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Jugend macht Politik. Teil zwei: Jubeln mit der roten Karte

Wo die sozialistische Jugend wohnt. Paula Sawatzki, 17 Jahre, hat die Jugendorganisation der SPD besucht und wundert sich über erhobene Fäuste und verschlafene Augen.

„Free Pussy Riot“, „Keine Zukunft für Rechts“, „Refugees welcome to Berlin“!

Die Jusos Berlin geben sich solidarisch, demokratisch, liberal und vor allem: rot. Ein junger, offener Verband, der der Mutterpartei SPD „in kritischer Solidarität verbunden ist“. Eine Partei aus jungen Rebellen, von denen es in unserer heutigen Gesellschaft vielleicht zu wenige gibt. Wir leben mit Problemen und wissen oft nicht, wie wir damit umgehen sollen. Doch immerhin: Es gibt Leute, die die Gesellschaft verändern wollen und versuchen, gegen Konflikte aktiv zu werden und ein ganzes Netzwerk von Verbündeten aufbauen. 4000 Mitglieder zwischen 16 und 35 Jahre hat die junge Partei. Einige von ihnen habe ich auf der Berliner Landesdelegiertenkonferenz im Schloss19 kennen gelernt.

Ohne bestimmte Erwartungen, mehr mit gespannter Neugier mache ich mich auf den Weg in die Schlossstraße nach Charlottenburg. In erster Linie ist für mich spannend herauszukriegen, wie denn eigentlich die Jungen Sozialisten so drauf sind. Dass sie offen und kontaktfreudig sind, merke ich schon, als ich in der U-Bahn mit Christopher Förster aus „Tempelberg“ ins Gespräch komme. Der Student für Geowissenschaften ist seit sieben Jahren bei den Jusos und geht alle zwei Wochen zur Sitzung.

Gemeinsam mit dem 25-Jährigen komme ich etwas zu spät zum Ziel. Es ist ein im Altbauwohngebiet verstecktes Jugendzentrum, das von innen größer ist, als es von außen erscheint. Doch schon von außen ist der kleine Eingang nicht zu übersehen. Plakate und Kampfsprüche in roter Farbe sagen: Hier wohnt die sozialistische Jugend. Plakatierte und bemalte Wände empfangen mich. Kurz nachdem mein Begleiter sein rotes Stimmkärtchen erhalten hat, höre ich aus dem Konferenzsaal laute Stimmen und Musik. Ich muss etwas schmunzeln, als ich im Saal einige erhobene linke Fäuste sehe.

Ich befinde mich in einem Veranstaltungsraum mit Podiumsbühne, der zugleich eine Turnhalle sein könnte, eine Kletterwand ist provisorisch mit Matten bedeckt. In jeder Reihe sitzen Delegierte verschiedener Bezirke, manche Plätze sind noch frei. Leute kommen, Leute gehen. Es ist sehr unruhig bei der Eröffnungsrede von Kevin Kühnert, dem Landesvorsitzenden der Jusos und bei den darauf folgenden Ansprachen. Die Faust, die eine rote Rose in der Hand hält, taucht auf, wo ich meinen Blick auch hinwende. Das Podest ist mit der Parteifahne behängt.

Das Gewusel nimmt von Zeit zu Zeit zu, doch die Aufmerksamkeit leidet nicht darunter, alle wissen ganz genau, wann sie zu klatschen haben. Zum Beispiel, als im Grußwort gesagt wird: „Wir wollen keinen Neoliberalismus! Kämpft in euren Kreisen gegen diese Kräfte!“ Es wird beinahe bei jedem Statement geklatscht und zum Teil auch gejubelt. Da sitzt sie also: die rebellische Jugend von heute, die sich mit „Genossin“ oder „Genosse“ anspricht und mit wachen Köpfen und zum Teil verschlafenen Augen hin und wieder zum Kaffeebecher oder zur Club-Mate-Flasche greift. Sie tragen alternative Klamotten, manche haben Rastalocken, an ihren Stühlen hängt der Jutebeutel. Trotzdem ist jeder irgendwie anders. Auch der Altersdurchschnitt ist schwer einzuschätzen, die meisten sind wohl um die 20 Jahre alt.

Von dem Vorsitzenden werde ich öffentlich und respektvoll begrüßt, es folgt Klatschen der Versammlungsrunde.

Heute stimmen sie über Anträge ab, die zum Beispiel eine verbesserte Alphabetisierung in Berlin oder den Punkteplan gegen Rechts fordern. Manche Beschlüsse werden an die Öffentlichkeit und an die SPD weitergeleitet. Die Landesdelegiertenkonferenz, die zweimal im Jahr stattfindet, ist die wichtigste beschlussfassende Versammlung der Jusos Berlin. Auch die Kandidaten für den Bundeskongress im November werden heute gewählt.

Nachdem etwa 35 Delegierte von 60 Anwesenden sich vorgestellt haben, folgt die Wahl, in der 21 Delegierte zum Bundeskongress geschickt werden können. Doch auch diese Auswahl ist begrenzt. Den Jusos ist Gleichberechtigung in jeder Hinsicht wichtig, auch wenn es um das Sprachrecht geht wird selbstverständlich die Geschlechterquote berechnet. Am Anfang wird angesagt, wie die Quote der anwesenden Bezirksdelegierten aussieht. Und dann wird geklatscht, wenn es heißt „12 von 12 anwesend, 6 weiblich, 6 männlich, die Quote: 50%“  Wenn drei Männer in Folge etwas sagen wollen und keine weibliche Wortmeldung vorliegt, darf nur mit Abstimmung des Plenums entschieden werden, ob derjenige reden darf. Dann heben die jungen Politiker ihr rotes Kärtchen oder auch nicht. Meistens sind alle einverstanden, es gibt nie große Meinungsverschiedenheiten. Auch Christopher Förster darf zum Bundeskongress, mit 51 Stimmen.

Er ist ein überzeugter Roter, der von seinem Elternhaus geprägt wurde. Und trotzdem, ein Ausschlussverfahren führte ihn zur Sozialdemokratischen Partei: „Die Linke ist mir zuviel DDR, die Grünen sind ganz nett aber unrealistisch, bei der CDU sind nur konservative Christen, und gelb klärt sich von alleine – Wirtschaftskapitalismus, nein Danke!“ beteuert er mir schon in der U Bahn. Auch Alina Rathke aus Steglitz - Zehlendorf ist Mitglied bei den Jusos. Sie ist 17 Jahre alt und seit Anfang 2011 dabei. Durch Bekannte gelangte sie in den Verband und ist begeistert von dem Klima was hier herrscht. „Man lernt hier viel besser als in der Schule sicherer zu reden und seine Meinung zu äußern. Man wird politisch sensibilisiert.“, meint Alina. Als ich sie frage, was sie macht um die Welt zu verändern, muss sie ein bisschen lächeln und meint, dass dies eine gute Frage sei. Sie spricht ihre Mitschüler in der Schule an und geht öfters auf Demos. Damals wurde sie von den sozialdemokratischen Konzepten überzeugt, jetzt versucht sie es.

Die Konferenz dauert den ganzen Tag an, Anträge werden verlesen, ab und zu rennt mal jemand auf das Podest um an die Genossen zu appellieren, das rote Karte Heben und Klatschen verläuft fast schon instinktiv. Laut Programmbuch wird am Ende noch die Internationale gesungen, ein runder Abschluss der nicht fehlen darf. Es war ein spannendes Erlebnis einer Versammlung von Veränderen beizuwohnen und  hinter Kampfsprüchen auch mal Gesichter zu sehen.

Paula Sawatzki

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