doch allen richtig gut. P-Diddy …

… einer der mächtigsten Männer im Musikgeschäft …

… hat Hip-Hop mit Popelementen kombiniert und damit genau den Zeitgeist der Menschen getroffen. Heute sieht unser Leben eben anders aus und dementsprechend hat sich auch die Musik verändert. Wir müssen uns ja nur an die Bilder aus Frankreich erinnern. Der französische Hip-Hop ist schon immer hart gewesen, weil er aus den Vorstadtghettos kommt.

1995 hat der französische Regisseur Mathieu Kassovitz den Film „Hass“ gedreht, der das Leben in den Banlieues zeigt. Drogen, Gewalt und Auseinandersetzungen mit der Polizei gehören da zum Alltag …

… genau, und trotzdem waren alle zehn Jahre später völlig überrascht, als in Paris die Autos brannten. Du wirst lachen, ich musste sofort an den Film denken. Aber so lange eben nichts passiert, werden die Probleme schön verdrängt. Wir haben nicht die gleichen Verhältnisse wie die Franzosen, und trotzdem gibt es auch hier Brennpunkte und Ghettos, selbst wenn das manche Politiker gerne ignorieren. Natürlich haben wir ein anderes Gesellschaftsmodell, vor allem was die Integration von Ausländern angeht. Die Franzosen haben halt eine krassere Protestkultur. Das Problem ist jedoch kein französisches, eher ein europäisches.

Bushido, einer der erfolgreichsten deutschen Rapper, nennt sein Album „Staatsfeind Nummer 1“.

Meiner Meinung nach orientiert sich Bushido, was seine Texte, seine Beats und seinen ganzen Stil betrifft, ganz klar am französischen Hip-Hop.

Bushido hat deine Texte dagegen im Hip- Hop-Magazin „Juice“ als „Pseudo-Gelaber“ bezeichnet.

Ich habe vor drei Jahren den Song „Scheiß auf Curse“ geschrieben, in dem ich all die Sachen, die mir heute noch vorgeworfen werden, aufgezählt habe. Sätze wie „der rappt immer nur über seine Ex-Freundin“ langweilen mich. Bushido kann meinetwegen sagen, was er will, ich bin trotzdem der bessere Rapper. Fertig, aus!

Hat sich die Hip-Hop-Szene geteilt, also Berlin auf der einen – der restliche Teil Deutschlands auf der anderen Seite?

Ach, ich bin da sehr entspannt. Die Jungs müssen mit ihrem Image so dermaßen kokettieren, dass sie die extrem negativen Auswirkungen für sich selbst nicht erkennen. Für jeden Rapper, der behauptet, ein harter Gangster zu sein, wird es jemanden geben, der genau das testen wird. Bushido muss mittlerweile immer mit Bodyguards unterwegs sein. Das sind zwar keine Profis, sondern irgendwelche Straßenkämpfer, aber die können dann natürlich auch das Image, dass der Rapper nach außen ausstrahlt, besser vertreten. Mir persönlich wäre das auf die Dauer zu anstrengend.

Wie werden denn die Berliner Rapper in der restlichen Szene angesehen?

Viele denken genau das, was ich in meiner neuen Single „Gangsta Rap“ aussage.

Im Refrain heißt es: „Ich hab’ nichts gegen Gangsta Rap. Ich hab nichts gegen Gangsta, die rappen. Im Gegenteil, ich lieb den Scheiß, doch zu viele von den Jungs glorifizieren den Scheiß.“

Wir fragen uns einfach alle, warum dieses Ungleichgewicht herrscht. Wieso bekommen immer nur diese Jungs die langen Interviews, wieso kommen die auf das Cover von Magazinen und die anderen nicht?

In den USA dagegen funktioniert dieses Gleichgewicht.

Ja, da sagt Jay-Z zum Beispiel über Talib Kweli, dass er der beste MC sei. Talib Kweli wiederum sagt das Gleiche über Jay-Z. Bei uns in Deutschland aber regiert nur der Neid. Das geht noch so weit, dass wirklich irgendwann der Erste eine Kugel im Kopf stecken hat. Wir sollten uns alle mal wieder ein bisschen beruhigen. Ich habe ja neulich gehört, dass Sido meine neue Single richtig gut findet und DJ Desue …

… einer der erfolgreichsten deutschen Hip-Hop-Produzenten aus Berlin …

… sich „Gangsta Rap“ im Radio gewünscht hat. Das freut mich natürlich.

Du bist in Minden aufgewachsen, einer Kleinstadt irgendwo zwischen Hannover und Dortmund. Wie kamst du damals auf die Idee, Rapper zu werden?

Ich habe Hip-Hop zum ersten Mal bewusst in der 5. Klasse wahrgenommen. Es gab auf meiner Schule einen älteren Typen, der DJ war und für damalige Verhältnisse eine riesengroße Kassetten- und Plattensammlung hatte. Aber das Wichtigste war, dass er eine Verbindung nach London hatte, zu Tim Westwood …

… dem bekanntesten Hip-Hop-DJ Europas und Moderator von BBC Radio 1.

Wir saßen stundenlang vor dem Radio und haben die neuesten Hip-Hop-Platten aus den USA gehört. Minden und Umgebung war ja britisch besetztes Gebiet, also hatten wir das Glück, dass wir die Sendung über den Militärsender empfangen konnten.

Seid ihr auch sprühen gegangen, oder so?

Nein, rappen hat mich immer mehr interessiert. Der Hauptgrund allerdings, warum ich keine Graffiti gemalt habe, war der, dass ich aus meinem Umkreis der Einzige war, der sich für die echte Hip-Hop-Kultur interessiert hat. Echt wahr, ich war wirklich der Einzige.

Wie bist du denn damals überhaupt an die Platten gekommen?

Na ja, in Minden war nicht viel los! Aber es gab zum Glück einen Bestellkatalog namens Disc-Center, da hat eine Single noch 49 Pfennig gekostet.

Das waren die Zeiten, als auch die Fantastischen Vier ziemlich angesagt waren.

Ich habe die Platten gehört, aber ehrlich gesagt hatten die keinen Flow, die Beats waren schlecht, eigentlich war das Müll.

Wie hat sich der deutsche Hip-Hop in deinen Augen verändert?

Ich bin absolut kein Verfechter der Früher-war-alles-besser-Theorie. Natürlich hat sich viel verändert. Wenn du früher auf ein Hip-Hop-Konzert gegangen bist, standen da 200 Leute, die alle wegen der Musik gekommen sind. Heute kommen 2000, von denen aber vielleicht nur noch 50 diese Einstellung haben. Die Verhältnisse haben sich verschoben, was aber grundsätzlich nicht negativ sein muss.

Du bist der erste deutsche Rapper, der vier Solo-Alben herausgebracht hat. Auf deinem neuen Album ist sogar Pete Rock dabei, die Hip-Hop-Legende aus New York …

Darauf bin ich wahnsinnig stolz. Ich bin der erste Rapper aus Europa, dem er jemals einen Beat gegeben hat.

Am Anfang des Songs ruft Pete Rock ganz laut „Minden“ ins Mikrofon.

Ein großer Spaß! Mal ehrlich, wie geil ist das denn, ein Shout-out von Pete Rock für deine eigene Stadt zu bekommen? Meine Freunde bekommen jedes Mal feuchte Augen. From New York to Minden!

Das Gespräch führte Lars Amend.

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