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Panorama: Ihr habt es so gewollt!

Frohes Neues: Jungs schmeißen mit Knallern, Mädchen frieren im Schnee – alles eine Typfrage

1. Der Pärchenabend

Gemeinsam mit alten Schulfreundinnen zwingt sie ihre Partner, eine Hütte in den Bergen zu mieten und einen Pärchenabend zu verbringen. Sie spielen Bleigießen, haben ein Buch mit den Bedeutungen der 10 000 am häufigsten gegossenen Bleifiguren besorgt. Die Ergebnisse werden ausdiskutiert und die Bedeutung der Figuren auf die Beziehung zum Partner übertragen. Es kommt zum Streit. Es wird Tabu gespielt, die Frauen nippen an Baileys, die Männer werden schief angeguckt, sobald sie sich das dritte Bier holen. Um zwölf stehen sie in inniger Umarmung auf der Terrasse und sehen in den Himmel. Eine Frau behauptet, sie habe eine Sternschnuppe gesehen – niemand weiß, ob es stimmt, hört sich aber gut an.

2. Feiern bei Muttern

Er macht den albernen Party-Hype nicht mehr mit. Er besinnt sich auf seine Wurzeln und feiert mit seinen Eltern. Mutter hat Käsespieße für die Party im holzgetäfelten Keller vorbereitet, Vater dreht seit zwei Stunden eine tote Sau an einem Spieß im Garten. Es gibt Alkohol in rauen Mengen, eine Disco-Ampel, die abwechselnd rotes, gelbes und grünes Licht auf die Tanzfläche wirft, es läuft „Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden“. Zu später Stunde wird Mutter unangenehm. Sie lüpft die Strickjacke und trägt zu wenig drunter. Vater feuert sie an. Bei der Polonäse bemerkt der unkonventionelle Silvester-Feierer, dass die 45-jährige Sparkassenangestellte ihn etwas zu sehr festhält. Als Mutter und Vater im Disco-Fox auf ihn zutanzen, drängt er zum Aufbruch.

3. Die schickere Party

„Kommt halt zu mir, ich bereite ein bisschen was vor“, hatte die Gastgeberin lapidar gesagt und der nervigen Eventsuche ein Ende gesetzt. In einer großzügigen Altbauwohnung bohren Absatzschuhe Löcher ins Parkett. Bei Champagner werden Tandoori-Lachs-Spieße gelobt, „Dinner for One“ geguckt und schrill gelacht. Um zwölf geht man vor die Tür. Die Männer haben professionelles Silvesterraketen- Equipment dabei und besudeln sich bei Graupelschauer den Nadelstreifenanzug. Die Frauen bleiben im Eingangsbereich stehen und werfen fröstelnd Knallfrösche auf den Boden. Als man wieder reingeht, wird „Dancing Queen“ aufgelegt. Die Gastgeberin wacht am Morgen vollständig bekleidet neben Scampis und Flips auf der Couch auf. Aus ihren roten Pumps hat jemand Champagner getrunken. Aus dem Hifi-Turm ertönt leise „Daddy Cool“.

4. Der

Party-Hopper

Er hat einen genauen Zeitplan und eine abgesteckte Route. Denn er hat sehr viele Freunde und dieselbe Anzahl Partys, auf denen er unbedingt vorbeischneien muss. Er beginnt auf der hierarchisch am tiefsten stehenden Veranstaltung. Schaut auf die Uhr und telefoniert mit der BVG-Hotline. Bis um zwölf muss er in Friedrichshain sein – eine Information, die er ständig ungefragt in den Raum ruft. Um zwölf sitzt er versehentlich allein in der U-Bahn. Im Club trifft er Bekannte, redet kurz über Vergangenes, mit Blick auf die Spree. Er muss los. Das Handynetz ist überlastet, er verpasst seine Freunde. Er tanzt zu drei Liedern, fragt nach Kokain und wird rausgeschmissen. Er musste eh weiter, fährt zu einer Party auf drei Ebenen. In seiner letzten Erinnerung tanzt er mit einer Unbekannten. Um neun Uhr frühstückt er im „Schwarzen Café“ drei Spiegeleier.

5. Die Touristen

Ihr Silvestertrip nach Berlin ist von langer Hand geplant. Sie wissen Monate vorher, wie der Abend ablaufen wird. Im Freundeskreis ihres Dorfes haben sie Listen herumgereicht, in die sich Interessierte eintragen können, damit man bei der Bahn ein Gruppenticket besorgen kann. Sie haben Brot gespendet statt Böller gekauft. Die Frauen tragen winzige Disco-Rucksäcke, die mit Knallbonbons gefüllt sind. Die Männer haben T-Shirts über ihre Jacken gezogen, auf denen „To beer or not to beer“ steht. Sie fahren zum Brandenburger Tor. Es ist voll, saukalt, und man kann nichts sehen. Um Punkt zwölf jubelt die Gruppe und gießt Rotkäppchen-Sekt in mitgebrachte Plastikbecher. Dann formieren sie sich zum Kreis und singen „We are the champions“.

6. Die Mädchen-Runde

Sie freuen sich seit Wochen. Sie haben die gesamte H&M-Silvesterkollektion aufgekauft. Sie trinken Fruchtsekt aus Sektflöten und wickeln sich gegenseitig Lockenwickler in die Haare. Um zwölf Uhr stehen sie in Wolldecken gewickelt am Fenster und sehen dem Feuerwerk zu. Jede muss ihr peinlichstes Erlebnis des Jahres erzählen. Am Ende weint eine, ihre Freundin schenkt Sekt nach. Um halb eins machen sie sich in Stilettos und mit abgefrorenen Füßen auf zu einer Karaoke-Party. Kreischend weichen sie herumfliegenden Böllern aus, da sie goldene Kleider tragen, die sich in einer Stichflamme in Luft auflösen, sobald sie auch nur in die Nähe einer Feuerquelle kommen. Bis sechs Uhr morgens singen sie „Eternal Flame“.

7. Die Männer-Runde

Nur die ältesten Freunde dürfen kommen. Sie reden nicht über das vergangene Jahr. Sie haben Bierfässer gekauft und zur Feier des Tages einen fünften Playstation-Joystick in der Videothek geliehen. Sie tauchen Nachos in Saucen, die sich in den Verpackungen befinden, die aussehen wie Hundefutter. Die Zwölf-

Uhr-

Marke verpassen sie versehentlich. Um Viertel nach zwölf bemerkt es einer, als er auf die Uhr guckt, um die Zeit zu stoppen, wie lange ein anderer seinen vollen Bierkrug am gestreckten Arm vom Körper weghalten kann. Sie prosten sich mit 0,5-Liter-Gläsern zu und klopfen sich gegenseitig auf die Schultern. Dann gehen sie raus, legen sich mit marodierenden Halbstarken an und bewerfen sich mit Böllern.

8. Die Pragmatikerin

Sie hält Silvester für maßlos überschätzt. Dafür ist die Bezahlung gut, wenn man arbeiten geht. Als Hostess trägt man das Gleiche wie seine 70 Mitstreiterinnen auf der Veranstaltung: ein schwarzes Polyester-Kostüm, pflasterfarbene Strumpfhosen und Deichmann-Pumps. Die Hostess trägt Schlachteplatten und Sektkühler zu großen Tafeln. Hinter der Bar füllt sie Schnäpse in Gläser und stellt sie vor Männer, die sich nie zuvor gesehen haben, sich trotzdem lallend größte Zuneigung attestieren und das dritte Mal Brüderschaft trinken. Zu Hause klebt sie Hühneraugenpflaster auf geschundene Füße, trinkt Prosecco aus der Flasche, die sie bei der Veranstaltung geklaut hat und schaltet den Fernseher an. Es laufen „die 365 peinlichsten Auftritte 2005“. Sie überlegt, ob sie im nächsten Jahr doch mal wieder Silvester feiert.

9. Die rustikale Feier

„Wir machen in diesem Jahr mal was ganz Ungewöhnliches“ – so hatte es angefangen. Am Ende hat der rustikale Silvestertyp für viel Geld einen Dampfer gemietet und fährt sechs Stunden durch dunkle Kanäle. Das Buffet ist miserabel: kalte Hühnerbeine, Kartoffelsalat und Buletten. Beim Tanzen schlägt sich einer an der 1,60 Meter hohen Holzdecke den Kopf auf. Aber der Kahn ist so alt, dass man sowieso nur langsamen Stehblues tanzen darf. Auf die einzige Toilette des Dampfers darf nach zwei Stunden niemand mehr, da sie nur 20 Liter fasst. In Moabit werfen Kinder mit Knallern von Brücken auf sie. Die Hälfte der Mitreisenden bekommt Depressionen, die andere Hälfte will vorzeitig aussteigen. Der Kapitän sagt, man solle sich nicht so anstellen, man habe es sich schließlich so ausgesucht und fährt stoisch weiter geradeaus.

10. Der klassische Typ

Es ist die Party des Jahres. Sie hat alles eingehalten, was wichtig ist: rote Unterwäsche gekauft, Einladungskarten verschickt und Freunde mit virtuellen Silvesterpostkarten gestalkt. Sie hat Pfannkuchen besorgt und ihre Wohnung mit Luftschlangen verziert. Es gibt Würstchen und Bleigießen. Während sie jedem Gast einen Partyhut aufschnallt, erzählt sie in einer Endlosschleife, dass das Feuerwerk an Silvester ursprünglich dazu diente, böse Geister zu vertreiben. Die Gäste lächeln höflich. Alle müssen sich die Folge „Silvesterpunsch“ von „ein Herz und eine Seele“ ansehen. Danach zwingt sie die Gäste zum Luftballontanz zu „Baby one more time“. Kurze Zeit später behaupten alle, müde zu sein, und verabschieden sich. Der Geruch von Raclette-Käse wird noch Wochen in der Wohnung hängen. Die Gastgeberin freut sich über das gelungene Fest, setzt sich an den Computer und verschickt virtuelle Neujahrsgrußkarten.

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