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Jugendliche Protestler: Demonstrieren ist das neue Feiern

Ein Anliegen zu haben, ist derzeit schwer angesagt, Möglichkeiten gibt es viele. Nicht jeder demonstriert aus denselben Gründen: Eine Protestler-Typologie.

DER BÜRGERINITIATIVEN-GRÜNDER

Der Bürgerinitiativen-Gründer ist meist eine Frau. In der Regel liest sie Hermann Hesse, ab und zu kauft sie Kunst, in ihrer Wohnung stehen prächtige Zimmerpflanzen vor dem Fenster. Zu ihren Treffen kommen oft friedensbewegte und dauergutgelaunte Lehrerehepaare, was nicht jedem gefällt, schon gar nicht dem –> AUTOANZÜNDER und dem –> DOGMATIKER. Bürgerinnen aus Initiativen setzen sich Ziele, deren Verwirklichung weder Staat noch Kapital wirklich stört. Für Tempo 30, gegen Bombodrom, für schönere Kitas. Manchmal scheint der Kampf zwar aussichtslos, aber nur, wenn frau es mit einem besonders harten Gegner zu tun hat: etwa der Deutschen Bahn und ihrem Stuttgarter Mammutprojekt S 21. Dann geht die Frau von der Bürgerinitiative spazieren, tankt Kraft und kommt frohen Mutes zurück. hah

DER DOGMATIKER

Der Dogmatiker ist oft cooler als diese Bezeichnung vermuten lässt. In der Regel ist der Dogmatiker ein Mann – und niemand bedauert das mehr als er selbst. Gern sähe er, dass sich seiner Gruppe mehr Frauen anschlössen. Denn der Dogmatiker ist belesen (Marx, Adorno, Lenin) und weiß deshalb: Soziale Ungleichheit begann schon zu einer Zeit, als die Menschen noch in Wäldern hausten und Männer bewaffnet auf Jagd gingen, während für Frauen nur unbewaffnet das Beerenpflücken übrig blieb. Monogamie finden Dogmatiker historisch falsch, zu ihrem Ärger haben sie für hektischen Partnerwechsel oft keine Zeit und leben in einer festen Beziehung. Die Freundin sieht der Dogmatiker aber nur selten, es rufen Lesezirkel, Hochschulgruppe, Betriebszelle und Programmkommission.hah

DER SPASSPROTESTLER

An welcher Demo, an welcher Aktion sich der Spaßprotestler beteiligt, entscheidet er nach dem jeweils gebotenen Programm. Nichts findet er langweiliger, als stundenlange populistische Parolen vor dem Roten Rathaus aufzusagen. Lieber protestiert er gegen steigende Mieten, indem er mit Freunden nackt bei Wohnungsbesichtigungen einfällt. Über die entsetzten Immobilienmakler amüsiert er sich noch Wochen später, wenn die Neon ausführlich berichtet und Menschen in Bielefeld und Bad Oeynhausen beim Anblick der unverpixelten Fotostrecke in bewundernder Verwunderung ihren Kopf über das wilde Großstadtleben schütteln. Zur gleichen Zeit nimmt der Spaßprotestler an einer vom Bündnis für urbane Mobilbeschallung (BUMS) organisierten Fahrradtour durch Berlin teil. Mit Gleichgesinnten strampelt er sich ab, um Strom für die Anlage des DJs zu erzeugen. Die Technobeats schütteln seinen Körper so kräftig durch, dass er nicht mehr weiß, warum man sich zum Feiern nicht gleich im Club getroffen hat. „Ging es nicht um eine stärkere Subventionierung von Ökostrom?“, würde ihm der –> UMWELTSCHÜTZER jetzt gerne zurufen. Gehör fände er nicht. Die Musik ist zu laut. hey

DER UMWELTSCHÜTZER

Wir befinden uns bereits in der dritten Generation – in Deutschland ist der Umweltschützer so etwas wie die Urform des politischen Aktivisten, was möglicherweise auch daran liegt, dass für den Umweltschutz zu sein ähnlich naheliegend ist wie für den Frieden zu sein. Deshalb ist auch der Umweltschützer der dritten Generation genauso langweilig wie seine älteren Brüder und seine Eltern, die bereits in Wackersdorf und Brokdorf durch den Schlamm gewatet sind. Allerdings ist der Umweltschützer im Gegensatz zum –> AUTOANZÜNDER ein lieber Kerl, der ja schon qua Amt keiner Fliege was zuleide tut. Der Umweltschützer ist männlich wie weiblich, verweigert aus Gründen des Umweltschutzes zu intensive Körperpflege (Wasserverschwendung, Unverträglichkeit mit chemischen Produkten), gleicht das aber mit sehr bewusster Ernährungsweise aus. Was seltsamerweise zur Folge hat, dass männliche Umweltschützer meist gertenschlank sind, weibliche Umweltschützer dagegen zur Vollschlankheit neigen. Dabei müsste das gar nicht sein, denn die Türen, die die Umweltschützer einrennen, sind nicht verschlossen, sondern offen: Umweltschutz ist in Deutschland Mainstream geworden. Das Revolutionspotenzial dieser Gruppe liegt deshalb bei Null.mak

DER AUTOANZÜNDER

Dieser Typus gehört streng genommen nicht hierher – womit „hierher“ im Prinzip meint: „in unsere Welt“. Denn während alle anderen, vom –> UMWELTSCHÜTZER bis zum –> DOGMATIKER, ein Anliegen haben, das im weitesten Sinne konstruktiv ist, will der Autoanzünder zerstören, zerstören, zerstören. Falls er theoretische, politische Texte gelesen haben sollte, hat er sie nicht verstanden. Falls er sich für links hält, hat er sich in den politischen Richtungskoordinaten heillos verirrt. Falls er etwas verändern will, dann wahrscheinlich seine persönlichen Lebensumstände, denn wer Autos anzündet und erwischt wird, landet im Knast, unbestritten völlig zu Recht. Und vielleicht findet der Autoanzünder ja dort Menschen, die sich seine kruden Vorstellungen von der Welt, der Umverteilung, den Bonzen, dem Proletariat, der Gentrifizierung anhören wollen – und ihm dann mal zeigen, was man mit feigen Verbrechern im Knast so anstellt. Denn weder dort noch draußen kann der Autoanzünder auf Akzeptanz hoffen, er wirkt weitestgehend allein, selbst die radikale Linke winkt ab, denn sie ahnt: Feuer, Zündeln, Abfackeln – das hat großdeutsche Tradition und war vor 70 Jahren schwer in Mode. mak

DER HANFAKTIVIST

Der Hanfaktivist ein natürlicher Verbündeter des –> UMWELTSCHÜTZERS, die Liebe zur Natur verbindet sie, ebenso wie das Hadern mit der deutschen Gesetzgebung. Warum Cannabis als Medizin und Genussmittel noch nicht vollends anerkannt und verbreitet ist, versteht der Hanfaktivist nicht: Von seiner schmerzlindernden Wirkung wusste doch schon die traditionelle chinesische Heilkunde! Dass Bob Marley trotz exzessiven Marihuanarauchens seinem Krebsleiden erlegen ist, vergisst der Hanfaktivist gelegentlich. Sein Schutzpatron ist der Grünen-Politiker Christian Ströbele, der auf der sogenannten „Hanfparade“ einmal forderte: „Gebt das Hanf frei!“ Während also der Hanfaktivist Unterstützung seitens der Politik bekommt und damit bereits die Ebene der Subversion verlassen hat, warten wir auf den Politiker, der sich bei anderen Drogenlobbyisten mit Slogans wie „Koks für alle!“ oder „LSD – voll ok!“ anbiedert.

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