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Interview: Juli Zeh: "Jeder Wohnort wird irgendwann zum Dorf"

Die Schriftstellerin Juli Zeh, bekannt durch ihre Romane "Adler und Engel", "Spieltrieb" und "Schilf", ist vor einiger Zeit aufs Land gezogen. In einem Dorf in Brandenburg lebt und schreibt sie, abgeschieden von der Hektik der Großstadt. Das soll auch so bleiben, deshalb möchte sie nicht, dass der Name des Ortes hier genannt wird. Im Interview mit tagesspiegel.de spricht die 34-jährige Autorin über Freundschaften, neue Lebensaufgaben und die literarische Inspiration in der Provinz.

Bonn, Passau, Krakau, New York und Leipzig: Du hast in Städten jeglicher Größe gelebt. Nun hat es Dich in ein 350-Seelen-Dorf im Havelland gezogen. Wie bekommt Dir die Landluft?

Ausgezeichnet. Im Rückblick scheint es mir, dass ich viele meiner Reisen im Sinne einer Fluchtbewegung unternommen habe - auf Suche nach einer Ruhe, die ich hier finde.

Welches ist Dein Lieblingsplatz im Dorf?

Oh, da gibt es viele. Die Apfel-Allee. Ein Stück Mischwald, in dem körbeweise Röhrenpilze wachsen. Die endlose Wiesenlandschaft hinter dem Haus. Und der Wohn-Saal meiner Lieblingsnachbarn.

Warum bist Du aus der Stadt geflüchtet?

Das war nicht geplant. Ich habe mich in ein Haus verliebt.

Warum fiel Deine Wahl auf Brandenburg?

Auch hier gilt die Antwort: Das Haus war schuld. Eigentlich wollte ich nach Berlin ziehen. Als dieses Haus in mein Leben trat, war klar: Ich bin nicht auf der Suche nach einer neuen Stadt, sondern auf der Suche nach einer neuen Lebensaufgabe.

Hast Du im Dorf schon Freunde gefunden oder bleibst Du lieber für Dich?

Mein Freund und ich sind von Anfang an so warmherzig aufgenommen worden, dass es mir schon fast vorkommt, als hätte ich immer hier gelebt. Wir haben viele Freunde im Dorf.

Fehlen in der Stille des Dorfes nicht die Begegnung mit Menschen und damit Erlebnisse, die einen für die eigene Literatur inspirieren?

Nein. Zum einen ist Alltag immer Alltag - wenig inspirierend, auch in der Stadt. Es ist ja nicht so, dass in New York oder Berlin jeder Gang zum Bäcker ein Abenteuer wäre. Das denkt man vielleicht, wenn man zum ersten Mal in einer Stadt ist. Sobald man länger dort lebt, stellt man fest, dass der kurze Lebensradius eines Menschen jeden Wohnort zum Dorf macht und überall nur mit Wasser gekocht wird. Zum anderen sind die Kontakte in einer kleinen Gemeinschaft vielleicht nicht so zahlreich, dafür aber viel weniger oberflächlich. Fürs Schreiben ist jede Form von Anregung gut; das ist kein Privileg der urbanen Räume.

Die Geschichten in Deinen Büchern spielen oft an Orten, in denen Du selbst gelebt hast. Wird es auch eine Geschichte aus Brandenburg geben?

Irgendwann bestimmt.

Wie stillst Du Dein Bedürfnis nach Theater, Konzerten, Kino, Oper, Lesungen, nach Kultur überhaupt?

Ich fahre entweder nach Brandenburg an der Havel oder nach Berlin. Mit der Regionalbahn bin ich in 30 Minuten am Bahnhof Zoo - in London würde diese Distanz bedeuten, dass ich mitten in der Stadt wohne.

Wenn Du im Havelland aufgewachsen wärst: Würdest Du auch noch dort leben oder wärst Du weggegangen?

Ich wäre ganz bestimmt weggegangen, und zwar egal von welchem Ort. Mir war es wichtig, ein eigenes Stück Welt zu "erobern".

Was würdest Du den jungen Menschen in dem Dorf raten: Dableiben oder wegziehen?

Das kommt auf den Einzelfall an. Wenn jemand - wie ich damals - einfach aus Prinzip wegziehen will, soll er das natürlich tun. Ansonsten würde ich grundsätzlich allen jungen Menschen, nicht nur jenen im Dorf, raten: Nicht voreilig in ein Studium stürzen und glauben, man fände dann als Akademiker in Berlin, Köln oder Hamburg per Fingerschnippen einen Job. Hier auf dem Land gibt es eine Menge interessante Berufe, die händeringend nach Nachwuchs suchen. Vielleicht schaut man erst mal, ob man dabei nicht was Passendes findet. Studieren kann man immer noch, um den Horizont zu erweitern - aber es schadet bestimmt nicht, eine Berufsausbildung zu haben, von der man weiß, dass es Bedarf gibt.

Interview von Ulrike Thiele

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