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© ddp

Illegal in Berlin: Der Schattenmann

David aus Chile lebt er ohne Visum in Berlin, also illegal, und schlägt sich als Straßenmusiker durch. Wir haben ihn in Kreuzberg getroffen.

David trägt die Tarnfarben tausender junger Berliner: Blaue Kapuzenjacke, Jeans und ein verwaschenes Hipbag. Er wirkt wie ein typischer Mittzwanziger, der studiert, in einem Szenekiez wohnt und sein Geld in Cafés und Clubs lässt. Und nur weil er sich so selbstverständlich durch die Straßen der Stadt bewegt, ist er noch hier.

David, der in Wirklichkeit nicht David heißt, lebt seit etwa eineinhalb Jahren illegal in Berlin. Einer von mehreren Zehntausend in dieser Stadt, wie Flüchtlingsorganisationen schätzen. „19. März 2007“ sagt er, wenn man ihn fragt, seit wann er in Europa ist. Auf Einladung einer Ordensgemeinschaft reiste er damals mit einem dreimonatigen Touristenvisum nach Frankreich ein. 90 Euro in der Tasche, damit hätte für einen wie ihn schon am Flughafen Schluss sein können. „Aus Chile“, sagte der Beamte und musterte ihn aufmerksam. David zeigte ihm die Einladung, die er über Kontakte seines Bruders bekommen hatte. Der Beamte winkte ihn durch.

Heute sitzt der 26-Jährige in einem Wohnzimmer von Freunden in Kreuzberg. Er kam zu spät zu unserem Treffen, weil er quer durch die Stadt gelaufen ist. „Ich fahre seit ein paar Wochen kein Rad mehr“, sagt er entschuldigend. Ein Freund habe ihm von Kontrollen an der Oberbaumbrücke erzählt, und sein Fahrrad hat weder Bremsen noch Licht. Eine Reparatur kann er sich nicht leisten, Kontrollen schon gar nicht.

David hat einen schmalen Schnurrbart und dicke schwarze Haare, die Schiebermütze darüber ist bis ins Gesicht gezogen. Er sitzt tief in den Sessel gedrückt und schaut oft zur Seite oder auf den Boden, wenn er in einer Mischung aus Spanisch und Englisch erzählt. „In der ersten Zeit war ich unglaublich angespannt", sagt er und dreht sich eine Zigarette. „Ich wollte seit Jahren nach Europa.“ Als er in Santiago Kunstgeschichte studiert hatte, war der Entschluss gereift, es woanders zu versuchen. „Es ging mir nicht schlecht dort", sagt David, „aber ich wollte raus". Für ein Studentenvisum fehlten ihm sowohl Stipendium als auch die nötige Einladung aus Deutschland. Also versuchte er es ohne.

Ein Freund aus Santiago, der ein Visum hat, ließ ihn die ersten drei Monate in Berlin bei sich wohnen. Über ihn fand er auch ein eigenes Zimmer, unter der Hand vermittelt und ohne Mietvertrag. Weil er das nicht lange bezahlen konnte, schlief er bald jede Nacht woanders. „Ich habe jeden, den ich kannte, nach einem Schlafplatz gefragt“, sagt David. Wenn er nicht bei Freunden unterkam, blieb er draußen – „immer mit der Angst, dass sie mich nach meinem Pass fragen“. Er suchte Parkbänke, die möglichst versteckt im Gebüsch stehen. Er schlief in leer stehenden Hallen und unter Brücken. Kein Aufenthaltsrecht hieß für ihn schnell: Obdachlosigkeit.

Im Winter wusste er schließlich nicht mehr, wohin er sollte. Durch Zufall hörte er von einer Kreuzberger Notunterkunft, und zum Glück stellte keiner Fragen. David konnte bleiben, ohne zu zahlen – zusammen mit sechs anderen Männern auf engstem Raum. „Alle dort hatten Probleme“, sagt David – Probleme mit dem Aufenthalt, Probleme mit Alkohol. Er sei sehr dankbar für den Platz gewesen, sagt er, aber auch sehr froh, als es wieder warm wurde. Momentan hat er ein Zimmer in einer WG. Wie lange er sich das leisten kann, weiß er noch nicht.

David erzählt das alles mit einer gewissen Leichtigkeit. Die ist eine Entscheidung, kein Zustand. „Als ich anfing, illegal zu sein, hatte ich ununterbrochen Angst", sagt er. „Jetzt versuche ich, mich nicht davon dominieren zu lassen.“ Trotzdem muss er sein Leben danach ausrichten. Jobs hat er selten, und wenn, natürlich schwarz. Anfangs klapperte er noch die Cafés der Stadt ab. „Die Sprache ist kein Problem“, sagten die, die freie Stellen hatten, zu seinem gebrochenen Deutsch. „Aber bring morgen deinen Pass mit.“ David nickte und ging wieder. Hin und wieder schickt seine Familie Geld oder überweist etwas auf das Konto eines Freundes. Das passiert aber eher selten.

Über einen Freund bekam er im Sommer auch kleinere Jobs, denn das Geld reicht hinten und vorne nicht: Er baute Festivals mit auf und half, Clubs für Parties vorzubereiten. Sein Geld bekam er – zum Glück, er hätte es ja nicht einfordern können. „Ein bisschen Sicherheit wäre schön“, sagt er, und man ahnt, wie klein das Ausmaß der Sicherheit wäre, die er meint.

An die üblichen Vorsichtsmaßnahmen hat David sich gewöhnt: Auf keinen Fall vergessen, einen Fahrschein zu lösen. Auf keinen Fall bei Rot die Straße überqueren. Und: Auf keinen Fall krank werden. Einmal sei ihm das passiert, erzählt er und schüttelt den Kopf, als ob es sein Fehler gewesen wäre. Wochenlang hatte er starke Ohrenschmerzen, schließlich ging er mit der Karte eines spanischen Freundes zum Arzt. Der starke Akzent war glaubhaft, und es ging gut, sagt David, „aber es wäre eine schreckliche Vorstellung, das noch mal machen zu müssen. Wenn ich mir etwas brechen würde oder Zahnschmerzen hätte, wäre ich nicht mehr lange hier“.

Es war nicht das einzige Mal, dass es knapp war. Als er im Sommer im Görlitzer Park saß, hielten Wagen der Stadtreinigung, aus denen plötzlich Polizisten stürmten. „Ich dachte, das ist das Ende", sagt David. Er konnte sich vor Panik kaum bewegen, aber niemand beachtete ihn: Die Polizisten kontrollierten keine Parkbesucher, sondern waren hinter Dealern her. David verdreht die Augen und lacht. „Das ist jetzt Galgenhumor“, sagt er dann, „du kannst dir nicht vorstellen, wie sich so was anfühlt.“ Da hat er recht. Ein Leben, in dem man um keinen Preis auffallen darf und in dem Unruhe zum Alltag gehört, kennen wohl die wenigsten.

Egal was er tut, ganz entspannt ist er nie. Mit Freunden macht er manchmal Musik auf der Straße oder in Kneipen, um Geld zu verdienen. „Mit einem Auge habe ich dann die Umgebung im Blick“, sagt er. Trotzdem genießt er es, Musik zu machen: Er hat klassische Gitarre gelernt, und sein Traum wäre es, mit Musikern und Zirkusleuten durch die Welt zu ziehen. Fahrende Künstler, über die Grenzen hinweg.

Momentan könnte David Deutschland nicht einmal verlassen, um mit Freunden in den Urlaub zu fahren. Der illegale Aufenthalt bindet ihn an den Ort, an dem er nicht sein darf. Mit viel Glück würde man ihn ausreisen lassen, mit etwas Pech verhaften und in Abschiebehaft stecken. Eine Wiedereinreisesperre würde in jedem Fall verhängt werden und zunächst unbefristet gelten.

Aus Angst davor, nicht zurückkommen zu können, will David vorerst nicht ausreisen. „Ich liebe Berlin“, sagt er, die vielen Künstler in der Stadt, die kulturellen Projekte und die Kreativität, die überall zu spüren sei. Und er hängt an seinen Freunden. „Alleinsein bringt einen um. Ich wollte offen sein, ich wollte Menschen kennenlernen“, sagt er. Dass er sich anders fühlt als die anderen, wenn er jemandem erzählt, dass er keine Papiere hat, das ändert sich nicht.

Ob er Pläne hat? Er schüttelt den Kopf. Letzte Woche hat er mit seinen Eltern telefoniert. „Komm zurück“, sagen die, „du vergeudest deine Zeit.“ Er starrt in seine Tasse. Vielleicht heiratet ihn jemand. Vielleicht reist er aus. Vielleicht wird er auch morgen geschnappt.

David lebt von Tag zu Tag und in dem Bewusstsein, dass sein Leben hier jederzeit zu Ende sein kann. „Hat was von Schicksal, oder?“, sagt er und versucht ein Lachen.

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