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Internetpornos: Sex, Lügen und Video

Pornos sind für Anna und ihre Mitschüler etwas Alltägliches – realistisch finden sie die frei zugänglichen Internetfilme jedoch nicht.

Den ersten Porno hat Lena auf dem Rechner eines Freundes entdeckt, nach der Schule. Sie muss da 15 oder 16 gewesen sein. Eigentlich wollte sie nur ein paar Songs für eine Playlist zusammensuchen. Dabei fiel ihr ein Ordner auf. „Sex“ stand darauf. Sie hat sich hineingeklickt. Was sie fand, kam ihr seltsam vor. Eine Frau hatte Sex mit fünf Männern. „Anal, oral, vaginal, alles gleichzeitig“, erinnert sie sich. Neben Lena saß eine Freundin. Sie mussten lachen. Als sie den Kumpel auf die Clips ansprachen, die er da auf seinem Computer gesammelt hatte, grinste der. Peinlich schien es ihm nicht zu sein. Ein anderes Mal, als Lena mit Freunden wieder einmal bei ihm war, hatten sie ein bisschen was getrunken. Sie haben an die 400 Pornovideos einfach von seiner Festplatte gelöscht. Dann haben sie es dem Kumpel erzählt. Sie waren aufgedreht und nicht gerade leise, deshalb bekam seine Mutter davon mit. „Die fand das witzig“, erinnert sich Lena. Der Junge, dessen Clips sie zerstört hatten, war ihnen nicht böse. Er hatte alles vorsichtshalber auf CDs gesichert.

Bei diesem Freund daheim, sagt Lena, sei alles recht locker. Die Eltern kommen ihr sehr offen vor. „Da findet man so etwas auch gar nicht komisch.“ Lena ist heute 18 Jahre alt. Sie will an einer Berliner Waldorfschule ihr Abitur machen. Nach dem Unterricht hat sie sich mit ein paar anderen an den Holztisch vor dem Schulcafé gesetzt, zwischen grüne Zimmerpflanzen. Anna ist 16, blond und schlank. Sie besucht dort die 10. Klasse. „Ich finde das generell gar nicht komisch, wenn Jungs Pornos schauen. Ich denke, das macht jeder“, sagt sie.

Nicht nur Lena und Anna, auch Sarah, die 18 ist, und Henri und Philipp, beide 15, sind sich einig: Pornos sind nichts Ungewöhnliches. Sie finden es nicht peinlich, darüber zu reden, auch nicht in größeren Gruppen. Sie sitzen da manchmal zu zehnt, erzählt Henri. Und unterhalten sich über das, was sie in solchen Clips gesehen haben. „Über so Sachen, die da gemacht werden“, sagt Philipp. Sie sind damit alles andere als eine Ausnahme.

Nicht nur die Dr.-Sommer-Studie der „Bravo“ zeigt: Fast jeder Teenager im Alter von 15 Jahren hat schon mindestens einmal einen Porno angeschaut. Beinah die Hälfte der 16- bis 19-Jährigen tut es laut einer Onlinestudie des Sexualwissenschaftlers Jakob Pastötter mindestens einmal im Monat. Das Internet macht den Zugang einfach. Einige Eltern und Lehrer beunruhigt diese Entwicklung. Sie fragen sich, welche Spuren die Pornobilder hinterlassen, wie sie die Sexualität beeinflussen. Die öffentliche Debatte begann vor drei Jahren, als das Magazin „Stern“ und der Berliner Freikirchenpastor Bernd Siggelkow den Begriff der „sexuellen Verwahrlosung“ prägten.

Zwischen den Zimmerpflanzen an der Berliner Waldorfschule sehen die Jugendlichen das alles gelassen, aber nicht unkritisch. Lena sagt, sie habe sich mit ihrem Kumpel nach dem Pornofund darüber unterhalten, ob er die Szenen für realistisch hält. Die meisten Mädchen, glaubt sie, würden solche Sachen nicht mitmachen: „In den Pornos sieht das immer so aus, als ob Frauen auf alles Lust haben. Ich würde mir keine drei Liter Sperma ins Gesicht schütten lassen.“ Und Anna ergänzt: „Die werden gevögelt und haben nichts zu sagen. Das könnten auch Puppen sein.“ Trotzdem akzeptieren sie Pornografie als etwas Alltägliches.

Sie begegnet ihnen ja ständig in der Öffentlichkeit, im Fernsehen, in der Werbung, in Musikclips. Lena fällt das pornografische „Pussy“-Video von Rammstein ein: „Ich fand das ziemlich abstoßend.“ Die meisten von ihnen kennen auch die Pornostücke von Rappern wie Bushido oder Sido. Eine Zeit lang gefiel ihnen das. „Weil’s provokant war“, sagt Anna. „Weil’s was total anderes ist“, denkt Henri. „Weil’s so absurd ist“, sagt Philipp. Die Phase ist schon wieder vorbei, auch bei den beiden 15-Jährigen.

Joss, der eine Schiebermütze auf dem Kopf hat und die meiste Zeit still am Tisch sitzt, macht sich dann doch Sorgen. Nicht um sich, aber um die Jüngeren: „13-Jährige, die sich den ganzen Tag Pornos reinziehen, die glauben am Ende, dass das wirklich so wird später.“ Er selbst ist 16. Philipp erzählt von einem Bekannten, der abzudrehen scheint. Sex mit zwei Frauen sei sein Lebensziel, sagt der. „Den hat das schon verändert.“

Sarah dagegen hält Pornos für gar kein schlechtes Aufklärungsmaterial. „Oder würdet ihr in die Bücherei gehen und euch ein Sexbuch ausleihen?“, fragt sie in die Runde. Die Eltern darauf anzusprechen sei auch so eine Sache. „Ich kann offen mit meinen über so was reden.“ Sie kommt sich da eher wie eine Ausnahme vor. Ihre Oma hat ihr vor ein paar Jahren mal ein Kamasutra-Buch zu Weihnachten geschenkt. „Jetzt hört’s aber uff“, hat Sarah da gedacht. Sie war sowieso etwas genervt, weil sie ihren Freund kurz zuvor mit einem Porno erwischt hatte.

Auf den Pornokonsum ihrer Partner reagieren mache Mädchen trotz aller Toleranz empfindlich. Auch weil sie fürchten, sie könnten dem Freund nicht mehr genügen, weil der die ganze Zeit die optimierten Pornokörper sieht. Prinzipiell haben Lena, Sarah und Anna aber nichts dagegen, wenn ihre Freunde sich solche Clips anschauen. Zumindest wenn sie nicht dabei sind. Lena traut den Jungs auch zu, dass sie wissen, „dass 80 Prozent der Brüste da aus Silikon sind“. Außerdem, da sind sie sich auch alle einig, erzeugen nicht nur die Pornobilder unrealistische Körperideale.

Es ist eine zufällige Runde, die sich im Flur dieser Waldorfschule zusammengefunden hat. Was sie sagt, ist trotzdem typisch. Es lässt sich auch in aktuellen Studien nachlesen. „Porno im Web 2.0“ etwa, eine Analyse, die die Medienwissenschaftlerin Petra Grimm gerade veröffentlicht hat. Sie hat nicht nur Jugendliche, sondern auch Experten befragt. Haben Teenager heute früher Sex? Nicht wirklich, antworten die Sexualwissenschaftler. Sie würden auch nicht häufiger miteinander schlafen. Manche Sexualpädagogen bemerken aber, dass bei den Jungen wegen der Pornobilder ein Leistungsdruck entsteht. Die Mädchen dagegen bekämen den Eindruck, sie müssten perfekte Körper haben und beim Sex mehr mitmachen. Teenager hätten außerdem mehr Fragen zu ausgefallenen Praktiken als früher.

Es gibt schließlich wenig, was sie bei „Youporn“ und ähnlichen Portalen nicht sehen können. Henri etwa ist einmal auf einen Clip gestoßen, in dem einer Frau „der Schambereich getuckert wurde“. Philipp sah eine Pornodarstellerin beim Sex kotzen. Bei Lenas Kumpel liefen Clips mit Kleinwüchsigen und Pferden. Das Tuckern und das Kotzen fanden Henri und Philipp so abstoßend, dass sie schnell weitergeklickt haben. Manchmal unterhalten sie sich über besonders absurde Clips. „Früher oder später kommt man immer auf das Thema“, sagt Lena.

Nur in der Schule hat es bisher kaum eine Rolle gespielt. Außer bei einem Aufklärungsprojekt, als Sexualpädagogen zu ihnen kamen. Da, erinnert sich Philipp, hätte einer etwas von Pornos erzählt, die man im Altpapier finden könne – Hefte. Er muss lachen, als er daran denkt. Pornohefte! Das ist ja fast so, als würde ein Lehrer zur Informatikstunde mit dem Rechenschieber erscheinen.

Johannes Gernert

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